Entscheidungsstichwort (Thema)
Staffelung der Übergangsleistung
Leitsatz (redaktionell)
Die BG überschreitet nicht die Grenzen des ihr in BKVO 7 § 3 Abs 2 eingeräumten Ermessens noch macht sie von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch, wenn sie die Übergangsleistung dahin staffelt, daß in den ersten 18 Monaten der volle Verdienstausfall gewährt wird und dann 12 Monate 80 % des Verdienstausfalls.
Es kann offen bleiben, ob die anschließende Herabsetzung der Übergangsleistung um je ein Fünftel pro Jahr noch im Rahmen eines pflichtgemäßen Ermessens liegt.
Normenkette
BKVO 7 § 3 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1968-06-20
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 24. März 1976 und das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 19. September 1975 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger bezieht eine Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 der Berufskrankheitenverordnung (BKVO). Streitig ist, ob und in welchem Umfang die Beklagte verpflichtet ist, für die Leistungsdauer Lohnausgleich zu zahlen.
Der im Jahre 1925 geborene Kläger war Elektrohauer und mußte am 1. Dezember 1972 aus silikoseprophylaktischen Gründen an einen anderen Arbeitsplatz verlegt werden. In einem Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 25. April 1973 heißt es u.a.:
"Gem. § 3 der Berufskrankheitenverordnung wurden Sie am 1. Dezember 1972 an einen anderen Arbeitsplatz verlegt. Solange und insoweit Ihnen durch diese Maßnahme wirtschaftliche Nachteile entstehen, haben Sie Anspruch auf eine Übergangsleistung, längstens jedoch für die Dauer von 5 Jahren".
Mit Bescheiden vom 11. Juli und 21. Dezember 1973 setzte die Beklagte für die Zeit vom 1. Dezember 1972 bis zum 31. Oktober 1973 eine Übergangsleistung fest, die den vollen Lohnausgleich bis zur Höhe der Vollrente entsprach. Nach den gleichen Grundsätzen wurde im Bescheid vom 21. August 1974 die Übergangsleistung auch für die Zeit vom 1. November 1973 bis zum 31. Mai 1974 festgestellt, jedoch wurde in diesem Bescheid für den Monat Juni 1974 die Übergangsleistung nur noch in Höhe von vier Fünftel der wirtschaftlichen Nachteile festgesetzt.
Bereits vorher hatte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 28. Mai 1974 u.a. mitgeteilt:
"Ab 1.6.1974 werden auf Empfehlung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften, die sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 11.10.1973 (Az.: 8/7 RU 51/72) stützt, voraussichtlich folgende Übergangsleistungen unter Beachtung der Höchstgrenze (Vollrente) gewährt:
a) im ersten Jahr voller Ausgleich,
b) im zweiten Jahr vier Fünftel,
c) im dritten Jahr drei Fünftel,
d) im vierten Jahr zwei Fünftel,
e) im fünften Jahr ein Fünftel
der durch die vorbeugende Maßnahme bedingten wirtschaftlichen Nachteile."
Der gegen den Bescheid vom 21. August 1974 wegen der Festsetzung der Übergangsleistung für den Monat Juni 1974 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 1974 zurückgewiesen.
Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) für das Saarland mit Urteil vom 19. September 1975 den Bescheid vom 21. August 1974 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen. Nach dieser Rechtsauffassung ist die Staffelung der Übergangsleistung nach Fünfteln rechtsfehlerhaft. Gegen das Urteil hat das SG die Berufung zugelassen.
Die gegen das Urteil des SG eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland zurückgewiesen. Außerdem hat es auch noch einen Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 1975 aufgehoben, der gem. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens geworden sei, was SG und die Beteiligten verkannt hätten. In dem Bescheid vom 16. Juli 1975 hatte die Beklagte die Übergangsleistung für die Zeit vom 1. Juli 1974 bis zum 31. Mai 1975 ebenfalls nur noch in Höhe von vier Fünftel der wirtschaftlichen Nachteile festgesetzt. Eine Kürzung bzw. eine schematische Staffelung der Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 BKVO ist nach Ansicht des LSG grundsätzlich nicht zulässig. Der vom Bundessozialgericht (BSG) vertretenen Ansicht, daß kein Anspruch des Versicherten auf einen vollständigen Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile durch die Übergangsleistungen innerhalb des durch die Obergrenzen gezogenen Rahmens bestehe, könne nicht gefolgt werden, vielmehr sei der krankheitsbedingte Lohnausfall oder sonstige wirtschaftliche Nachteile des Versicherten infolge der silikosebedingten Maßnahme in voller Höhe - bis zur Vollrente als Obergrenze - auszugleichen. Von ihrer Funktion her sei die Übergangsleistung als modifizierte Zeitrente anzusehen, eine auf Zeit gewährte Rente dürfe aber auch nicht vom Versicherungsträger nach Ablauf eines Jahres nach der Bewilligung gekürzt werden. Der mit der Übergangsleistung erstrebte Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile stelle einen echten Schadensersatz dar. Eine schematische Kürzung bzw. Staffelung dieser Leistung stelle daher eine Überschreitung des dem Unfallversicherungsträger eingeräumten Ermessens dar. Die Beklagte habe dem Kläger zutreffend mit Schreiben vom 25. April 1973 mitgeteilt, dem Versicherten solle die Übergangsleistung "solange und insoweit ihm durch die silikosebedingte Maßnahme wirtschaftliche Nachteile entstehen" gewährt werden, längstens jedoch für die Dauer von 5 Jahren. Die Beklagte habe nur die Möglichkeit durch Gewährung von Berufshilfe und Berufsfürsorge die von ihr zu erbringenden Übergangsleistungen während des Fünfjahreszeitraumes zu verringern. Das habe sie beim Kläger aber gar nicht versucht. Auch habe sie nicht laufend geprüft, ob im vorliegenden Fall nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung bzw. ein Abgehen von der Kürzung um ein Fünftel geboten hätten. Auch insoweit liege eine Ermessensüberschreitung vor. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob nicht schon im Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 25. April 1973 ein begünstigender Verwaltungsakt zu erblicken sei, der nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts über den Vertrauensschutz nicht mehr zu Ungunsten des Klägers abgeändert werden konnte. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Mit der von der Beklagten eingelegten Revision macht diese geltend, das LSG sei ohne überzeugende Gründe von der Rechtsprechung des BSG abgewichen. Es liege im Rahmen des hier eingeräumten Ermessens, wenn sie für die fünfjährige Bezugsdauer einer Übergangsleistung nur im ersten Bezugsjahr einen vollen Ausgleich des Minderverdienstes vornehme und diesen in den darauf folgenden Jahren jeweils um ein Fünftel kürze. Die Staffelung solle dem Versicherten den Übergang in die neuen Lebens- und Lohnverhältnisse erleichtern. Die kontinuierliche Herabsetzung der Rente spreche den Willen des Verletzten zur Selbsthilfe an. Es möge zutreffen, daß dieses Staffelungssystem von den Betroffenen als ungerecht empfunden werde, es könne aber nicht als sozial unhaltbarer Zustand mit der Folge angesehen werden, daß gegen das Sozialstaatsprinzip verstoßen werde. Im Schreiben vom 25. April 1973 sei dem Kläger lediglich mitgeteilt worden, daß er dem Grunde nach einen Anspruch auf Übergangsleistungen habe, über die Höhe der Leistung seien keine Angaben gemacht worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 24. März 1976 und das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 19. September 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Nach seiner Ansicht legt die Beklagte die Rechtsprechung des BSG in einer Weise aus, die vom BSG nicht gewollt bzw. vor dieser Entscheidung auch von der Beklagten nur in aller Regel aufgrund der Empfehlung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften angewandt worden sei. Eine generelle Kürzung, wie sie heute an der Tagesordnung sei, sei nicht vorgenommen worden, was auch dadurch bewiesen werde, daß die Beklagte dem Kläger den vollen Ausgleich anderthalb Jahre lang gewährt habe.
Entscheidungsgründe
Die zugelassene Revision der Beklagten ist begründet.
Nach § 3 Abs. 2 BKVO ist dem Versicherten, der eine Tätigkeit einstellt, weil die Gefahr für die Entstehung, das Wiederaufleben oder die Verschlimmerung einer Berufskrankheit nicht zu beseitigen ist, vom Träger der Unfallversicherung zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Als Übergangsleistung wird entweder ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Jahresvollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe der Vollrente, längstens für die Dauer von fünf Jahren, gewährt.
Zunächst war zu prüfen, ob § 3 Abs. 2 BKVO dem Versicherungsträger bei der Festsetzung der Höhe und der Dauer der Übergangsleistung ein Ermessen einräumt, oder ob er für die Dauer von längstens fünf Jahren den vollen Minderverdienst bis zu der in § 3 Abs. 2 Satz 2 BKVO festgesetzten Höchstgrenze zu ersetzen hat. Bedeutsam ist für eine Auslegung der Vorschrift, ob die in § 3 Abs. 2 Satz 1 BKVO gewählte Formulierung "zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile" nur eine allgemeine Bestimmung des Zweckes der Übergangsleistung oder eine verbindliche Regelung für die festzusetzende Höhe der Übergangsleistung darstellt. Nach Ansicht des Senats ist daraus, daß der Gesetzgeber dem Versicherungsträger in § 3 Abs. 2 Satz 2 BKVO eine Wahlmöglichkeit eingeräumt hat, als Übergangsleistung entweder einen einmaligen Betrag bis zur Höhe der Jahresvollrente, der zwangsläufig nicht immer die volle Höhe der Minderung des Verdienstes erreichen kann, oder aber eine monatlich wiederkehrende Zahlung zu gewähren, zu schließen, daß er dem Versicherungsträger bei der Festsetzung der Übergangsleistung nicht nur bei der genannten Alternative, sondern ganz allgemein ein Ermessen einräumen wollte, so daß in der oben wiedergegebenen Formulierung in § 3 Abs. 2 Satz 1 BKVO nur eine allgemeine Bestimmung des Zwecks einer Übergangsleistung gesehen werden kann.
Weiter war zu prüfen, ob die Bescheide vom 21. August 1974 und vom 16. Juli 1975 insofern rechtswidrig sind, als die Beklagte, nachdem sie dem Kläger 18 Monate die volle Verdienstminderung ausgeglichen hatte, für die Zeit vom 1. Juni 1974 bis zum 31. Mai 1975 als Übergangsleistung nur einen Ausgleich von vier Fünfteln der Verdienstminderung gewährte. Rechtswidrig könnte die Festsetzung für die Zeit vom 1. Juni 1974 bis zum 31. Mai 1975 nur sein, wenn die Beklagte bei dieser Festsetzung die Grenzen ihres Ermessens überschritten oder von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Es sind keine Umstände erkennbar, die eine andere Handhabung des Ermessens zwingend gebieten könnten. Es kann im vorliegenden Fall daher dahinstehen, ob die Beklagte rechtswidrig handeln würde, wenn sie ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des einzelnen Falles eine starre Minderung der Entschädigung um jährlich ein Fünftel vornehmen würde.
Aus der Tatsache, daß die Beklagte dem Kläger den vollen Ausgleich nicht nur 12 Monate, sondern 18 Monate gewährt hat, kann dieser keine Rechte herleiten, ebenso nicht aus dem Schreiben der Beklagten vom 25. April 1973. Zwar wurde in diesem Schreiben ein Anspruch auf eine Übergangsleistung dem Grunde nach anerkannt, jedoch enthält dieses Schreiben keine Anerkennung einer bestimmten Leistungshöhe. Aus der gewählten Formulierung "solange und insoweit Ihnen durch die Maßnahme wirtschaftliche Nachteile entstehen, haben Sie Anspruch auf eine Übergangsleistung", kann lediglich der Schluß gezogen werden, daß der Anspruch vom Vorhandensein wirtschaftlicher Nachteile abhängig ist.
Auf die Revision der Beklagten waren daher die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen