Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. April 1989 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 19. Mai 1988 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) dem Kläger Arbeitslosengeld (Alg) und Arbeitslosenhilfe (Alhi) nach den §§ 112, 136 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zu Recht auf der Grundlage des zuletzt im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) bezogenen Entgelts berechnet hat.
Der am 18. Januar 1928 geborene Kläger war bis zum 30. Juni 1983 als Wachmann beschäftigt. Ab 4. Juli 1983 bezog er Alg für 312 Tage und ab Juli 1984 Alhi. Er war vom 1. Oktober 1985 bis zum 30. April 1986 im Rahmen einer ABM beim Landkreis als Gartenarbeiter mit einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 2.018,34 DM beschäftigt. Anschließend bezog er wiederum Alhi in Höhe von wöchentlich 256,80 DM (= monatlich 13/3 = 1.112,80 DM) und ab Juli 1986 von wöchentlich 264,– DM (= monatlich 1.144,– DM) bei einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 675,– DM (= monatlich 2.925,– DM). Vom 27. Oktober 1986 bis zum 26. April 1987 war er wiederum im Rahmen einer ABM als Gartenarbeiter mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 2.018,34 DM beschäftigt.
Die Beklagte bewilligte ihm unter Zugrundelegung des im Bemessungszeitraum vom 1. Februar bis zum 26. April 1987 erzielten Bemessungsentgelts von 465,– DM für die Zeit vom 27. April 1987 bis zum 24. Dezember 1987 Alg und für die Zeit ab 25. Dezember 1987 Alhi in Höhe von wöchentlich 191,40 DM und ab 1. Januar 1988 in Höhe von 192,– DM. Ab 1. Februar 1988 bezieht der Kläger vorgezogenes Altersruhegeld (auszuzahlender Betrag monatlich 1.150,– DM = wöchentlich 265,– DM).
Der Kläger hat gegen die Berechnung des Alg (im Bescheid vom 19. Mai 1987 idF des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 1987) Klage erhoben. Es könne nicht rechtmäßig sein, daß er aufgrund der Beschäftigung in einer ABM ein Alg beziehe, das geringer sei als die zuvor bezogene Alhi.
Die nach Klageerhebung erfolgte Bewilligung von Anschluß-Alhi ab 25. Dezember 1987 mit Bescheid vom 13. Januar 1988 wurde zunächst zum 18. Februar 1988 (mit Bescheid vom 15. Februar 1988) und sodann zum 1. Februar 1988 (mit Bescheid vom 29. Februar 1988) aufgehoben.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit dem Antrag, die Beklagte in Abänderung der Bescheide vom 19. Mai und vom 6. Juli 1987 zu verurteilen, ab 27. April 1987 ein höheres Alg und ab 25. Dezember 1987 höhere Anschluß-Alhi zu zahlen, abgewiesen und im Urteilstenor die „Revision” und in den Entscheidungsgründen die „Berufung” zugelassen (Urteil vom 19. Mai 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers die Beklagte verurteilt, für die Zeit vom 27. April 1987 bis zum 24. Dezember 1987 ein höheres Alg und für die Zeit vom 25. Dezember 1987 bis zum 31. Januar 1988 höhere Alhi zu zahlen, jeweils nach Maßgabe des Arbeitsentgelts, nach dem die Alhi bis zum 25. Oktober 1986 bemessen worden ist unter Anpassung nach § 112a AFG (Urteil vom 25. April 1989).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Auf die Revision der Beklagten war das die Klage abweisende Urteil des SG wiederherzustellen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf höheres Alg und höhere Anschluß-Alhi nicht zu. Das LSG hat hierzu festgestellt, die Beklagte habe das Alg ab 27. April 1987 und die Anschluß-Alhi auf der Grundlage des nach § 112 Abs 2 und 3 AFG ermittelten Bemessungsentgelts korrekt berechnet. Darin liegt die Feststellung eines entsprechenden Tatbestandes. Die Verwendung von Rechtsbegriffen zur Tatsachenfeststellung ist nicht zu beanstanden, da über die Rechtsanwendung weder Streit bestand noch diese zweifelhaft sein kann.
Der Anwendung des § 112 Abs 2 und 3 AFG steht § 112 Abs 5 Nr 4 AFG, der auf die streitige Bezugszeit ab 27. April 1987 idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 (HBegleitG 1984) vom 22. Dezember 1983 (BGBl I S 1532) anzuwenden ist, nicht entgegen. Hiernach ist als Bemessungsentgelt für die Zeit einer Beschäftigung, die im Rahmen einer Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung nach den §§ 91 bis 96 AFG gefördert worden ist, mindestens das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, nach dem das Alg oder die Alhi zuletzt bemessen worden ist. Der Senat geht davon aus, daß die ABM, in der der Kläger zuletzt beschäftigt war, nach den §§ 91 bis 96 AFG gefördert wurde, nicht aber nach den §§ 97 ff AFG, was nach der Rechtsprechung nicht ausreichen würde (BSGE 54, 110 = SozR 4100 § 112 Nr 21; hierzu kritisch Heuer SGb 1983, 409 und Gagel, Kommentar zum AFG, § 112 RdNrn 253 ff). Das ist bei einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst im Hinblick auf § 97 Abs 1 Satz 2 AFG in der Fassung des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) anzunehmen, auch wenn die vom LSG verwandte Formulierung, der Kläger sei in einer ABM „nach §§ 91 ff AFG” beschäftigt gewesen, nicht eindeutig ist.
Der in § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 1 AFG angeordnete Rückgriff auf ein früher maßgebendes Bemessungsentgelt gilt nach § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG jedoch nicht, wenn der letzte Tag des für den bisherigen Anspruch maßgebenden Bemessungszeitraumes bei Entstehung des neuen Anspruchs länger als drei Jahre zurückliegt. Das war hier der Fall. Bei Entstehung des Anspruchs am 27. April 1987 lag der letzte Tag des Bemessungszeitraumes Mai 1983 mehr als drei Jahre zurück. In einem derartigen Fall war nach der bis zum 31. Dezember 1985 geltenden Rechtslage weder ein Rückgriff auf das letzte Bemessungsentgelt vor der Maßnahme, noch ein Rückgriff auf das erzielbare Entgelt im Sinne des § 112 Abs 7 AFG möglich, wie das BSG bereits entschieden hat (BSG Urteil vom 26. April 1989 – 7 RAr 98/87 –; Urteil vom 8. Juni 1989 – 7 RAr 40/88 –). Für die Anwendung des § 112 Abs 7 AFG genügt es nicht, daß es aus irgendwelchen Gründen unbillig hart wäre, von dem Arbeitsentgelt nach den Abs 2 bis 6 auszugehen. Dies muß vielmehr „mit Rücksicht auf die von dem Arbeitslosen in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit” unbillig hart sein. Danach kann die Höhe des Bemessungsentgelts, nach dem der Arbeitslose innerhalb der Dreijahresfrist Lohnersatzleistungen bezogen hat, eine Härte im Sinne dieser Vorschrift nicht begründen. Auch der Gesetzgeber ging bei Schaffung der für eine ABM geltenden Sonderregelung des § 112 Abs 5 Nr 4 AFG, die mit dem 4. AFG-Änderungsgesetz vom 12. Dezember 1977 in Abs 5 als Nr 2a eingefügt wurde, davon aus, daß bei Erfüllung einer neuen Anwartschaft auf Alg in einer ABM das dort erzielte Entgelt für die Bemessung ohne die Sondervorschrift auch dann maßgebend sei, wenn es erheblich niedriger als das zuvor maßgebende Bemessungsentgelt war.
Das LSG meint, die gesetzliche Regelung weise ab dem Inkrafttreten des 7. AFG-Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 1985 am 1. Januar 1986 hinsichtlich derjenigen Arbeitslosen, die das 58. Lebensjahr vollendet hätten, eine Lücke auf, die dahin zu schließen sei, daß die Fristbestimmung für diese Arbeitslosen nicht gelte. Dem vermag der Senat nicht zuzustimmen.
Dem LSG ist zwar darin zuzustimmen, daß es weitgehend als unbefriedigend angesehen wird, wenn die Teilnahme an einer ABM (§§ 91 bis 96 AFG) dazu führt, daß der Arbeitslose danach ein Alg erhält, dessen Höhe unter der Alhi liegt, die er ohne Teilnahme an der ABM weiterhin erhalten hätte, wobei der Übergang zur Anschluß-Alhi eine noch weitergehende Einbuße bewirkt (ähnlich SG Hildesheim Breithaupt 1988, 239 f).
Diese Härte war jedoch nach dem vor dem 1. Januar 1986 geltenden Recht hinzunehmen, zumal auch eine nicht als ABM geförderte Beschäftigung gleicher Dauer zu der beschriebenen Leistungseinbuße führt. Beide „Härten” treffen ältere und jüngere Arbeitslose in annähernd gleicher Weise. Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber mit dem 7. AFG-Änderungsgesetz eine andere Lösung wollte, werden weder im angefochtenen Urteil noch in der Entscheidung des SG Hildesheim aufgezeigt. Das 7. AFG-Änderungsgesetz läßt die schon zuvor als unbefriedigend anzusehende Regelung nicht „noch unbefriedigender” erscheinen. Auch kann ihm keine andere bestimmte Lösung entnommen werden. Während das Berufungsgericht in entsprechender Anwendung des § 112 Abs 5 Nr 4 AFG auf das länger als drei Jahre zurückliegende letzte Bemessungsentgelt zurückgreifen will, ist nach Auffassung des SG Hildesheim in entsprechender Anwendung des § 136 Abs 2b AFG auf das erzielbare Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 7 AFG abzustellen. Würde mit diesen Entscheidungen eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Gesetzeslücke angenommen, so stünde deren Schließung im Wege der Rechtsprechung entgegen, daß die vorhandene gesetzliche Regelung keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür bietet, mit welchem Ergebnis sie nach dem Willen des Gesetzgebers auszufüllen wäre (vgl hierzu BSG Urteil vom 7. September 1988 – 11 RAr 25/88 – und SozR 2200 § 1304a Nr 10 auf Blatt 17).
Überdies sind beide Lösungswege mit dem Willen des Gesetzgebers nicht zu vereinbaren. Für die Berechnung des aufgrund einer ABM erworbenen Alg-Anspruchs kann die Anwendbarkeit des § 112 Abs 7 AFG nicht aus § 136 Abs 2b AFG abgeleitet werden. Hiernach ist das für die Bemessung der Alhi maßgebende Arbeitsentgelt jeweils nach Ablauf von drei Jahren seit dem Ende des Bemessungszeitraumes nach § 112 Abs 7 AFG (also nach dem erzielbaren Entgelt) neu festzusetzen. Die Vorschrift kann unabhängig von Zweifeln an ihrer Tragweite weder nach ihrer Zielsetzung noch im Zusammenhang mit der ebenfalls im 7. AFG-Änderungsgesetz erfolgten Neuregelung der Berechnung der originären Alhi dahin verstanden werden, daß ein Arbeitsloser nach einer im Rahmen einer ABM erfolgten anwartschaftsbegründenden Beschäftigung Anspruch auf Alg und Anschluß-Alhi zumindest dann unter Berücksichtigung des iS des § 112 Abs 7 AFG erzielbaren Arbeitsentgelts habe, wenn zuvor ohne Teilnahme an der Maßnahme die Alhi nach § 136 Abs 2b AFG neu festgesetzt worden wäre.
Ob diese Regelung nach ihrer Zielsetzung lediglich eine Herabbemessung rechtfertigt, oder auch eine Heraufbemessung, soweit sie eine frühere Herabbemessung rückgängig macht, oder sogar eine Bemessung, die das bei Entstehung des Anspruchs maßgebende Bemessungsentgelt übersteigt, ist nicht ohne weiteres einsichtig. Nach der Begründung des Gesetzentwurfes der Fraktionen der CDU/CSU und FDP (BT-Drucks 10/3923 zu Nr 30 Buchst d Abs 2b) soll die Alhi nach jeweils drei Jahren – alle positiven und negativen Entwicklungen berücksichtigend – neu nach dem Arbeitsentgelt der Beschäftigung bemessen werden, für die der Arbeitslose künftig in Betracht kommt. Die Vorschrift soll danach auch eine Heraufbemessung zumindest bis zu der Höhe des ursprünglichen Bemessungsentgelts ermöglichen. Gleichwohl bleibt es zweifelhaft, ob bei der Neubemessung das erzielbare Arbeitsentgelt auch dann maßgebend sein soll, wenn es höher liegt, als je vom Arbeitslosen verdient (so Kühl in Hennig/Kühl/Heuer, Arbeitsförderungsgesetz, § 136 RdNr 13), also auch höher, als das bei Entstehung des Anspruchs maßgebende Bemessungsentgelt.
Der § 136 Abs 2b AFG kann jedoch gerade im Zusammenhang mit der Neuregelung der Bemessung der originären Alhi nicht in diesem Sinne ausgelegt werden. Die Alhi wurde bis zum Inkrafttreten des 7. AFG-Änderungsgesetzes nach dem erzielbaren Arbeitsentgelt im Sinne des § 112 Abs 7 errechnet, während für die Anschluß-Alhi das tatsächlich erzielte Bemessungsentgelt maßgebend war. Nach dem 7. AFG-Änderungsgesetz ist auch in den Fällen originärer Alhi in der Regel das zuletzt erzielte Arbeitsentgelt (§ 112 Abs 3) maßgebend. Hierdurch sollten unterschiedliche Ergebnisse bei der Bemessung, die sich für das Alg und die Anschluß-Alhi einerseits sowie die originäre Alhi andererseits ergeben hatten, vermieden werden (BT-Drucks 10/3923 zu Nr 30 Buchst b aa).
Die aufgetretenen unterschiedlichen Ergebnisse wurden wohl deshalb als unbefriedigend angesehen, weil die im Falle der originären Alhi gebotene Bemessung nach dem erzielbaren Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 7 AFG zu günstigeren Ergebnissen führte, als eine Berechnung nach dem zuletzt erzielten Bemessungsentgelt. Das beruht darauf, daß im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG nicht der Tariflohn maßgebend ist, den der Arbeitslose mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erzielt hätte, sondern der höchste in Betracht kommende (und nicht ausgeschlossene) Tariflohn. Diese Auslegung der nach § 112 Abs 7 AFG maßgebenden „Beschäftigung, für die der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt”, hat ihre Ursache darin, daß § 112 Abs 7 AFG eine doppelte Funktion hat. Sie dient einmal der Herabbemessung unter das zuvor tatsächlich bezogene Bemessungsentgelt. Insoweit ist die Auslegung im Sinne der günstigsten noch in Betracht kommenden Verdienstmöglichkeit geboten (vgl SozR 4100 § 136 Nr 3). Demgegenüber erscheint im Falle der Erstbemessung eine Anknüpfung an den mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erzielenden Verdienst gerechter. Das läßt es problematisch erscheinen, wenn der Gesetzgeber in § 112 Abs 7 AFG für die Erstbemessung und für die Herabbemessung eine einheitliche Regelung trifft.
Das 7. AFG-Änderungsgesetz hat diese Problematik nicht dahin gelöst, daß jedem Arbeitslosen zumindest das erzielbare Bemessungsentgelt iS des § 112 Abs 7 AFG garantiert wird, sondern hat im Gegenteil für die meisten Fälle der originären Alhi die Berechnung nach dem zuletzt erzielten Arbeitsentgelt vorgeschrieben. Das legt die Annahme nahe, daß das im Bemessungszeitraum tatsächlich erzielte Entgelt auch bei der Neufeststellung als Obergrenze zu beachten ist. Ein Grundsatz, daß mindestens das erzielbare Entgelt nach § 112 Abs 7 AFG als Bemessungsentgelt heranzuziehen ist, ist der Vorschrift weder für die Alhi zu entnehmen, noch könnte ein solcher Grundsatz auf das Alg übertragen werden. Desgleichen kann aus dem Umstand, daß § 112 Abs 5 Nr 10 AFG einem Arbeitslosen, der als Gefangener beitragspflichtig war, das Arbeitsentgelt nach Abs 7 zuordnet, nicht entnommen werden, daß der Gesetzgeber diesen Status auch den übrigen Arbeitslosen als Mindeststandard garantieren wollte. Damit verbleibt es auch für die Zeit nach dem Inkrafttreten des 7. AFG-Änderungsgesetzes dabei, daß jüngere Arbeitnehmer, die vor einer ABM Alhi bezogen haben, beim Erwerb einer erneuten Anwartschaft auf Alg dann, wenn der letzte Bemessungszeitraum mehr als drei Jahre zurückliegt, Alg nach Maßgabe des in der ABM erzielten Entgelts erhalten.
Dem 7. AFG-Änderungsgesetz kann nicht entnommen werden, daß der geringere Zwischenverdienst in diesen Fällen nur bei jüngeren Arbeitslosen zu einer Minderung von Alg und Anschluß-Alhi führt, nicht aber bei älteren Arbeitslosen. Die §§ 112 Abs 10 und 136 Abs 2c AFG sollen ältere Arbeitnehmer vor einer Herabbemessung schützen. Sie sollen dazu führen, daß ein älterer Arbeitsloser die gleichen Leistungen wie ein jüngerer vergleichbarer Arbeitsloser auch dann erhält, wenn das noch erzielbare Einkommen sinkt. Sie sollen aber nicht bewirken, daß der ältere Arbeitslose trotz sinkender Erwerbschancen mehr erhält, als ein vergleichbarer jüngerer Arbeitsloser. Soweit eine Minderung des tatsächlich erzielten Bemessungsentgelts nach Maßgabe des noch erzielbaren Entgelts nicht in Rede steht, ist also für eine Anwendung des Rechtsgedankens dieser Vorschriften kein Raum. Damit ist der Schlußfolgerung des LSG der Boden entzogen, wenn der Gesetzgeber einerseits in § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG die Berücksichtigung von länger als drei Jahre zurückliegenden Arbeitsentgelten ausschließe, weil bei ihnen die Vermutung nicht mehr gerechtfertigt sei, daß der Arbeitslose dieses Bemessungsentgelt auch in Zukunft noch verdienen könne (BT-Drucks 8/1053 S 13 zu Art 1 Nr 6 Buchst b), und andererseits im 7. AFG-Änderungsgesetz zum Ausdruck bringe, daß es für die Höhe von Alg und Alhi ohne Bedeutung bleibe, wenn ein Arbeitsloser nach Vollendung des 58. Lebensjahres nicht mehr in der Lage sei, das Bemessungsentgelt zu erzielen (§ 136 Abs 2c, § 105c, § 112 Abs 10 AFG idF des 7. AFG-Änderungsgesetzes), so sei eine Herausnahme der älteren Arbeitslosen aus der Dreijahresfrist nur versehentlich unterblieben.
Der vom LSG befürwortete Rückgriff auf ein länger als drei Jahre zurückliegendes Bemessungsentgelt kann auch nicht auf eine am Gleichheitssatz orientierte verfassungskonforme Gesetzesauslegung gestützt werden. Denn eine solche Auslegung würde keineswegs zu „gerechteren” Ergebnissen führen. Auf die dann gegebene Benachteiligung jüngerer Arbeitsloser, die an einer ABM teilgenommen haben, wurde bereits hingewiesen. Die Sonderregelung für ABM galt früher in der Fassung des 4. AFG-Änderungsgesetzes auch für andere Beschäftigungen bis zur Dauer eines Jahres. Wird dem Arbeitslosen eine einjährige Beschäftigung angeboten, so ist es für ihn ohne Bedeutung, ob der Arbeitgeber ihn nur bei Förderung nach den §§ 91 bis 96 AFG einstellt, oder aber auch ohne eine solche Förderung. Der Gesetzgeber hat die nicht geförderte Beschäftigung mit dem AFKG vom 22. Dezember 1982 gestrichen „als Folge der vom Ausschuß beschlossenen Verlängerung der Anwartschaftszeit für den Anspruch auf Alg von 6 Monaten auf 10 Monate” (BT-Drucks 9/966 zu Art 1 § 1 Nr 32 zu Buchst b). Würde die Privilegierung der ABM durch Einschränkung der Dreijahresfrist für ältere Arbeitnehmer verstärkt, so würde die Ungleichbehandlung mit nicht als ABM geförderten Beschäftigungen gleicher Dauer verstärkt. Es muß deshalb bei der vom Gesetzeswortlaut her gebotenen Auslegung verbleiben. Eine generalisierende Regelung, daß bei älteren Arbeitslosen stets der bei Vollendung des 58. Lebensjahres erzielbare Lohn maßgebend sein soll, hat der Gesetzgeber jedenfalls nicht getroffen.
Das LSG beruft sich in diesem Zusammenhang zu Unrecht auf § 105c AFG. Hiernach hat Anspruch auf Arbeitslosengeld auch, wer das 58. Lebensjahr vollendet hat und die in den §§ 101 bis 103 genannten Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld allein deshalb nicht erfüllt, weil er nicht bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder an zumutbaren beruflichen Bildungsmaßnahmen teilzunehmen. Danach können ältere Arbeitslose die Teilnahme an einer ABM ohne Einbuße ihres Leistungsanspruchs ablehnen, wenn sie die Auswirkung des § 105c Abs 2 AFG in Kauf nehmen, daß sie aufgefordert werden können, innerhalb eines Monats Altersruhegeld zu beantragen. Diese Möglichkeit läßt einen weitergehenden Schutz entbehrlich erscheinen und spricht damit eher gegen die Annahme einer Gesetzeslücke.
Das Klagebegehren ist auch nicht aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch wegen Verletzung einer Beratungspflicht (Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, § 14) begründet. Hierzu hat der 7. Senat des BSG bereits entschieden, das verwirklichte Tatbestandsmerkmal der Anwartschaftszeit lasse sich nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs als nicht gegeben fingieren (BSG Urteil vom 12. Juli 1989 – 7 RAr 62/88 –). Das wird damit begründet, im Wege des Herstellungsanspruchs könnten zwar „gewisse sozialrechtliche Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen, wie etwa eine verspätete Antragstellung, eine verspätete Beitragsentrichtung, eine verspätete Vorlage von Unterlagen als erfüllt angesehen werden”; das gelte jedoch nicht für außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses liegende Tatbestände, die nach materiellem Recht für das Entstehen des Sozialrechtsanspruches erforderlich seien. Auf dieser Grundlage hat der 7. Senat bereits entschieden, daß der Herstellungsanspruch es nicht erlaubt, anstelle des wirklich erfüllten Sachverhalts den bei pflichtgemäßem Verhalten sich ergebenden Sachverhalt zu unterstellen (in den Fällen des Steuerklassenwechsels, des erzielten Arbeitsentgelts, der für den Winterbau getroffenen Schutzvorkehrungen, der Verfügbarkeit, der fehlenden Anwartschaftszeit, fehlender Eingliederungschancen, der Merkmale des in den Vorruhestand getretenen früheren Arbeitnehmers und der fehlenden Vorfrist, zB im Sinne des § 134 Abs 3a Nr 2 AFG). Demgegenüber haben der 5. Senat im Urteil vom 21. Februar 1980 (SozR 2200 § 313 Nr 6) eine Austrittserklärung aus der freiwilligen knappschaftlichen Krankenversicherung und im Urteil vom 30. Oktober 1985 (SozR 2200 § 1241a Nr 9) die Verzögerung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme mit der Folge, daß der Bemessungszeitraum nunmehr im Sinne des § 1241a Abs 2 RVO länger als drei Jahre zurücklag, und der erkennende Senat im Urteil vom 23. September 1981 (BSGE 52, 145 = SozR 1200 § 14 Nr 12) die Gewährung eines medizinischen Heilverfahrens mit der Folge, daß ein Anspruch auf Erstattung rechtmäßig entrichteter Rentenversicherungsbeiträge erlosch, im Wege des Herstellungsanspruchs als ungeschehen angesehen, wobei allerdings eine Verletzung der Beratungspflicht im konkreten Fall abgelehnt wurde. Die Rechtsprechung zur Krankenversicherung räumt dem Versicherten bei selbstbeschaffter Heilbehandlung einen Kostenerstattungsanspruch ein, wenn er auf den richtigen Weg zur Behandlung als Kassenleistung pflichtwidrig nicht hingewiesen wurde (vgl SozR 2200 § 182 Nr 57). Wird der Versicherte pflichtwidrig über seine mit dem Tage des Rentenantrages eingetretene Pflichtmitgliedschaft nicht aufgeklärt, und trägt er deshalb anfallende Krankheitskosten selbst oder über eine private Krankenversicherung, so schließt dies den an sich gegebenen Beitragsanspruch aus, wie der 12. Senat in einem Urteil vom 17. Dezember 1980 (BSGE 51, 89 = SozR 2200 § 381 Nr 44) zum Herstellungsanspruch entschieden hat. Der 5. Senat hat im Urteil vom 24. März 1988 (BSGE 63, 112 = SozR 1200 § 14 Nr 28) im Wege des Herstellungsanspruchs den tatsächlichen Bezug von Arbeitslosengeld in Abgrenzung zu der angeführten Rechtsprechung des 7. Senats und der erkennende Senat hat im Urteil vom 27. April 1989 – 11 RAr 21/88 – den Bezug von Übergangsgeld im Wege des Herstellungsanspruchs fingiert.
Der Senat stimmt der Rechtsprechung des 7. Senats insoweit zu, als Sachverhalte betroffen sind, die zu erheblichen Vorteilen des Versicherten im Vergleich zu dem bei pflichtgemäßem Verhalten des Versicherungsträgers eingetretenen Sachverhalt geführt haben, die nicht rückabgewickelt werden können. Mit dem Herstellungsanspruch kann nicht das Ergebnis erzielt werden, daß der Versicherte die Vorteile des tatsächlichen Geschehensablaufs behält und zusätzlich die Vorteile erzielt, die ihm der hypothetische Sachverhalt erbracht hätte. Im Falle des erwähnten Heilverfahrens, das den Anspruch auf Beitragserstattung ausschloß (BSGE 52, 145), konnte das Heilverfahren durch Verrechnung der Kosten mit dem Beitragserstattungsanspruch gleichsam rückgängig gemacht werden. Im Falle einer entgeltlichen Beschäftigung, die bei pflichtgemäßer Beratung unterblieben wäre, ist dies dagegen nicht möglich. Das ist in der Rechtsordnung unter dem Gesichtspunkt des faktischen Arbeitsverhältnisses anerkannt. Der Kläger hat während des Arbeitsverhältnisses mehr verdient als er sonst an Alhi erhalten hätte. Er kann deshalb nicht zusätzlich fordern, in der Folgezeit so behandelt zu werden, als ob er durchgängig arbeitslos gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1172880 |
BSGE, 293 |