Entscheidungsstichwort (Thema)
Vereinstätigkeit. Beschäftigungsverhältnis. Mitgliedschaftspflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Den Privatbereich, den sich Bürger als Mitglieder eines Vereins schaffen, läßt die gesetzliche Unfallversicherung grundsätzlich unberührt.
2. Besteht in einem Sportverein eine Übung, daß aktive Mitglieder auch andere Vereinskameraden betreuen oder trainieren, so besteht nur dann Unfallversicherungsschutz, wenn diese Arbeit deutlich über das hinausgeht, was im allgemeinen von aktiven Vereinsmitgliedern ohne Bezahlung verlangt werden kann.
Orientierungssatz
Hebt sich ein Vereinsmitglied dadurch von dem Kreis der übrigen Mitglieder ab, daß es sich mit besonderer Tatkraft über einen längeren Zeitraum hinweg für den Bestand und die Entwicklung des Vereins eingesetzt hat, und wendet es auf die Dauer gesehen erheblich mehr Zeit als andere Vereinsmitglieder auf, um dem Verein unmittelbar oder mittelbar zu dienen und ihn zu fördern, dann stehen jedenfalls seine Mitgliedschaftspflichten der Annahme von Versicherungsschutz aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht entgegen (so auch BSG vom 1981-05-12 2 RU 40/79 = BSGE 52, 11 und vom 1982-04-29 2 RU 83/80 = HVGBG RdSchr 127/82).
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1963-04-30; RVO § 539 Abs 2 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 24.02.1982; Aktenzeichen L 4 U 55/81) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 08.05.1981; Aktenzeichen S 1 U 139/80) |
Tatbestand
Umstritten ist die Entschädigung eines Unfalls als Arbeitsunfall, den der Kläger als Mitglied eines Turn- und Sportvereins im Amt eines Trainers und Betreuers einer Fußballmannschaft seines Vereins erlitt.
Der 39-jährige Kläger gehörte einem Turn- und Sportverein (Verein) als Mitglied an, der etwas mehr als 2000 Mitglieder hatte. Der Kläger war dessen Fußballabteilung beigetreten. Aus finanziellen Gründen konnte der Verein nur wenige Übungsleiter hauptberuflich beschäftigen. Er war deshalb darauf angewiesen, daß Vereinsmitglieder die notwendigen Trainings- und Betreuungsaufgaben übernahmen. Viele dieser Trainer aus eigenen Reihen hatten dazu weder eine Spezialausbildung als Übungsleiter noch einen vereinsübergreifenden Befähigungsnachweis. In der Fußballabteilung des Vereins mit annähernd 150 erwachsenen Mitgliedern waren es zwölf, die unter solchen Voraussetzungen mit oder ohne Entschädigung andere Vereinsmitglieder trainierten. Dazu gehörte auch der Kläger, der eine Jugendfußballmannschaft betreute und mit ihr übte. Zweimal wöchentlich wandte er jeweils zwei Stunden für Übungen auf, und die Punktspiele an den Wochenenden nahmen ihn weitere vier Wochenstunden in Anspruch.
Am 4. Dezember 1979 verunglückte der Kläger im Zusammenhang mit seiner Übungstätigkeit für den Verein und erlitt einen Außenknöchelbruch rechts. Die Beklagte lehnte es ab, den Unfall zu entschädigen, weil er kein Arbeitsunfall gewesen sei. Der Kläger habe die zum Unfall führende Tätigkeit außerhalb des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung zur Erfüllung von Mitgliedschaftspflichten verrichtet (Bescheid vom 8. April 1980 und Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 1980).
Während das Sozialgericht (SG) dem nicht gefolgt ist, weil der Kläger nach § 539 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO wie ein entgeltlich beschäftigter Trainer mit Lizenz tätig gewesen sei (Urteil vom 8. Mai 1980), hat die Beklagte mit ihrer Rechtsmeinung vor dem Landessozialgericht (LSG) Erfolg gehabt (Urteil vom 24. Februar 1982).
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 539 Abs 1 und Abs 2 RVO. Er habe zeitlich und inhaltlich Arbeit von wirtschaftlichem Wert für den Verein geleistet, die mehr als nur geringfügig gewesen sei. Weder Vereinssatzung noch -beschlüsse oder allgemeine -übung hätten ihn dazu verpflichtet. Satzungsmäßiger Zweck eines Sportvereins sei es, in eigener Person Sport auszuüben. Er dagegen habe andauernd entgeltliche Arbeit für den Verein geleistet und überdies im Vereinsinteresse auf das ihm zugestandene Entgelt verzichtet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist insofern begründet, als das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Für eine Entscheidung darüber, ob dem Kläger wegen der Folgen des umstrittenen Unfalls Entschädigung aus der Unfallversicherung zusteht, fehlen die erforderlichen Tatsachenfeststellungen.
Nach § 548 Abs 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. In § 539 Abs 1 Nr 1 RVO ist geregelt, daß die aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten gegen Arbeitsunfall versichert sind. Kennzeichen eines derartigen Beschäftigungsverhältnisses ist die unselbständige Arbeit, wie sie insbesondere in einem Arbeitsverhältnis geleistet wird (§ 7 Abs 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch -SGB 4-); als Beschäftigung gilt auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung (§ 7 Abs 2 SGB 4). Wesentlich ist danach ebenso wie schon vor Inkrafttreten des SGB 4 die persönliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber, dessen Direktionsrecht der Beschäftigte unterliegt, sei es durch Weisungsgebundenheit oder durch Eingliederung des Arbeitenden in den Betrieb des Arbeitgebers (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung einschließlich des Sozialgesetzbuchs, 9. Aufl Band II S 469l und 470a mwN). Neben den Beschäftigungsverhältnissen mit persönlicher Abhängigkeit gibt es aber zahlreiche Rechtsverhältnisse privatrechtlicher Art, in denen gemäß andersartiger Verpflichtungen, zB familienrechtlicher oder gesellschaftsrechtlicher Natur, für andere Arbeit geleistet wird. So gestaltete Privatbereiche läßt die gesetzliche Unfallversicherung grundsätzlich unberührt. Zu ihnen gehört auch der privatrechtliche - rechtsfähige oder nicht rechtsfähige - Verein. Indes schließt die Mitgliedschaft in einem Verein die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses mit dem Verein nicht von vornherein aus (vgl Bundessozialgericht -BSG- SozR Nr 27 zu § 539 RVO; Urteil vom 14. Juli 1978, 8 RU 2/78 in USK 78107; SozR 2200 § 539 Nr 68, Nr 81 = BSGE 52, 11 ff; Urteil vom 26. Januar 1982, 2 RU 43/80 in HVGBG RdSchr VB 66/82, Urteil vom 29. April 1982, 2 RU 83/80 in HVGBG RdSchr VB 127/82, Urteil vom 19. Mai 1983, 2 RU 55/82 in HVGBG RdSchr VB 86/83). Ob eine Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses verrichtet worden ist, richtet sich danach, ob sie über das hinaus geht, was Vereinssatzung, Beschlüsse der Vereinsorgane und allgemeine Vereinsübung festlegen. Darüber hinausgehen kann die Tätigkeit sowohl hinsichtlich ihres Umfanges als auch ihrer Art nach. Nur in diesen Fällen kann die persönliche Abhängigkeit gegeben sein, die für ein Arbeits- oder Dienstverhältnis kennzeichnend ist. Damit stimmt die im Arbeitsrecht herrschende Ansicht überein, daß eine Tätigkeit, die zB auf gesellschaftsrechtlicher oder körperschaftlicher Verpflichtung beruht, aus Mangel an der erforderlichen persönlichen Abhängigkeit nicht aufgrund eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt wird (vgl zuletzt BSG, Urteil vom 19. Mai 1983, aaO, mwN). Dementsprechend scheidet auch eine Versicherung gegen Arbeitsunfall bei einer Tätigkeit wie ein Beschäftigter nach § 539 Abs 2 RVO aus, wenn diese Tätigkeit auf Mitgliedspflichten beruht (vgl zuletzt BSG, Urteil vom 19. Mai 1983, aaO, mwN).
Das LSG hat zwar diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zutreffend zum Ausgangspunkt seiner rechtlichen Bewertung genommen, es fehlen aber die dazu erforderlichen Feststellungen. Das gilt vor allem für den Komplex, der die notwendige Abgrenzung zwischen den Pflichten des Vereins gegenüber seinen Mitgliedern einerseits und den Mitgliedschaftspflichten andererseits veranschaulicht. Nach § 2 Nr 1 seiner Satzung bezweckt der Verein die planmäßige Pflege der Leibesübungen. Daraus ergibt sich für das einzelne Vereinsmitglied noch nicht die Verpflichtung, aktiv im Rahmen des Vereinszwecks mitzuwirken (BSG Urteil vom 29. April 1982 aaO). Entscheidend ist vielmehr die Vereinswirklichkeit, in der Satzung, Organbeschlüsse und allgemeine Übung übereinstimmen. Daran kann ermessen werden, ob sich regelmäßig die allgemeinverbindliche Art aktiver Mitgliedstätigkeit in der persönlichen Sportausübung erschöpft oder ob sie auch zusätzlich die uneigennützige Hinwendung zu anderen Vereinskameraden umfaßt, sei es in der einfachen Form der Betreuung Jugendlicher und Kinder oder in der qualifizierten Arbeit planmäßiger Übungen. Der ersten Alternative entspricht die selbständige Verpflichtung des Vereins gegenüber jedem Mitglied, als Gegenleistung für den Mitgliedsbeitrag die erforderliche Betreuung und das notwendige Training zu stellen. Im anderen Falle sind Vereinsverpflichtung und persönliche Mitgliedschaftspflicht teilweise oder vollständig miteinander verknüpft. Was bereits unter diesen Gesichtspunkten die gewöhnlichen Grenzen der allgemeinen Vereinsmitgliedschaft überschreitet, kann schon der Art nach nicht mehr unter die auf allgemeiner Übung beruhenden Mitgliedschaftspflichten fallen. Die Vereinsmitgliedschaft schließt es jedenfalls nicht aus, Arbeitsleistungen solcher Art aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses zum Verein zu erbringen. Gleichartige Beschäftigung Vereinsfremder und regelmäßige Gewährung von Entgelt für die Betreuungstätigkeit und die Übungsleitung sind dafür wichtige Anhaltspunkte.
In Vereinen dagegen, in denen die Vereinsmitglieder allgemein darin übereinstimmen, daß die Aktiven selber auch andere Vereinskameraden betreuen oder trainieren oder beides zugleich tun, kann schon eine allgemeine Vereinsübung Mitglieder zu solchen Arbeitsleistungen verpflichten. Hier kommt es dann auf den Umfang der Arbeit an, ob trotz der mitgliedschaftlichen Bindung ein Beschäftigungsverhältnis zum Verein vorliegt. Aufgrund allgemeiner Vereinsübung andere Mitglieder zu betreuen oder zu trainieren, kann der Kläger dem Verein nur unter der Voraussetzung verpflichtet gewesen sein, daß die umstrittene Arbeitsleistung zu den geringfügigen Tätigkeiten zählt, die ein Verein von jedem seiner Mitglieder erwarten kann und die von den Mitgliedern dieser Erwartung entsprechend auch verrichtet werden (vgl BSG Urteil vom 29. April 1982 aaO mwN).
Schlußfolgerungen auf eine allgemeine Vereinsübung entbehren zum einen der tatsächlichen Grundlage, wenn sich die Feststellung darauf beschränkt, daß in einem Verein mit 2000 Mitgliedern zwölf der 150 Personen zählenden Fußballsparte Betreuungs- und Übungsleiteraufgaben wahrnehmen. Entscheidend ist vielmehr, ob der Verein dies allgemein von seinen geeigneten Mitgliedern erwarten kann und Geeignete regelmäßig einer solchen Erwartung auch entsprechen. Diese Feststellung ist nachzuholen.
Zum anderen ist die Geringfügigkeitsmarke innerhalb der zuletzt beschriebenen Grenzen allgemeiner aktiver Vereinstätigkeit dort überschritten, wo sich eine Arbeitsleistung von wirtschaftlichem Wert deutlich erkennbar von dem Maß an vergleichbarer Aktivität abhebt, das die Vereinsmitglieder üblicherweise aufwenden. Dies wird zur erforderlichen Unterscheidung von allgemeinen Mitgliedschaftspflichten in der Regel nur am tatsächlichen Organisationsplan der Vereinstätigkeit gemessen werden können.
Hebt sich ein Vereinsmitglied dadurch von dem Kreis der übrigen Mitglieder ab, daß es sich mit besonderer Tatkraft über einen längeren Zeitraum hinweg für den Bestand und die Entwicklung des Vereins eingesetzt hat, und wendet es auf die Dauer gesehen erheblich mehr Zeit als andere Vereinsmitglieder auf, um dem Verein unmittelbar oder mittelbar zu dienen und ihn zu fördern, dann stehen jedenfalls seine Mitgliedschaftspflichten der Annahme von Versicherungsschutz aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht entgegen (vgl ebenso BSGE 52, 11ff und Urteil vom 29. April 1982 aaO).
Auch dahin werden sich die nachzuholenden Feststellungen des LSG erstrecken müssen. Eine entscheidungserhebliche Bewertung der vom Kläger erbrachten Arbeitsleistung kann erst vorgenommen werden, wenn festgestellt wird, ob der Kläger nicht nur in einer Woche, sondern auf die planmäßig vorgesehene Gesamtdauer seiner Tätigkeit erheblich mehr Zeit, Energie und evtl auch eigene Mittel einsetzen mußte, als allgemein jedes andere aktive Vereinsmitglied auch. Dabei wird auch die besondere Bindung zu berücksichtigen sein, die sich aus dem Fehlen einer regelmäßigen Vertretung im Amt des Übungsleiters und des Betreuers ergeben könnte.
Das Berufungsurteil war somit aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen