Leitsatz (redaktionell)

Familienzuschläge zum Krankengeld nach RVO § 191 Abs 1 aF stellen einen Teil des Krankengeldes dar und gehören zu den wiederkehrenden Geldleistungen iS des RVO § 1505 Abs 1.

 

Normenkette

RVO § 191 Abs. 1 Fassung: 1930-07-26, § 1505 Abs. 1 Fassung: 1936-06-15

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. Juli 1959 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Ersatzanspruchs, der der klagenden Berufsgenossenschaft (BG) für Aufwendungen während der Krankenhausbehandlung eines Unfallverletzten zusteht. - Der bei der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) pflichtversicherte Hilfsarbeiter E. erlitt am 24. Mai 1956 (also vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 26. Juni 1957 - Erstes Leistungsverbesserungsgesetz -) einen Arbeitsunfall. Die klagende BG gewährte dem Versicherten, der bis zum 15. Juli 1956 arbeitsunfähig krank war, berufsgenossenschaftliche stationäre und offene Heilbehandlung. Die beklagte AOK hätte an den Verletzten, falls nur sie leistungspflichtig gewesen wäre, für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung der gesetzlichen Karenztage 6,95 DM Krankengeld zahlen müssen, das sich auf Grund ihrer Satzung vom 7. Juni 1956 an um den Familienzuschlag zum Krankengeld (1,39 DM) auf 8,34 DM erhöht haben würde. Die beklagte Kasse setzte deshalb bei der Berechnung ihres Ersatzanspruchs (§ 1509 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) gegen die Klägerin das ihr vom 46. Tage nach dem Unfall zu erstattende Krankengeld mit 8,34 DM täglich ein. Bei der Berechnung des Ersatzanspruchs der klagenden BG für die bis zum 45. Tage nach dem Unfall gemachten Aufwendungen berücksichtigte die AOK den Zuschlag zum Krankengeld aber nicht; sie berechnete vielmehr das Krankengeld auch für die Zeit nach dem 7. Juni 1956 mit 6,95 (statt mit 8,34) DM. Die klagende BG beanstandete die Abrechnung der Beklagten und forderte die Berücksichtigung des Familienzuschlags zum Krankengeld vom 7. Juni 1956 an. Da die beklagte Kasse den Anspruch ablehnte, erhob die BG Klage beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf und machte geltend, die Familienzuschläge zum Krankengeld nach § 191 Abs. 1 RVO (aF) seien Teile des Krankengeldes und gehörten zu den erstattungsfähigen Aufwendungen im Sinne des § 19 Buchst. b der Bestimmungen des Reichsversicherungsamts (RVA). Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, daß die AOK an die Klägerin noch 23,63 DM zu zahlen hat, wenn der auf Grund der Satzung der Beklagten zu gewährende Familienzuschlag zum Krankengeld zu den erstattungsfähigen Aufwendungen im Abrechnungsverfahren zwischen den Trägern der Krankenversicherung und der Unfallversicherung gehört. Die Klägerin beantragte, die Beklagte zu verurteilen, 23,63 DM an die Klägerin zu zahlen. Die Beklagte beantragte Abweisung. Sie vertrat die Auffassung, die nach § 191 Abs. 1 RVO (aF) dem Versicherten auf Grund der Satzung zu gewährenden Familienzuschläge seien nach der Rechtsprechung des RVA und der herrschenden Meinung kein Teil des Krankengeldes.

Das SG hat der Klage stattgegeben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Nach der grundlegenden Vorschrift des § 1505 RVO in der Fassung der Verordnung vom 15. Juni 1936 (RGBl I, 489 = AN 1936, 194) trage die Krankenkasse die Aufwendungen für wiederkehrende Geldleistungen an den Versicherten während der ersten 45 Tage nach dem Unfall, soweit sie nicht über das hinausgehen, was die Krankenkasse auf Grund der Krankenversicherung zu leisten habe. Der Familienzuschlag des § 191 Abs. 1 RVO (aF) gehöre, sofern er nach Maßgabe der Satzung zu gewähren sei, zu den wiederkehrenden Geldleistungen (§ 1505 Abs. 1 RVO) und sei mitbestimmend für den Höchstbetrag der Aufwendungen, die die Krankenkasse gegebenenfalls zu erstatten habe. Die in der Satzung der beklagten AOK vorgesehenen Zuschläge zum Krankengeld seien Mehrleistungen, die im Rahmen der Krankenhilfe, also als echte Leistungen der Krankenversicherung zu erbringen seien. Zwar sei der Zuschlag nach § 191 Abs. 1 RVO (aF) nach der herrschenden Ansicht kein Teil des auf Grund der Krankenversicherung an den Versicherten zu zahlenden Krankengeldes. Er trage jedoch in so hohen Maße Krankengeldcharakter, daß er zu den Aufwendungen für das Krankengeld im Sinne des § 1507 RVO gezählt werden müsse. Der Zuschlag des § 191 Abs. 1 RVO (aF) stehe darüber hinaus auch in einem natürlichen Zusammenhang mit dem Krankengeld und sei den Aufwendungen für das Krankengeld gleichzusetzen. Dem § 19 Buchst. b der Bestimmungen des RVA vom 19. Juni 1936 könne keine andere Bedeutung als den §§ 1505, 1507 RVO beigemessen werden. Das SG hat die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Die beklagte AOK hat mit Einwilligung der Klägerin Sprungrevision eingelegt. Sie beantragt, das Urteil des SG Düsseldorf vom 14. Juli 1959 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Zur Begründung der Revision trägt die beklagte AOK vor: Die den Ersatzanspruch begründende Vorschrift sei nicht § 1505, sondern § 1509 RVO. Diese Vorschrift sei für die Höhe des Ersatzanspruchs aber nicht allein entscheidend. Maßgebend sei vielmehr § 19 der Bestimmungen des RVA vom 19. Juni 1936, der die in § 1509 RVO getroffene Regelung ergänze. Unter "Krankengeld" im Sinne des § 19 b der Bestimmungen des RVA könne im Hinblick auf die Rechtsprechung des RVA nur das "Grundkrankengeld" verstanden werden.

Die klagende BG beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II.

In dem vorliegenden Ersatzstreit zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts war die Berufung an sich ausgeschlossen, weil der Beschwerdewert 500,- DM nicht übersteigt (§ 149 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - idF des Zweiten Änderungsgesetzes vom 25. Juni 1958 - BGBl I, 409 -). Da das SG die Berufung jedoch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat (§ 150 Abs. 1 Nr. 1 SGG), bestehen gegen die Statthaftigkeit der von der beklagten AOK eingelegten Sprungrevision keine Bedenken (§ 161 SGG; BSG 1, 69). Die Revision ist auch form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden. Sie ist jedoch sachlich nicht begründet.

Die Beteiligten streiten darüber, ob sich der Ersatzanspruch der klagenden BG, die dem bei der Beklagten versicherten Hilfsarbeiter E. geschlossene Behandlung im Sinne des § 19 der Bestimmungen des RVA über die Unterstützungspflicht der Krankenkassen und Unternehmer gegenüber den Trägern der Unfallversicherung und über Ersatzleistungen zwischen Krankenkassen, Ersatzkassen und Trägern der Unfallversicherung vom 19. Juni 1936 (AN S. 195) gewährt hat, sich auf das sogenannte Grundkrankengeld beschränkt oder ob er auch die Zuschläge umfaßt, die die Kasse auf Grund einer nach § 191 Abs. 1 RVO (aF) erlassenen Satzungsbestimmung den Versicherten wegen ihres Familienstandes gewährt. Die Aufwendungen der klagenden BG, deren Ersatz den Gegenstand des Rechtsstreits bildet, sind vor Inkrafttreten des Leistungsverbesserungsgesetzes vom 26. Juni 1957 (BGBl I, 649) gemacht worden; § 182 RVO idF dieses Gesetzes, der die Familienzuschläge als Pflichtleistung eingeführt hat, kommt daher nicht zu Anwendung. Nach der hier noch maßgebenden Vorschrift des § 191 RVO (aF) konnte die Satzung das Krankengeld für Versicherte mit Angehörigen, die der Versicherte bisher ganz oder überwiegend unterhalten hat und die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben, durch Zuschläge erhöhen. Von dieser Ermächtigung hat die beklagte AOK Gebrauch gemacht. Die gesetzliche Grundlage für den Ersatzanspruch des Trägers der Unfallversicherung bildet, wie das SG zutreffend angenommen hat, § 1505 Abs. 1 RVO. Nach dieser Vorschrift trägt die Krankenkasse die Aufwendungen für Heilverfahren und wiederkehrende Geldleistungen an den Verletzten während der ersten 45 Tage nach dem Unfall, soweit sie nicht über das hinausgehen, was die Krankenkasse auf Grund der Krankenversicherung zu leisten hat. Im übrigen fallen die Aufwendungen den Trägern der Unfallversicherung zur Last. Als Aufwendungen im Sinne des § 1505 RVO gelten für wiederkehrende Geldleistungen die Aufwendungen für das Krankengeld und das Hausgeld aus der Krankenversicherung, für die Verletztenrente, das Krankengeld, Tagegeld, Familiengeld aus der Unfallversicherung, für den Unterhalt des Verletzten bei Krankenhauspflege, Heilanstaltspflege oder Anstaltspflege und für die nach § 185 gewährte Hilfe und Wartung, soweit dafür Krankengeld abgezogen wird (§ 1507 Nr. 1 RVO). Hat der Träger der Unfallversicherung Aufwendungen gemacht, die zu Lasten der Krankenkasse gehen, so hat sie sie ihm zu ersetzen (§ 1509 Abs. 2 RVO). - Die Bestimmungen des RVA vom 19. Juni 1936, die auf Grund der §§ 1501, 1513, 1543 a bis 1543 c und des § 1 der Verordnung zur Durchführung der Unfallversicherung vom 14. Juni 1926 ergangen sind, regeln entsprechend gesetzlicher Ermächtigung die Unterstützungspflicht der Krankenkassen und Unternehmer gegenüber den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung und die Ersatzleistungen zwischen Krankenkassen, Ersatzkassen und Trägern der Unfallversicherung (§ 1504 bis 1510) sowie in Fällen des § 1543 b RVO. Diese "Bestimmungen" des RVA haben den Charakter einer Rechtsverordnung und sind als ehemaliges Reichsrecht, das dem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes zuzurechnen ist und innerhalb mehrerer Besatzungszonen einheitlich gilt, Bundesrecht und damit revisibles Recht geworden (BSG 14, 233). Soweit die "Bestimmungen" des RVA die Ersatzleistungen nach §§ 1504 bis 1510 RVO regeln, stützen sie sich auf § 1513 RVO. Danach konnte das RVA "Näheres zur Durchführung der §§ 1502 bis 1512 RVO bestimmen". Eine Änderung der gesetzlichen Regelung war hiernach nicht zulässig. Wohl aber konnte das RVA nach § 1513 Satz 2 RVO auch bestimmen, inwieweit Ersatz durch Pauschbeträge zu gewähren ist (außer im Falle des § 1509 a RVO). - Nach § 19 Buchst. b der Bestimmungen vom 19. Juni 1936 ist der Ersatzanspruch der dem Träger der Unfallversicherung gegen die Krankenkasse für die von ihr aufgewendeten wiederkehrenden Geldleistungen während der ersten 45 Tage nach dem Unfall zusteht, begrenzt durch das "Krankengeld aus der Krankenversicherung, das die Krankenkasse bei offener Behandlung zu gewähren hat".

Die Auffassung der Revision, daß unter "Krankengeld aus der Krankenversicherung" das Krankengeld ohne die dem Versicherten nach § 191 Abs. 1 RVO in Verbindung mit der Satzung zustehenden Familienzuschläge zu verstehen sei, ist nicht begründet. - Wie der Senat in seiner zu § 182 RVO idF des Ersten Leistungsverbesserungsgesetzes ergangenen Entscheidung vom heutigen Tage (3 RK 77/59) ausgeführt hat, wird zwar im Schrifttum überwiegend die Meinung vertreten, die auf Grund des Familienstandes des Versicherten gewährten Zuschläge seien ihrer Rechtsnatur nach kein Teil des Krankengeldes, sondern stellten neben ihm eine besondere Leistung dar. Die Entscheidungen des RVA, auf die sich diese Auffassung überwiegend stützt (GE Nr. 3927, AN 1931, 11; GE Nr. 5372, AN 1940, 217), beziehen sich im wesentlichen auf die Berechnung von Haus-, Wochen- und Stillgeld. Ihnen ist zuzustimmen, soweit sie auf der Erwägung beruhen, daß der Familienstand bei Einrechnung der Zuschläge eine doppelte Berücksichtigung finden würde (§ 194 RVO aF). Es erscheint jedoch bedenklich, allgemein davon auszugehen, daß der mit Rücksicht auf den Familienstand gewährte Zuschlag kein Bestand des Krankengeldes ist. Nach den Darlegungen in der Entscheidung 3 RK 77/59 sind auch die Erwägungen des RVA in der GE Nr. 4424 (AN 1932, 379) für den Fall des Ersatzanspruchs zwischen den Trägern der Unfallversicherung und der Krankenkasse nicht anwendbar.

Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 30. Januar 1963 (3 RK 16/59) ausgesprochen, daß bei Anwendung der Ruhensvorschrift des § 189 Abs. 1 RVO idF der Notverordnung vom 1. Dezember 1930 (RGBl I, 517) der dem Versicherten nach § 191 Abs. 1 Satz 1 RVO gewährte Zuschlag zum Krankengeld als Teil des Krankengeldes anzusehen ist. Für diese Auffassung spricht neben dem Wortlaut des § 191 Abs. 1 Satz 1 RVO ("Die Satzung kann das Krankengeld ... durch Zuschläge erhöhen") auch der Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Dies schließt nicht aus, daß der Begriff "Krankengeld" dann in einem engeren Sinne zu verstehen ist, wenn andernfalls eine auf der Grundlage des Krankengeldes zu berechnende Leistung - wie zum Beispiel beim Hausgeld des § 186 RVO aF - zu einer doppelten Berücksichtigung des Familienstandes führen würde.

Für die Auffassung, daß im Abrechnungsverhältnis zwischen der Krankenkasse und dem Träger der Unfallversicherung die Zuschläge zum Krankengeld als Teil des Krankengeldes anzusehen sind, spricht auch § 559 d RVO, wonach die Genossenschaft bis zum Ablauf der 26. Woche nach dem Unfall an Stelle der Rente ein Krankengeld gewähren kann, das sich nach "den Vorschriften der Krankenversicherung" und bei den auf Grund der RVO gegen Krankheit Versicherten ferner nach den "Bestimmungen ihrer Krankenkasse" bemißt. Es wäre im Hinblick auf diese Regelung schwer zu verstehen, wenn den Trägern der Unfallversicherung in den Fällen des § 1509 Abs. 2 RVO gegen die Krankenkasse nur ein Anspruch auf Ersatz bis zur Höhe des sogenannten "Grundkrankengeldes" zustehen würde. Da der Versicherte selbst mit Rücksicht auf die ihm von der BG gewährten Leistungen gegen die Kasse keinen Anspruch auf Krankengeld hat, würde diese einen Betrag ersparen, zu dessen Leistung sie dem Versicherten selbst gegenüber verpflichtet gewesen wäre. Dies widerspräche aber dem Grundgedanken des § 1505 Abs. 1 RVO.

Die Revision der beklagten AOK ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380384

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