Leitsatz (amtlich)
Ersatzzeitwochen, die an entrichtete Wochenbeiträge anschließen, sind - soweit es sich um die Erfüllung der Wartezeit und die Ermittlung der Anzahl der Versicherungsjahre handelt - zu den Wochenbeiträgen hinzuzuzählen; die Summe beider ist in Kalendermonate umzurechnen.
Normenkette
RVO § 1250 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 27 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 20. Mai 1965 und das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 28. Mai 1964 aufgehoben.
Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 1964 wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Witwenrente der Klägerin. Die Beklagte hat der Berechnung dieser Rente eine in der Rentenversicherung der Arbeiter und in der Rentenversicherung der Angestellten (Wanderversicherung) zurückgelegte Zeit von 522 Monaten zugrunde gelegt; darunter befinden sich
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72 Wochen (= 17 Monate) |
Beitragszeit zur Rentenversicherung der Arbeiter und |
56 Monate Ersatzzeit. |
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Als Ersatzzeit hat die Beklagte angerechnet: die Militärdienstzeiten des Versicherten vom 1. Mai 1915 bis 10. Januar 1920 (= 192 Wochen) sowie 12 Monate Militärdienstzeiten, die der Versicherte in den Jahren von 1937 bis 1941 zurückgelegt hat (Bescheid vom 24. Februar 1964).
Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte, bei der Rentenberechnung einen weiteren Kalendermonat als Ersatzzeit zu berücksichtigen. Die Umrechnung der 192 Wochen Militärzeit im ersten Weltkrieg ergäbe nach § 1250 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aufgerundet eine Ersatzzeit von 45 Kalendermonaten. Zusammen mit den weiteren von der Beklagten anerkannten Ersatzzeiten von 12 Monaten ergäbe sich eine Gesamtersatzzeit von 57 Monaten.
Die Beklagte ist dagegen der Meinung, die Zahl der Beitragswochen und die Zahl der Ersatzzeitwochen müßten zuerst zusammengerechnet werden; erst danach könnten aus der Summe beider nach § 1250 Abs. 2 RVO die Kalendermonate gebildet werden. Das Landessozialgericht (LSG) bestätigte die Rechtsauffassung des SG und wies die Berufung der Beklagten zurück. Es schloß aus dem Wortlaut des § 1250 Abs. 2 Satz 3 RVO (wonach die für die Umrechnung von Beitragswochen getroffene Regelung für - an entrichtete Wochenbeiträge anschließende - Ersatzzeiten entsprechend gilt), daß Beitragswochen und Ersatzzeitwochen getrennt umzurechnen sind. Andernfalls wäre die Gegenüberstellung der Beitragswochen einerseits und die Ersatzzeitwochen andererseits im Gesetz unverständlich. Es möge sein, daß die getrennte Umrechnung wegen der damit verbundenen zweimaligen Aufrundung zu einem unerwünschten Ergebnis führe und nicht den Vorstellungen bei der Gesetzgebung entspreche. Eine etwa gegenteilige Absicht des Gesetzgebers sei jedoch unerheblich, weil sie im Gesetz keinen Ausdruck gefunden habe (Urteil vom 20. Mai 1965).
Das LSG ließ in seinem Urteil die Revision zu. Die Beklagte legte dieses Rechtsmittel ein mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil und das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügte eine Verletzung des § 1250 Abs. 2 RVO. Der Gesetzeswortlaut spreche weder für die eine noch für die andere Auffassung. Nur Sinn und Zweck des § 1250 Abs. 2 RVO ließen in Verbindung mit der Gesetzesfassung Schlußfolgerungen a f den Willen des Gesetzgebers zu. Dieser Wille gehe dahin, daß Beitrags- und Ersatzzeiten vor der Umrechnung in Monate zusammenzurechnen sind. Die Richtigkeit dieses Vorgehens folge mittelbar aus der Gesetzessystematik. Da Monate, die nur teilweise mit einer anrechenbaren Zeit belegt sind, als volle Monate gelten, hätte eine nach Beitrags- und Ersatzzeitwochen getrennte Umrechnung in Fällen, in denen während eines Monats sowohl Beitrags- als auch Ersatzzeitwochen zurückgelegt sind, zur Folge, daß derselbe Monat doppelt als Versicherungszeit angerechnet würde. Dieses Ergebnis solle aber die Fassung des § 1250 Abs. 2 Satz 3 RVO verhindern. Ersatzzeiten, die an Beitragszeiten anschließen, müßten hinsichtlich der Aufrundung wie Beitragszeiten behandelt werden. Folgerichtig müßten sie vor der Umrechnung den Beitragszeiten hinzugerechnet werden. Dies gelte nicht nur dann, wenn die Ersatzzeit einer Beitragszeit unmittelbar folgt, sondern auch dann, wenn die Ersatzzeit zu einem späteren Zeitpunkt der Beitragszeit nachfolgt oder einer Beitragszeit vorausgeht.
Die Klägerin war im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen kann die Klägerin nicht beanspruchen, daß der Berechnung ihrer Rente ein zusätzlicher Kalendermonat als Versicherungszeit zugrunde gelegt wird.
Die Beklagte hat die Zeiten, während derer der Versicherte im ersten Weltkrieg Wehrdienst geleistet hat, wegen der voraufgegangenen Leistung von Wochenbeiträgen zur Invalidenversicherung richtig mit 192 Wochen als Ersatzzeiten bewertet. Dies folgt aus § 1250 Abs. 2 Satz 3 RVO; ohne diese Vorschrift müßten die genannten Ersatzzeiten nach dem vom 1. Januar 1957 an für die Rentenversicherung der Arbeiter geltenden Recht (§§ 1387, 1388, 1405 Abs. 2 RVO) nach Monaten gerechnet werden.
Soweit vor dem Inkrafttreten des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes Wochenbeiträge entrichtet sind, werden nach § 1250 Abs. 2 RVO für je 13 Beitragswochen drei Kalendermonate als Versicherungszeit angerechnet, von einem etwa verbleibenden Rest gelten je vier Beitragswochen als eine Versicherungszeit von einem Kalendermonat. Verbleibt danach ein Rest von weniger als vier Beitragswochen, so gilt dieser - anders als nach § 1262 Abs. 3 RVO aF, nach dem ein Rest von weniger als vier Wochen außer Betracht blieb (BSG 16, 38) - als ein voller Kalendermonat (Aufrundung). Diese Regelung gilt nach Satz 3 entsprechend für Ersatzzeiten, die an entrichtete Wochenbeiträge anschließen.
Streitig ist hier, ob die Ersatzzeitwochen nach § 1250 Abs. 2 RVO zusammen mit den Wochenbeiträgen oder getrennt von diesen in Monate umzurechnen sind. Die getrennte Umrechnung führt, wie der vorliegende Rechtsstreit zeigt, wegen der danach erforderlich werdenden zweimaligen Aufrundung in vielen Fällen zum Gewinn eines Monats, was unter Umständen die Erfüllung der Wartezeit oder - wie hier für die Klägerin - den Gewinn eines halben Versicherungsjahres (§ 35 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) bedeutet.
Der Wortlaut des § 1250 Abs. 2 RVO läßt einen sicheren Schluß weder auf die eine noch auf die andere Auslegung zu. Der Meinung des LSG, allein schon die Wortfassung des Gesetzes ergebe die Notwendigkeit der getrennten Umrechnung, kann sich der Senat nicht anschließen. Zwar werden in § 1250 Abs. 2 RVO die Umrechnung der Wochenbeiträge und die Umrechnung der Ersatzzeitwochen getrennt, d.h. nacheinander abgehandelt und wird die Regelung, die für die erstgenannte Umrechnung geschaffen ist, als für die Umrechnung der Ersatzzeitwochen entsprechend anwendbar erklärt. Diese Behandlung im Gesetz spricht aber nicht zwingend für die getrennte Umrechnung. Die eigenartige Fassung des Gesetzes ist vielmehr historisch zu erklären. Die Regierungsvorlage des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes enthielt ursprünglich nur den ersten Satz des heutigen § 1250 Abs. 2 RVO. Der Bundesrat machte dazu einen Ergänzungsvorschlag, dem die Bundesregierung zustimmte; auf ihm beruht Satz 2 Abs. 2 (vgl. BT-Drucks. Nr. 2437 zu § 1255 Abs. 2 RVO). In den Ausschußberatungen fand § 1250 Abs. 2 RVO sodann die endgültige Fassung. In dem schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (BT-Drucks. zu Nr.3080 - Bericht des Abgeordneten Sch) heißt es, der Ausschuß habe die (in Satz 1 und Satz 2 vorgesehene) Regelung auf die Ersatzzeiten erstreckt. Aus dieser Entstehungsgeschichte kann nur geschlossen werden, daß Wochenbeiträge und Ersatzzeitwochen in gleicher Weise umgerechnet werden sollen, ohne daß damit etwas über die Durchführung der Umrechnung im einzelnen gesagt ist. Wie die Revision mit Recht geltend macht, läßt die Gesetzesfassung die gemeinsame Umrechnung der (zusammengefaßten) Wochenbeiträge und Ersatzzeitwochen zu; sie trägt nach Auffassung des Senats - besser als die getrennte Umrechnung - der Systematik des Gesetzes Rechnung und erscheint auch nach Sinn und Zweck des Gesetzes geboten, soweit es sich um die Erfüllung der Wartezeit oder - wie hier - um die Ermittlung der Anzahl der Versicherungsjahre handelt.
In § 1250 Abs. 1 RVO = § 27 Abs. 1 AVG sind - wie schon vorher in § 4 Abs. 1 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FRG) vom 7. August 1953 - die (anrechenbaren) Beitragszeiten und Ersatzzeiten unter dem gemeinsamen Oberbegriff "Versicherungszeiten" zusammengefaßt. Sie bilden damit einen einheitlichen Begriff, der auch die einheitliche Behandlung bei der Umrechnung nach § 1250 Abs. 2 RVO rechtfertigt. Ersatzzeiten sollen Beitragszeiten ersetzen, wenn und soweit die Voraussetzungen des § 1251 RVO erfüllt sind und deswegen für den Versicherten keine Beiträge entrichtet worden sind (§ 1250 Abs. 1 Buchst. b RVO). Die Ersatzzeit tritt damit an die Stelle der Beitragszeit. Es besteht deshalb kein innerer Grund, die Umrechnung der Ersatzzeitwochen getrennt von der der Beitragswochen vorzunehmen. Daß Satz 3 in § 1250 Abs. 2 RVO die für Wochenbeiträge vorgeschriebene Umrechnung auf Ersatzzeitwochen nur als "entsprechend" anwendbar erklärt, bedeutet nichts anderes als die in vielen Gesetzen in ähnlicher Weise vorgeschriebene Erstreckung der Regelung eines Sachverhalts auf einen anderen Sachverhalt. Damit wird lediglich der Umrechnungsmodus für Beitragswochen auf Ersatzzeitwochen ausgedehnt. Ob dies, wie der Gesetzeswortlaut zu besagen scheint, nur für solche Ersatzzeitwochen gilt, die an vorher entrichtete Wochenbeiträge anschließen (Fall des § 1251 Abs. 2 Satz 1 RVO) und nicht auch für solche Ersatzzeitwochen, die einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit (für die Wochenbeiträge geleistet worden sind) innerhalb bestimmter Frist vorausgegangen sind (Fall des § 1251 Abs. 2 Satz 2 RVO), kann für den vorliegenden Fall dahinstehen, weil bei der Klägerin unstreitig der im Gesetz genannte Fall gegeben ist.
Die einheitliche Umrechnung von Wochenbeiträgen und Ersatzzeitwochen nach § 1250 Abs. 2 RVO ist rechnerisch ohne Schwierigkeiten durchzuführen und führt - soweit es sich um die Erfüllung der Wartezeit und die Ermittlung der Versicherungsdauer handelt - zu sachgerechten Ergebnissen. Dagegen hat die von den Vorinstanzen für richtig gehaltene getrennte Umrechnung Ungereimtheiten zur Folge, die das Gesetz nicht gewollt haben kann. Die bei der Klägerin nachgewiesenen 72 Wochenbeiträge zur Invalidenversicherung ergeben bei der Umrechnung nach § 1250 Abs. 2 Satz 1 und 2 RVO (d.h. mit Aufrundung) = 17 Monate. Folgerichtig müßten 71 Wochenbeiträge und 1 Ersatzzeitwoche ebenso 17 Monate ergeben. Hier führt aber die getrennte Umrechnung wegen der zweimal erforderlich werdenden Aufrundung zu dem Ergebnis, daß (17 + 1 =) 18 Monate anzurechnen wären (ebenso wenn 70 Wochenbeiträge und 2 Ersatzzeitwochen nachgewiesen wären). Dies würde ein Mehr an Versicherungszeiten bedeuten, das der Versicherungsträger bei der Berechnung der Rente nicht unterbringen kann. Denn er darf Versicherungszeiten, soweit sie auf dieselbe Zeit entfallen, bei der Versicherungsdauer nicht mehrfach berücksichtigen (§ 35 Abs. 1 AVG = § 1258 Abs. 1 RVO). Auch können die Ersatzzeitwochen, weil sie an die Stelle der Beitragswochen treten, keine stärkere Wirkung haben als die Beiträge, die sie ersetzen sollen (so mit Recht Ludwig in SozVers 1964, 358). Eine Besserstellung desjenigen, für den Ersatzzeitwochen nachgewiesen sind, leuchtet nicht ein. Vielmehr sind diese Ersatzzeitwochen bei Anwendung von § 1250 Abs. 2 RVO wie Wochenbeiträge zu behandeln; beide sind zunächst zusammenzuzählen und dann in Monate umzurechnen (zutreffend: Bayer. LSG in Bayer. ArbBl. 1964 B 34).
An diesem Ergebnis ändert es auch nichts, daß einzelne Vorschriften, die das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) gebracht hat (z.B. § 10 Abs. 1 Satz 3, § 36 Abs. 3 Satz 2, § 37 Abs. 1 Satz 3), voraussetzen, daß Ersatzzeitwochen von Beitragswochen gesondert berechnet und umgerechnet werden. Nach diesen Vorschriften werden nämlich für die Begrenzung bestimmter Zeiträume, in denen eine bestimmte Mindestzahl von Versicherungsbeiträgen entrichtet sein muß, die Ersatzzeiten (und bestimmte Ausfallzeiten) - im Gegensatz zu den Beitragszeiten - nicht mitgerechnet; sie werden also gerade anders behandelt als Beitragszeiten und sollen diese in jenen Fällen auch nicht ersetzen. Deswegen ist auch unter der Geltung des Rechts seit dem Inkrafttreten des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes daran festzuhalten, daß Wochenbeiträge und die daran anschließenden Ersatzzeitwochen nach § 1250 Abs. 2 RVO gemeinsam in Kalendermonate umzurechnen sind, soweit es sich um die Erfüllung der Wartezeit und die Ermittlung der Anzahl der Versicherungsjahre handelt.
Danach ergibt sich im vorliegenden Fall folgende Berechnung: Beitragswochen und Ersatzzeitwochen zusammen ergeben (72 + 192 =) 264 Wochen, diese geteilt durch 13 und vervielfältigt mit 3 ergeben einschließlich des verbleibenden Restes von 4 Wochen = 61 Monate. Nach den Feststellungen des LSG hat die Beklagte insoweit angerechnet 17 Monate Beitragszeit und 56 Monate Ersatzzeit, von denen 12 Monate auf die späteren Ersatzzeiten (Wehrdienstzeiten 1937 und 1940 bis 1941) entfallen. Die Rentenberechnung der Beklagten ist daher richtig; die Klägerin kann keinen weiteren Kalendermonat - d.h. kein weiteres halbes Versicherungsjahr nach § 35 Abs. 3 AVG - auf ihre Rente angerechnet erhalten.
Die von der gegenteiligen Auffassung ausgehenden Urteile des LSG und des SG müssen aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen