Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorrang der Konkursausfallgeldversicherung
Leitsatz (amtlich)
Hat die Bundesanstalt für Arbeit Arbeitslosengeld nach § 117 Abs 4 AFG gezahlt und Krankenversicherungsbeiträge entrichtet (§ 155 ff AFG), ist der Erstattungsanspruch gegen den Arbeitgeber wegen der Beiträge (§ 160 Abs 1 AFG) im Konkurs des Arbeitgebers als bevorrechtigte Konkursforderung (§ 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e KO) zu berichtigen.
Orientierungssatz
Die Vorschrift des § 160 Abs 1 AFG wird dadurch verdrängt, daß § 141m (iVm § 141n S 3 AFG aF) für dieselbe Zeit erfüllt ist. Daß diese Vorschrift vorgeht, ist zwar nicht gesetzlich festgelegt, ergibt sich aber aus dem Auslegungsgrundsatz der Spezialität: Das Konkursausfallgeldrecht regelt die Folgen des Lohnausfalls durch Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (§ 141b AFG) speziell, umfassend und endgültig; das Arbeitslosenversicherungsrecht ist indessen eine allgemeine Regelung, die die Folgen des Lohnausfalls infolge Arbeitslosigkeit nur teilweise und vorläufig abmildert.
Normenkette
AFG § 117 Abs 4 Fassung: 1969-06-25, §§ 155, 157, 160 Abs 1; KO § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e Fassung: 1976-12-23, § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e Fassung: 1976-12-23; AFG § 141a Fassung: 1974-07-17, § 141b Fassung: 1974-07-17, § 141m Fassung: 1974-07-17, § 141n S 3 Fassung: 1974-07-17
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versicherungsbeiträge als Masseschulden.
Am 28. Februar 1978 wurde die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der R - K GmbH, B B beantragt. Der als Sequester eingesetzte Kläger stellte eine Anzahl von Arbeitnehmern frei. 28 Arbeitnehmer meldeten sich arbeitslos und erhielten Arbeitslosengeld (Alg) nach § 117 Abs 4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) für den Zeitraum zwischen dem 8. März und dem 6. April 1978. Für diese Zeit entrichtete die Beklagte Krankenversicherungsbeiträge nach § 157 iVm § 155 AFG. Durch Beschluß des Amtsgerichts B N - A vom 7. April 1978 wurde der Konkurs eröffnet und der Kläger zum Konkursverwalter ernannt.
Mit Schreiben vom 29. Mai 1978 forderte die Beklagte die aufgewendeten Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 4.348,79 DM von dem Kläger als Masseschulden. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1979), dagegen hatte der Kläger mit seiner Klage zum Sozialgericht (SG) Köln Erfolg (Urteil vom 15. Januar 1980). Die Berufung der Beklagten wurde durch das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen zurückgewiesen (Urteil vom 22. Januar 1981). Ihre Entscheidungen haben beide Gerichte im wesentlichen damit begründet, bei dem Anspruch nach § 160 Abs 1 AFG handele es sich um einen originären öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, nicht dagegen um einen Beitragsanspruch. Da aber nur Beitragsansprüche Masseschulden seien, handele es sich bei den von der Beklagten geltend gemachten Rückständen nur um Konkursforderungen.
Mit der vom erkennenden Senat auf die Beschwerde der Beklagten zugelassenen Revision (Beschluß vom 30. Juli 1981) rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 160 Abs 1 AFG, 59 Abs 1 Nr 3 der Konkursordnung (KO).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 1981 und das
Urteil des Sozialgerichts Köln vom 15. Januar 1980
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig, denn sie macht mit ihm eine Masseforderung geltend, obgleich der geforderte Betrag nur eine Konkursforderung gem § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e KO iVm § 59 Abs 2 KO und § 141n iVm § 141m Abs 1 AFG idF des Gesetzes über Konkursausfallgeld vom 17. Juli 1974 (BGBl I 1481) ist, die im Konkursverfahren gem den §§ 138 ff KO anzumelden, nicht aber unmittelbar durch Verwaltungsakt gegenüber dem Konkursverwalter durchzusetzen ist (BSG SozR 2200 § 28 Nr 4).
Nach § 59 Abs 2 Satz 1 2. Alternative KO werden Ansprüche der Träger der Sozialversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit (BA) auf Beiträge (§ 59 Abs 1 Nr 1 Buchst e KO), die nach § 141n Satz 3 iVm § 141m Abs 1 AFG auf die BA übergehen, mit dem Rang des § 61 Abs 1 Nr 1 KO berichtigt. Um derartige Beitragsansprüche handelt es sich bei der hier streitigen Forderung. Sie entfallen sämtlich auf Arbeitsentgelte für die letzten drei Monate vor der Konkurseröffnung.
Die Beklagte hat zwar ihren Anspruch auf § 160 Abs 1 AFG gestützt, weil sie für die vom Kläger als damaligen Sequester freigestellten Arbeitnehmer gem § 117 Abs 4 AFG Alg und gem den §§ 155, 157 AFG die Krankenversicherungsbeiträge gezahlt hat. Anspruchsgrundlage ist aber nicht § 160 Abs 1 AFG, sondern § 141m iVm § 141n Satz 3 AFG.
Erfüllt sind allerdings die Voraussetzungen beider Anspruchsgrundlagen, wenn man dies ohne gegenseitige Beziehungen sieht: Die Beklagte hat nach Arbeitslosenrecht die Arbeitnehmer für den Lohnausfall teilweise nach § 117 Abs 4 Satz 1 AFG entschädigt und die Arbeitslosen-Krankenversicherung nach §§ 155 ff AFG finanziert. Mit diesen Zahlungen hat sie Erstattungsansprüche gegen den Arbeitgeber nach § 117 Abs 4 Satz 2 und § 160 Abs 1 AFG erworben. Die Beklagte hatte aber für dieselbe Zeit nach Konkursausfallgeld-(Kaug)Versicherungsrecht den Arbeitnehmer für den Lohnausfall voll zu entschädigen und die Beschäftigten-Krankenversicherung nach § 165 Abs 1 Nr 1 oder 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu finanzieren. Mit der Antragstellung (§ 141e AFG) hat die Beklagte Erstattungsansprüche nach § 141m AFG und § 141n Satz 3 AFG aF gegen den Arbeitgeber erworben.
Die Anspruchsgrundlage des § 160 Abs 1 AFG entfällt somit nicht deshalb, weil die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt wären, sondern, weil diese Vorschrift dadurch verdrängt wird, daß §141m (iVm § 141n Satz 3 AFG aF) für dieselbe Zeit erfüllt ist. Daß diese Vorschrift vorgeht, ist zwar nicht gesetzlich festgelegt, ergibt sich aber aus dem Auslegungsgrundsatz der Spezialität (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl S 252): Das Kaug-Recht regelt die Folgen des Lohnausfalls durch Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (§ 141b AFG) speziell, umfassend und endgültig; das Arbeitslosenversicherungsrecht ist indessen eine allgemeine Regelung, die die Folgen des Lohnausfalls infolge Arbeitslosigkeit nur teilweise und vorläufig abmildert.
Dieser Auslegung steht nicht entgegen, daß die Voraussetzungen des § 160 Abs 1 AFG schon zu einer Zeit erfüllt waren, als die Voraussetzungen des Kaug-Rechts - nämlich die Konkurseröffnung - noch nicht erfüllt waren. Denn hier geht es ohnehin um die richtige rechtliche Einordnung vergangener Geschehnisse, dh um die Abwicklung zweier Versicherungsfälle, soweit sie dieselbe Zeit und dieselbe Bedarfssituation umfassen. Ohne rechtliche Bedeutung ist, ob der Anspruch nach § 160 Abs 1 AFG zunächst entstanden und dann wieder erloschen ist, als der Kaug-Fall des § 141b Abs 1 AFG - Konkurseröffnung - eintrat. Denn die hier allein streitige Frage nach der konkursrechtlichen Qualität der Forderung nach § 160 Abs 1 AFG konnte erst bei Konkurseröffnung gestellt werden. In diesem Zeitpunkt bestand aber schon die Möglichkeit, den Lohn- und Beitragsausfall durch die spezielle Kaug-Regelung zu regulieren. Das rechtliche Schicksal der Forderung nach § 160 Abs 1 AFG im Verhältnis zu der vorrangigen des § 141m (iVm § 141n Satz 3 AFG aF) nachzuzeichnen ist auch deshalb entbehrlich, weil kein Gläubiger- oder Schuldnerwechsel eintritt.
Gegen die Verdrängung der Arbeitslosenregelung durch die Kaug-Regelung spricht auch nicht § 155 Abs 2 Satz 3 AFG. Nach dieser Vorschrift wird das durch die Arbeitslosenversicherung begründete Krankenversicherungsverhältnis nicht berührt, wenn die Entscheidung, die zu einem Leistungsbezug geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist. Diese Vorschrift ist nämlich eine Schutzvorschrift zugunsten der Versicherten, die ohne die Arbeitslosen-Krankenversicherung im Krankheitsfall schutzlos wären. Hier wird aber durch die kaug-rechtliche Regelung die Beschäftigten-Krankenversicherung aufrechterhalten, die für den Versicherten im Hinblick auf die Geldleistungen wesentlich günstiger ist als die Arbeitslosen-Krankenversicherung (vgl § 182 Abs 4 RVO und § 158 AFG). Es besteht kein Grund, diejenigen Versicherten, die sich nach Anordnung der Sequestration, dh in der Zeit zwischen der Zulassung des Konkursantrages und der Entscheidung über den Konkursantrag, wegen Arbeitsmangels der Arbeitsverwaltung zur Verfügung gestellt haben, gegenüber denjenigen zu benachteiligen, die sich auf die Erfüllung des Arbeitsvertrages oder die kaug-rechtliche Sicherung allein verlassen. Daß der Bezug von Arbeitslosengeld nicht in allen Fällen die Arbeitslosen-Krankenversicherung unwiderruflich macht, hat auch der 3. Senat entschieden (vgl BSG SozR 4100 § 155 Nr 4).
Dies hat zunächst zur Folge, daß die von der Beklagten verwaltete Kaug-Versicherung für den Teil des um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses einstehen muß, den der Arbeitnehmer noch zu beanspruchen hat (§ 141d AFG). Soweit die Beklagte schon infolge des Forderungsübergangs nach § 117 Abs 4 AFG Inhaberin des Arbeitsentgeltanspruchs geworden ist, hat die Kaug-Versicherung unmittelbar an sie zu leisten, was durch eine interne Umbuchung von Kaug-Vermögen ("Kaug-Ausgabetitel") auf das der Beklagten als Trägerin der Arbeitslosenversicherung geschehen kann.
Gleiches gilt gem § 59 Abs 2 Satz 1 2. Alternative KO auch für die Ansprüche der Träger der Sozialversicherung und der BA auf Beiträge.
Die Kaug-Regelung bewirkt eine Verlagerung der Arbeitsentgelt- und Beitragsschuld vom insolventen Arbeitgeber auf die BA als Trägerin der Kaug-Versicherung. Das bedeutet, daß dem Arbeitnehmer, den Sozialversicherungsträgern und der Arbeitsverwaltung aus dem Arbeitsentgeltanspruch des Arbeitnehmers diejenigen Beträge zufließen müssen, die sie erhalten hätten, wenn der Arbeitgeber seiner Zahlungspflicht nachgekommen wäre. Nach § 141n Satz 1 AFG werden die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung von dem Arbeitsentgelt berechnet, das der Arbeitnehmer für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses zu beanspruchen hatte, und von der BA entrichtet, die materiell-rechtlich in die Rechtsposition des Arbeitgebers als Schuldner der Beitragsforderung eintritt. Sie ist damit - unter dem Kaug-Ausgabetitel - mit diesen Beiträgen belastet und ist Inhaberin der Beitragsforderung (§ 141n letzter Satz AFG in der für Versicherungsfälle vor dem 1. August 1979 geltenden Fassung).
Auch diese Masseschulden (§ 59 Abs 1 Nr 3e KO) werden ebenso wie die übergegangenen Lohnansprüche zu bevorrechtigten Konkursforderungen gem § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e KO zurückgestuft.
Allein dieses Ergebnis entspricht auch den gesetzlichen Wertungen. Für Arbeitnehmer, deren Lohnansprüche der Arbeitgeber wegen Zahlungsunfähigkeit nicht erfüllt, soll im Fall des Konkurses die von der Solidargemeinschaft der Arbeitgeber finanzierte Kaug-Versicherung einstehen; dies gilt auch für die Beitragsansprüche der Sozialversicherungsträger (§ 186b Abs 1 AFG). Die Beiträge für die nach § 155 AFG Versicherten hätte dagegen die BA zu tragen. Es ist kein Grund ersichtlich, Lohn- und Beitragsansprüche unterschiedlich zu behandeln. Sowohl im Konkursrecht als auch im Kaug-Recht werden sie gleichrangig behandelt. Ferner ist § 117 Abs 4 AFG eine Vorschrift zum Schutze des Arbeitnehmers; seine Anwendung darf ihm keinen Nachteil bringen. Gerade dies aber würde eintreten, wenn die BA ihren aus der Leistung von Beiträgen hergeleiteten Anspruch als Masseschuld geltend machen könnte. Denn dadurch würde die Masse zusätzlich belastet und der Anspruch des Arbeitnehmers auf restliche Lohnrückstände für den 4. - 6. Monat vor Eröffnung des Konkurses bei unzureichender Masse beeinträchtigt. Die in § 59 Abs 2 KO normierte Rückstufung auch der Beitragsansprüche dient gerade dazu, dies zu verhindern (s den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung BT-Drucks 7/2260, S 4 zu Art 2 § 1 Nr 1 Buchst c Kaug-Gesetzentwurf).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 84 |
ZIP 1982, 1462 |
Breith. 1983, 448 |