Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschiedenen-Witwenrente. Unterhaltsanspruch. eheliche Lebensverhältnisse. Erwerbstätigkeit der geschiedenen Frau

 

Orientierungssatz

1. Der Betrag, der als Unterhalt iS des § 65 S 1 RKG (= § 1265 S 1 RVO) anzusehen ist, muß wenigstens 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe - ohne Aufwendungen für Unterkunft - ausmachen (vgl BSG 1982-05-12 5b/5 RJ 30/80 = BSGE 53, 256).

2. Für den Anspruch aus § 65 S 1 RKG (= § 1265 S 1 RVO) kommt es darauf an, ob die geschiedene Ehefrau einen Unterhaltsanspruch zur Zeit des Todes des Versicherten hatte, womit der letzte wirtschaftliche Dauerzustand gemeint ist (vgl BSG 1982-06-01 1 RA 53/80 = SozR 2200 § 1265 Nr 64).

3. Zur Bestimmung des Unterhaltsanspruchs zur Zeit des Todes sind die ehelichen Lebensverhältnisse zur Zeit der Scheidung auf den Zeitpunkt des Todes des Versicherten zu übertragen (vgl BSG 1968-10-29 4 RJ 421/67 = BSGE 28, 267). Wenn zur Zeit der Scheidung allein der Versicherte Einkünfte hatte, kann eine solche "Projektion" unterbleiben, falls die Einkommensentwicklung des Versicherten im wesentlichen der allgemeinen Entwicklung entsprochen hat, das spätere Einkommen mithin im großen und ganzen noch das eheliche Lebensniveau widerspiegelt (vgl BSG 1981-08-13 11 RA 48/80 = SozR 2200 § 1265 Nr 56).

4. Wurde eine unterhaltsberechtigte Ehefrau erst nach der Scheidung berufstätig, so ist nur das Einkommen des Mannes maßgebend für die ehelichen Lebensverhältnisse.

 

Normenkette

RKG § 65 S 1; RVO § 1265 S 1; EheG § 58 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Urteil vom 14.06.1983; Aktenzeichen L 2 Kn 4/82)

SG für das Saarland (Entscheidung vom 14.12.1981; Aktenzeichen S 8 Kn 28/80)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Geschiedenen-Witwenrente nach § 65 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG).

Die 1923 geborene Klägerin war mit dem Versicherten W. N. kinderlos verheiratet. Mit Urteil vom 7. November 1961 wurde die Ehe nach § 42 des Ehegesetzes (EheG) aus Alleinverschulden des Versicherten geschieden. Zu dieser Zeit war der Versicherte als Fördermaschinist im Saarbergbau mit einem Monatseinkommen von etwa 500 bis 550 DM tätig. Die Klägerin war nicht berufstätig. Am 19. Januar 1968 wurde der Versicherte verurteilt, an die Klägerin eine monatliche Unterhaltsrente von 50 DM zu zahlen; er zahlte bis zu seinem Tode in dieser Höhe. Die Klägerin nahm nach der Ehescheidung eine Erwerbstätigkeit auf. Am 18. August 1966 heiratete der Versicherte die Beigeladene. Auch diese Ehe blieb kinderlos.

Ab 1. Januar 1979 bezog der Versicherte Knappschaftsrente wegen der am 14. August 1978 eingetretenen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 1.566,30 DM. Am 11. August 1979 verstarb er. Die Klägerin hatte in der Zeit vom September 1978 bis August 1979 ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von 945,49 DM.

Die Beklagte gewährte der Beigeladenen ab 1. September 1979 Witwenrente und lehnte den Antrag der Klägerin auf Geschiedenen-Witwenrente mit Bescheid vom 17. Januar 1980 und Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1980 ab. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. Dezember 1981). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 14. Juni 1983 das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von Geschiedenen-Witwenrente an die Klägerin verurteilt. Es hat ausgeführt, § 65 RKG stelle auf den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten ab. Da der Versicherte ab 1. Januar 1979 Rente bezogen habe, sei die Zeit vom 1. Januar 1979 bis zu seinem Tode am 11. August 1979 der letzte wirtschaftliche Dauerzustand gewesen. Nach der sogenannten Düsseldorfer Tabelle habe die Klägerin zwei Fünftel der Differenz zwischen dem ihr und dem dem Versicherten zufließenden Einkommen zu erhalten gehabt. Das seien 240 DM gewesen. Der Regelsatz der Sozialhilfe habe zu dieser Zeit 290 DM ausgemacht. Die Klägerin habe demnach zur Zeit des Todes gegen den Versicherten einen Unterhaltsanspruch gehabt, der ein Viertel dieses Regelsatzes überschritten habe.

Die Beklagte und die Beigeladene haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügen eine Verletzung des § 65 RKG durch das Berufungsgericht.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen übereinstimmend, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 14. Dezember 1981 zurückzuweisen.

Die Beigeladene beantragt außerdem hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG ist zurückzuweisen.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Nach § 65 Satz 1 RKG erhält eine frühere Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden ist, nach dem Tode des Versicherten Rente, wenn der Versicherte ihr zur Zeit des Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) muß der Betrag, der als Unterhalt iS des § 65 RKG anzusehen ist, wenigstens 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe - ohne Aufwendungen für Unterkunft - ausmachen (BSGE 53, 256 = SozR 2200 § 1265 Nr 63). Nach den Feststellungen des LSG betrug der zeitlich und örtlich maßgebende Regelsatz der Sozialhilfe zur Zeit des Todes des Versicherten 290,00 DM monatlich. Die Klägerin erhielt jedoch nur 50,00 DM monatlich, also weniger als 25 vH. Sie hatte auch keinen Anspruch auf höheren Unterhalt.

Da die Klägerin vor dem 1. Januar 1977 geschieden wurde, richtet sich ihr Unterhaltsanspruch nach den §§ 58ff des EheG (Art 12 Nr 3 des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts -1. EheRG- vom 14. Juni 1976 BGBl I 1421). Gemäß § 58 Abs 1 EheG hatte der schuldig geschiedene Versicherte der Klägerin den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichten. Hinsichtlich der Frage, wie die ehelichen Lebensverhältnisse beschaffen gewesen sind, kommt es auf den Zeitpunkt der Scheidung an. Sinn dieser Regelung ist es, dem unterhaltsberechtigten Ehegatten den in der Ehe erworbenen Lebensstandard zu gewährleisten (BSGE 54, 34, 35 = SozR 2200 § 1246 Nr 66 mwN). Für das Maß des Unterhalts sind die gesellschaftliche Stellung der Ehegatten zur Zeit der Scheidung und ihre seinerzeitigen Einkommensverhältnisse maßgebend. Für den Anspruch aus § 65 Satz 1 RKG kommt es dagegen darauf an, ob die geschiedene Ehefrau einen Unterhaltsanspruch zur Zeit des Todes des Versicherten hatte, womit der letzte wirtschaftliche Dauerzustand gemeint ist (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 64 mwN). Zur Bestimmung des Unterhaltsanspruchs zur Zeit des Todes sind die ehelichen Lebensverhältnisse zur Zeit der Scheidung auf den Zeitpunkt des Todes des Versicherten zu übertragen (vgl BSGE 28, 267 = SozR Nr 47 zu § 1265 Reichsversicherungsordnung -RVO-). Wenn indes - wie hier - zur Zeit der Scheidung allein der Versicherte Einkünfte hatte, kann eine solche "Projektion" unterbleiben, falls die Einkommensentwicklung des Versicherten im wesentlichen der allgemeinen Entwicklung entsprochen hat, das spätere Einkommen mithin im großen und ganzen noch das eheliche Lebensniveau widerspiegelt (ebenso BSGE 52, 83 = SozR 2200 § 1265 Nr 56). Das LSG hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Verbesserung der Einkommensverhältnisse des Versicherten im Rahmen der normalen Einkommensentwicklung verlief. Daran ist der erkennende Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden.

Bei der Prüfung des angemessenen Unterhalts der Unterhaltsberechtigten hat das LSG der Frage, ob die Klägerin bereits während der Ehe berufstätig war oder dies erst nach der Trennung bzw der Scheidung wurde, zu Unrecht keine rechtliche Bedeutung beigemessen. Nach § 58 EheG kommt es für das Maß des zu gewährenden Unterhaltes auf die ehelichen Lebensverhältnisse an. Für sie macht es einen wesentlichen Unterschied, ob die unterhaltsberechtigte Ehefrau schon vor der Scheidung berufstätig war oder es erst später wurde. War sie schon vor der Trennung berufstätig oder wurde sie es zwischen Trennung und Scheidung, im letzteren Fall vorausgesetzt, daß die Tätigkeit auch ohne die Trennung der Parteien aufgenommen worden wäre (vgl BGH NJW 1984, 264, 295), so bestimmte das von der Ehefrau erzielte Einkommen mit die ehelichen Lebensverhältnisse. Bei der Quotierung des dem Unterhaltsberechtigten zustehenden Einkommensteiles bzw des dem Unterhaltspflichtigen zu belassenden Teils ist dann von dem Gesamteinkommen der (ehemaligen) Eheleute auszugehen (BSGE 32, 197 = SozR Nr 58 zu § 1265 RVO; BSGE 52, 83, 85 = SozR 2200 § 1265 Nr 56; BGH NJW 1984, 292). Wurde die unterhaltsberechtigte Ehefrau dagegen - wie im vorliegenden Fall - erst nach der Scheidung berufstätig, so war nur das Einkommen des Mannes maßgebend für die ehelichen Lebensverhältnisse. Nur davon - für die Anwendung des § 65 Satz 1 RKG angepaßt an die Zeit des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode - ist daher auch bei der Bemessung des Unterhaltes der Ehefrau auszugehen. Entgegen der Auffassung des LSG kann in einem solchen Falle der Unterhalt der Ehefrau nicht nach der sogenannten Differenzmethode (Verteilung der zwischen dem Einkommen des Unterhaltsberechtigten und des Unterhaltsverpflichteten bestehenden Differenz) vorgegangen werden (BGH NJW 84, 294, 295). Ebensowenig kann von dem Gesamteinkommen der Ehegatten ausgegangen und von dem Anteil des Unterhaltsberechtigten an diesem Gesamteinkommen dessen Einkommen abgezogen werden, wie es das BSG anstelle der von den Zivilgerichten zumeist angewandten Differenzmethode entsprechend der Düsseldorfer Tabelle getan hat (vgl hierzu BSGE 52, 83, 86 = SozR 2200 § 1265 Nr 56 mwN). Denn diese Methoden gehen davon aus, daß das Gesamteinkommen der (ehemaligen) Eheleute der Maßstab der ehelichen Lebensverhältnisse ist. Hat dagegen bei der Scheidung nur der Ehemann Einkünfte gehabt, ist - abweichend von den aufgezeigten Berechnungsweisen - die Subtraktionsmethode anzuwenden: Vom Einkommen des Unterhaltsverpflichteten, das allein die ehelichen Lebensverhältnisse bestimmt hat, ist der Unterhalt des Berechtigten zu errechnen und von diesem rechnerischen Unterhalt das eigene Einkommen des Berechtigten abzuziehen (so übereinstimmend BSG in SozR Nr 16 zu § 1265 RVO; BSGE 32, 197, 199; BSGE 52, 83, 85 = SozR 2200 § 1265 Nr 56 und BGH NJW 1981, 1609, 1611; 1984, 294, 295; 1782, 1784). Diese Methode ist allerdings für den unterhaltsberechtigten (ehemaligen) Ehegatten wesentlich ungünstiger. Sie kann dazu führen, daß der nachträglich erwerbstätig gewordene Ehegatte wegen seines Unterhaltes letztlich ganz oder überwiegend auf sein eigenes Einkommen verwiesen wird, während der andere Ehegatte sein Einkommen gegebenenfalls in voller Höhe für sich behält. Hierin liegt indes kein Verstoß gegen Art 3 Abs 2 Grundgesetz (GG). Durch diese Lösung wird vielmehr dem Grundsatz der eigenen Verantwortung jedes Ehegatten Rechnung getragen, der der heutigen gesetzlichen Unterhaltsregelung ebenso zugrunde liegt (vgl BGH NJW 84, 294, 295) wie der früheren in § 58 EheG. Auch § 58 EheG setzt nämlich voraus, daß der Unterhalt fordernde Teil nicht in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten und geht somit davon aus, daß er zunächst versuchen muß, sich selbst den eigenen Unterhalt zu beschaffen. Die Pflicht zur eigenen Erwerbstätigkeit war also für die ohne Verschulden geschiedene Frau grundsätzlich auch bereits unter der Geltung des alten Rechtes anerkannt und konnte nur im Einzelfall wegen Kindererziehung, Krankheit oder hohen Alters entfallen (vgl Lauterbach bei Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 21. Aufl, 1962, § 58 EheG Anm 3). Für das Vorliegen eines derartigen Ausnahmefalles besteht indes hier kein Anhalt.

Das LSG hat ohne Rechtsfehler den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand in der Zeit zwischen der Gewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente an den Versicherten und dessen Tod gesehen. In dieser Zeit hatte der Versicherte nach den Feststellungen des LSG ein Nettoeinkommen von 1.566 DM, die Klägerin etwa von 945 DM. Zwei Fünftel, drei Siebtel, ja auch die Hälfte des Einkommens des Klägers liegen unterhalb dessen, was die Klägerin selbst verdiente. Sie hatte damit keinen Anspruch auf Unterhalt gegen den Versicherten, da sie nicht unterhaltsbedürftig war. Sie selbst verdiente nämlich mehr als ihr nach ihren ehelichen Lebensverhältnissen bezogen auf den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand als Unterhalt hätte zustehen können.

Da die Klägerin somit weder einen Unterhalt von wenigstens 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe erhalten hat noch einen Unterhaltsanspruch auf einen höheren Betrag hatte, liegen die Voraussetzungen des § 65 Satz 1 RKG für eine Rentengewährung nicht vor. Da im Hinblick auf die Eheschließung des Versicherten mit der Beigeladenen die Anwendung des § 65 Satz 2 RKG ebenfalls nicht in Frage kommt, mußte den Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen stattgegeben werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662639

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