Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Urlaubsgeld bei der Berechnung des Übergangsgeldes. Urlaubsgeld
Orientierungssatz
Bei der Berechnung des Übergangsgeldes (§ 1241 Abs 1 iVm § 182 Abs 5 RVO) sind auch die Leistungen des Arbeitgebers zu berücksichtigen, die mindestens jährlich wiederkehrend gezahlt werden, wenn auf sie ein Rechtsanspruch des Versicherten entsprechend der Dauer seiner Beschäftigung besteht, sowie ihre Höhe und Fälligkeit feststehen oder zumindest bestimmbar sind (besondere Zuwendungen). Erforderlich ist weiterhin, daß sie dem Versicherten im Bemessungszeitraum zugeflossen sind; sie können nur bis zu dem zugeflossenen Betrag angerechnet werden, der im Bemessungszeitraum erzielt worden ist (Festhaltung an BSG 1981-09-16 4 RJ 55/80).
Normenkette
RVO § 1241a Abs 1 Fassung: 1974-08-07, § 1241 Abs 1 Fassung: 1974-12-21, § 182 Abs 4 Fassung: 1974-08-07, § 182 Abs 5 S 3 Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
SG Köln (Entscheidung vom 08.09.1980; Aktenzeichen S 4 J 167/79) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe des Übergangsgeldes.
Der Kläger war zuletzt - vor Beginn einer ihm von der Beklagten gewährten Rehabilitationsmaßnahme - bei der F - W AG beschäftigt; das Arbeitsentgelt war nach den Feststellungen des Sozialgerichts (SG) nach Monaten bemessen. Dem Kläger wurde entsprechend der Anzahl der in Anspruch genommenen Urlaubstage in den jeweiligen Lohnabrechnungszeiträumen der Monate März, Mai, Juni und Juli 1978 Urlaubsgeld gezahlt. Bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis stand jedem Mitarbeiter entsprechend dem Urlaubsanspruch und der Beschäftigungsdauer innerhalb des Kalenderjahres anteiliges Urlaubsgeld zu.
Am 2. Oktober 1978 begann die von der Beklagten als Berufsförderungsmaßnahme bewilligte Umschulung des Klägers zum Funkelektroniker. Mit Bescheid vom 13. Dezember 1978 bewilligte die Beklagte dem Kläger ein Übergangsgeld in Höhe von 85,76 DM; dabei wurde als letzter abgerechneter Lohnabrechnungszeitraum der Monat August 1978 zugrunde gelegt.
Auf das Schreiben des Klägers vom 13. März 1979, mit dem er die Berücksichtigung des Urlaubsgeldes forderte, teilte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 18. April 1979 mit, daß sie keine Veranlassung zur Neuberechnung des Übergangsgeldes sehe.
Auf den mit Einverständnis des Klägers dem SG zugeleiteten Widerspruch hat das SG Köln mit Urteil vom 8. September 1980 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Beklagte habe zu Recht das Urlaubsgeld als einmalige Zuwendung unberücksichtigt gelassen. Aber selbst wenn man der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) folge und das gewährte Urlaubsgeld nicht als "einmalige Zuwendung" ansehe, besitze der Kläger keinen Anspruch auf ein höheres Übergangsgeld. Das Urlaubsgeld sei jedenfalls dann nicht zu berücksichtigen, wenn es im Bemessungszeitraum nicht ausgezahlt worden sei. Wie die Arbeitgeberauskunft vom 2. November 1979 ausweise, habe der Kläger letztmalig im Juli 1978 Urlaubsgeld bezogen. Der letzte abgerechnete Lohnabrechnungszeitraum vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme sei jedoch der August 1978 gewesen.
Das SG hat im Urteil die Revision zugelassen; die Rechtsmittelbelehrung enthält keinerlei Hinweise auf dieses Rechtsmittel. Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung beim SG das schriftlich erklärte Einverständnis mit der Zulassung der Sprungrevision überreichen lassen; die schriftliche Zustimmung der Beklagten zur Einlegung der Sprungrevision ist am 3. September 1981 eingegangen.
Der Kläger hat die Revision eingelegt; er trägt vor: Die Rechtsauffassung des SG stehe im Widerspruch zu der Entscheidung des BSG vom 20. März 1980 - 11 RA 60/79 -; danach stelle das Urlaubsgeld keine einmalige Zuwendung dar. Richtig sei, daß dem Kläger im August 1978 kein Urlaubsgeld gezahlt worden sei. Habe ein Arbeitnehmer im Bemessungszeitraum Urlaub genommen und entsprechendes Urlaubsgeld ausgezahlt erhalten, so werde er entgegen Art 3 Grundgesetz besser gestellt als derjenige, der im Bemessungszeitraum keinen Urlaub genommen habe. Verstehe man den anteiligen Anspruch auf das Urlaubsgeld als Lohnbestandteil, so sei bei der Berechnung des Übergangsgeldes immer das anteilige Urlaubsgeld zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 8. September 1980
aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres
Bescheides vom 18. April 1979 insoweit zu verurteilen,
ihm ein höheres Übergangsgeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung im sozialgerichtlichen Urteil statthafte Revision des Klägers ist zulässig (§ 161 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Das von der Beklagten ursprünglich schriftlich erklärte Einverständnis mit der Zulassung der Sprungrevision genügte zwar nicht dem in § 161 Abs 1 SGG normierten Zustimmungserfordernis. Denn diese Erklärung war ausdrücklich auf eine Prozeßhandlung des Gerichts - die Zulassung der Revision - und nicht auf eine Prozeßhandlung des Gegners - die Einlegung der Revision - gerichtet (BSG in SozR 1500 § 161 Nr 3; ebenso das Urteil vom 3. Juni 1981 - 11 RA 4/81 -).
Da aber in dem Urteil des SG die Belehrung über den Rechtsmittelweg der Sprungrevision unterblieben war, bestimmte sich die Revisionsfrist nach § 66 Abs 2 SGG (BSG in SozR 1500 § 66 Nrn 7 und 10). Die erforderliche Zustimmung der Beklagten mit der Einlegung der Sprungrevision ist innerhalb der noch laufenden Jahresfrist nachgereicht worden.
Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Gewährung eines höheren Übergangsgeldes verneint. Der Bescheid der Beklagten vom 18. April 1979, mit dem die Beklagte, ohne sich auf die gemäß § 77 SGG eingetretene Bindungswirkung des Bescheides vom 13. Dezember 1978 zu berufen, den Kläger erneut sachlich beschieden hatte, entspricht, soweit er noch angegriffen wird, der geltenden Rechtslage.
Bei der Gewährung berufsfördernder Maßnahmen ist nach § 1241a Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) das Übergangsgeld, wenn der letzte Tag des Bemessungszeitraumes zu Beginn der Maßnahme nicht länger als drei Jahre zurückliegt, gemäß § 1241 Abs 1 RVO zu berechnen. Diese Vorschrift verweist ihrerseits auf die in § 182 Abs 4 und Abs 5 RVO zur Berechnung des Krankengeldes getroffenen Regelungen. Einschlägig ist die Berechnungsvorschrift des § 182 Abs 5 Satz 3 RVO, denn nach den mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen und damit für das Revisionsgericht nach § 163 SGG bindenden Tatsachenfeststellungen des SG war das Entgelt des Klägers nach Monaten bemessen. Die entsprechend anzuwendende Vorschrift des § 182 Abs 5 Satz 3 RVO bestimmt, daß der 30. Teil des in dem letzten vor Beginn der Maßnahme abgerechneten Kalendermonats erzielten und um einmalige Zuwendungen verminderten Entgelts als Regellohn gilt.
Der vom SG vertretenen Rechtsauffassung, das dem Kläger im Kalenderjahr 1978 zustehende Urlaubsgeld müsse schon deshalb unberücksichtigt bleiben, weil es als "einmalige Zuwendung" bei der Berechnung außer Betracht zu bleiben habe, kann allerdings nicht beigetreten werden. Sie steht in Widerspruch zu der - nunmehr bereits ständigen - Rechtsprechung des BSG. Danach stellen, unabhängig von der gewählten Bezeichnung, zusätzliche Leistungen des Arbeitgebers dann keine "einmaligen Zuwendungen" dar, wenn der Versicherte auf diese Leistungen einen Rechtsanspruch hat, Höhe und Fälligkeit von vornherein feststehen und diese Leistungen in der Weise Bestandteile des Jahresarbeitsentgelts bilden, daß bei vorzeitigem Ausscheiden ein Anspruch auf anteilige Zahlung besteht (vgl das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 16. September 1981 - 4 RJ 55/80 - mit weiteren Rechtsprechungsangaben).
Aus der vom Gesetzgeber mit dem 10. Buch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) vom 18. August 1980 (BGBl I S 1469, ber. S 2218) in § 112 Abs 2 Satz 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) eingeführten Neuregelung läßt sich entnehmen, daß auch der Gesetzgeber derartige jährlich wiederkehrende Leistungen nicht als "einmalige Zuwendungen" ansieht. Sie unterscheiden sich von dem laufenden Arbeitsentgelt nur dadurch, daß sie in größeren Zeitabständen als das laufende Arbeitsentgelt - zumeist jährlich - gezahlt werden (Beschlußempfehlung und Bericht zum Entwurf eines Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - in BT-Drucks 8/4022 auf S 90 zu § 2 Nr 3f - § 112 AFG).
Demgegenüber kann dem vom SG hervorgehobenen Gratifikationscharakter des Urlaubsgeldes keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden. Der Zahlungsanlaß kann für die sozialversicherungsrechtliche Qualifizierung des Urlaubsgeldes ebensowenig entscheidend sein wie der - formale - Gesichtspunkt des Zahlungsmodus. Die für derartige besondere Zuwendungen von den Arbeitsvertragsparteien gewählten Bezeichnungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld bedingen keine - rechtlich relevante - Zweckbindung derartiger Zahlungen; weder sind sie einem bestimmten Verwendungszweck gewidmet noch besteht gar eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, die Zuwendungen einem bestimmten Verwendungszweck zuzuführen. Die Unterschiede zwischen den vom Arbeitgeber gewährten besonderen Zuwendungen und dem laufenden Arbeitsentgelt bestehen vielmehr ausschließlich im zeitlichen Bezug und damit in quantitativer, nicht in qualitativer Hinsicht. Dabei folgt aus dem entsprechend der Beschäftigungsdauer sich ergebenden anteiligen Anspruch, daß die Zahlungen in bestimmten Zeiten erarbeitet werden, nicht anders als das laufende Arbeitsentgelt, und daß sie also leistungsmäßig diesen Zeiten anteilig zuzuordnen sind (so bereits die Urteile des erkennenden Senats vom 16. September 1981 - 4 RJ 55/80 - und 4 RJ 103/80 -).
Das SG hat seine klageabweisende Entscheidung zusätzlich darauf gestützt, daß das in den Monaten März, Mai, Juni und Juli 1978 gewährte Urlaubsgeld auch deshalb unberücksichtigt bleiben müsse, weil es im Bemessungszeitraum, dem Monat August 1978, nicht zugeflossen sei. Diese Auffassung ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Anders als die neu eingefügte Vorschrift des § 112 Abs 2 Satz 3 AFG, die unabhängig von der tatsächlich erfolgten Zahlung die anteilige Berücksichtigung mindestens jährlich wiederkehrender Zuwendungen vorsieht, setzen die - unverändert gebliebenen - gesetzlichen Regelungen für die Berechnung des Kranken- und des Übergangsgeldes in § 182 Abs 5 RVO weiterhin voraus, daß das der Berechnung zugrunde zu legende Arbeitsentgelt und damit auch besondere Zuwendungen wie das in Frage stehende Urlaubsgeld dem Versicherten im maßgeblichen Bemessungszeitraum zugeflossen sind. Denn nach dem Wortlaut des § 182 Abs 5 Satz 1 und Satz 3 RVO ist das im Bemessungszeitraum erzielte Entgelt der Berechnung zugrunde zu legen. Im Hinblick auf diesen Gesetzeswortlaut und den Sinn der Vorschrift hat auch der 11. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 20. März 1980 - 11 RA 60/79 - SozR 2200 § 1241 Nr 15, auf die sich das SG bezieht, ausdrücklich das Kriterium des Zuflusses als maßgebend für die Anrechenbarkeit angesehen. Der erkennende Senat vertritt diese Rechtsauffassung ebenfalls. Für eine - anteilige - Berücksichtigung des dem Versicherten zustehenden, aber im Bemessungszeitraum nicht gewährten Urlaubsgeldes fehlt es an der erforderlichen Rechtsgrundlage.
Der Senat verkennt nicht, daß die rechtliche Qualifizierung der besonderen Zuwendung als laufendes Arbeitsentgelt es auch als möglich erscheinen ließe, sie ohne Rücksicht auf den - zufälligen - Auszahlungszeitpunkt mit ihrem Gesamtbetrag anteilig auf den gesamten Bezugszeitraum zu verteilen. Bei einer solchen Gestaltung wäre es unerheblich, welche Zeitspanne der für den Versicherten maßgebende Bemessungszeitraum erfaßte, weil in allen Fällen die besondere Zuwendung in gleicher Höhe erscheinen würde. Einer derartigen Lösung stehen jedoch gewichtige Bedenken entgegen; sie würde letztlich die Bemessung der Leistung nicht mehr am effektiven Arbeitseinkommen des Versicherten, sondern an bloß errechneten Ansprüchen orientieren und somit der Unmittelbarkeit des Lohnersatzes nicht mehr Rechnung tragen. Zudem würde eine solche leistungsrechtliche Lösung auch entsprechende beitragsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen müssen; eine derartig einschneidende Änderung muß jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben (ebenso der 11. Senat aaO).
Gegen die Berücksichtigung der besonderen Zuwendungen nur im Zeitpunkt des Zufließens bestehen nach Auffassung des Senats auch keine durchschlagenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie entspricht der Konzeption des Gesetzes, für die Höhe des Kranken- und Übergangsgeldes grundsätzlich auf das im Bemessungszeitraum tatsächlich zugeflossene Entgelt abzustellen und es als künftig entgehendes Entgelt zu fingieren. Diese Methode ist sachgerecht und überschreitet damit nicht den Rahmen gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit (BSG, Urteil vom 30. Juni 1981 - 5b/5 RJ 156/80 -; vgl auch BSG in SozR 2200 § 1241 Nr 9): Der Lebensstandard eines Arbeitnehmers wird nämlich typischerweise bestimmt von den Einnahmen aus Erwerbsarbeit, die er tatsächlich erhält und nicht von der Höhe etwaiger als Berechnungsgröße zu ermittelnder Ansprüche; denn nur die tatsächlich zugeflossenen Mittel kann er zur Bestreitung des Lebensunterhalts verwenden. Der Zweck des Übergangsgeldes wie des Krankengeldes ist es, dem Arbeitnehmer die Aufrechterhaltung seines bisherigen Lebensstandards zu ermöglichen. Das Gesetz hat eine nicht zu beanstandende Gestaltung der Lohnersatzleistung gewählt, wenn es an einem bestimmten Zeitraum kurz vor dem eingetretenen Einkommensverlust anknüpft, um dadurch ein aktuelles Lohnniveau zu erhalten; andererseits durfte es aber Entgeltschwankungen außerhalb dieses Zeitraumes außer Betracht lassen, um die schnelle Berechnung der Leistungen zu gewährleisten und damit ihre Effektivität zu sichern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen