Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 19. Dezember 1962 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Gewährung von Wochengeld an die Klägerin. Sie meint, die Klägerin als Lernschwester habe keinen Anspruch nach dem Mutterschutzgesetz (MuSchG), weil sie nicht krankenversicherungspflichtig sei.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) schloß die 1937 geborene Klägerin mit dem Landkreis … als Träger des Kreiskrankenhauses in … einen „Lehrvertrag” auf drei Jahre ab. Danach trat sie am 1. April 1956 als Lernschwester beim Kreiskrankenhaus H. ein. Als Vergütung wurde eine Erziehungsbeihilfe von monatlich 10,– DM, ansteigend bis 40,– DM, und freie Station vereinbart. Nach dem Staatsexamen sollte die Vergütung nach den Tarif Vorschriften gewährt werden. Der Urlaub betrug im ersten und zweiten Ausbildungsjahr je 21 Tage mit Urlaubsgeld als Abgeltung der Beköstigung; im dritten Jahr sollte sich die Dauer nach den Tarifvorschriften richten. Die Arbeitszeit hatte sich ebenfalls nach den Tarifbestimmungen zu richten. Die Gesamtarbeitszeit betrug wöchentlich 54 Stunden einschließlich Unterricht von zwei bis vier Wochenstunden im ersten und sechs bis acht Wochenstunden im zweiten Ausbildungsjahr. Der Krankenhausträger versicherte die Klägerin gemäß § 8 Abs. 3 der Krankenpflegeverordnung (KrPflV) vom 28. September 1938 (RGBl I 1310) idF der Zweiten Änderungsverordnung vom 8. Dezember 1942 (BGBl I 678) auf seine Kosten bei der Beklagten gemäß § 363 a der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Klägerin wurde wegen Schwangerschaft vom 1. Oktober 1957 an beurlaubt. Der Träger des Kreiskrankenhauses zahlte die Erziehungsbeihilfe und während der Zeit der Beurlaubung auch den Wert der Sachbezüge bis 15. Februar 1958, 6 Wochen vor dem angenommenen Entbindungszeitpunkt. Die Niederkunft war am 21. März 1958. Zum 5. Mai 1950 kündigte die Klägerin das Ausbildungsverhältnis.
Als die Klägerin im Oktober 1957 Leistungen aus der Krankenversicherung begehrte, lehnte die Beklagte dies mit Bescheid vom 1. November 1957 mit der Begründung ab, das Versicherungsverhältnis sei am 30. September 1957 beendet worden; die Klägerin stehe nicht in einem Arbeitsverhältnis, sondern sei als Schwesternschülerin auf Grund § 363 a RVO nur für die Dauer des Schulverhältnisses versichert gewesen. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Bescheid der Widerspruchsstelle H. vom 20. Mai 1958 mit der Begründung zurückgewiesen, das Ausbildungsverhältnis der Klägerin habe nicht der Krankenversicherungspflicht nach § 165 RVO unterlegen.
Das Sozialgericht (SG) Oldenburg verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 8. Mai 1961, der Klägerin aus Anlaß der Entbindung Wochengeld zu gewähren.
Das LSG Niedersachsen wies die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 19. Dezember 1962 zurück. Es führte sinngemäß aus, die Klägerin habe als Lernschwester in einem der Berufsausbildung dienenden, krankenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden (§ 165 b Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 RVO). Mit der Ermächtigung zur Versicherung der Lernschwestern nach § 363 a RVO seien die Lernschwestern nicht den allgemeinen Vorschriften entzogen worden; sie sollten vielmehr auch bei reinem Fachschulbetrieb die Wohltat der Krankenversicherung erhalten. Die Vorschriften über die Versicherungspflicht seien vorgegangen. Die Klägerin habe in einem Arbeitsverhältnis gestanden und sei pflichtversichert gewesen. Sie sei nicht als Schülerin ausgebildet worden; sie habe kein Schulgeld zahlen müssen. Die praktische Ausbildung im Krankenhaus habe eindeutig im Vordergrund gestanden. Der Unterricht sei nur eine ergänzende Schulung gewesen, wie nach Umfang und Zeitaufwand der Unterricht eines Lehrlings in einer Berufsschule.
Die Klägerin sei in den Krankenhausbetrieb eingegliedert und nach dem Vertrag zur Nutzbarmachung ihrer Arbeitskraft für diesen Betrieb verpflichtet gewesen. Aus der Weitergewährung der Erziehungsbeihilfe und der Vergütung für die fortgefallenen Sachbezüge bis 15. Februar 1958 ergebe sich, daß die Klägerin zu Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 MuSchG noch bei der Beklagten pflichtversichert gewesen sei. Die Klägerin habe daher Anspruch nach § 13 Abs. 1 MuSchG. Die Revision wurde zugelassen.
Die Beklagte hat Revision eingelegt. Sie beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 19. Dezember 1962 und das Urteil des SG Oldenburg vom 8. Mai 1961 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt die Beklagte aus, Lernschwestern seien während des Lehrgangs in der Krankenpflegeschule als Fachschülerinnen anzusehen. Nur die praktische Tätigkeit von einem Jahr im Anschluß an den Schulbesuch müsse anders beurteilt werden, da in diesem Jahr in erheblichem Umfang wirtschaftliche Arbeit verrichtet und Entgelt nach den Tarifverträgen gegenüber Taschengeld in den ersten zwei Jahren gezahlt werde. Eine Fachschülerin sei nicht Lehrling. Die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des § 5 Abs. 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes (BAG 5, 32) ziehe nicht die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nach sich.
Die Revision hat keinen Erfolg. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Klägerin als Lernschwester in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat, krankenversicherungspflichtig war und deshalb Anspruch auf Wochengeld nach § 13 MuSchG hat. Das MuSchG gilt nach § 1 für Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen; Anspruch auf Wochengeld nach § 13 Abs. 1 MuSchG haben Frauen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung (KrV) pflichtversichert sind.
Das Arbeitsverhältnis im arbeitsrechtlichen Sinn und das Beschäftigungsverhältnis im Sinne der KrV weisen im allgemeinen die gleichen Merkmale auf. Sowohl für ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis als auch für ein Arbeitsverhältnis ist wesentlich, daß Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geleistet wird. Dies zeigt sich vornehmlich in der Eingliederung in den Betrieb, die mit einem Weisungsrecht des Betriebsinhabers verbunden ist. Der Arbeitnehmer kann seine Tätigkeit im wesentlichen nicht frei gestalten und seine Arbeitszeit nicht selbst bestimmen; er unterliegt vielmehr hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung dem Weisungsrecht (vgl. BSG 3, 35; 20, 8). Der Zweck, den er mit seiner Tätigkeit verfolgt, ist nicht entscheidend, wenn die Tätigkeit selbst die vorgenannten Merkmale auf weist. Es kommt daher nicht darauf an, daß der abhängig Beschäftigte die Tätigkeit zur eigenen Ausbildung ausübt.
Im Gegensatz zu einem der Ausbildung dienenden Beschäftigungsverhältnis steht die Ausbildung in einer Schule. In dieser wird der Lehrstoff dem Schüler theoretisch-systematisch vorgetragen. Soweit sich der Schüler zur Erreichung des Lehrzieles Handfertigkeiten aneignen muß, macht er die notwendigen Übungen ohne Rücksicht auf einen etwaigen wirtschaftlichen Wert. Die praktischen Übungen treten gegenüber dem theoretischen Unterricht in den Hintergrund. Anders ist es bei der praktischen Ausbildung, durch die der Auszubildende die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten überwiegend durch Ausführen der laufend anfallenden Arbeiten im praktischen Betrieb erlernt, auch wenn er dabei nach einem bestimmten Ausbildungsplan eingesetzt wird. Bei dieser praktischen Ausbildung tritt der theoretische Unterricht gegenüber der praktischen Arbeit in den Hintergrund. Bei schulischer Ausbildung hat der Schüler für die Ausbildung in der Regel zu bezahlen. Im praktischen Ausbildungsverhältnis erhält der Auszubildende eine kleinere Vergütung; denn seine Tätigkeit hat häufig einen gewissen wirtschaftlichen Wert. Im Schulverhältnis wird die Unterrichtsdauer völlig unabhängig von der im Arbeitsleben üblichen Arbeitsdauer bestimmt; meist ist die Unterrichtsdauer im Hinblick auf die anstrengendere systematisch-theoretische Lehrweise kürzer als die praktische Tätigkeit bei der Ausbildung in einem Beschäftigungsverhältnis. Der Unterricht im Schulverhältnis erfordert noch eine Häusliche Durcharbeitung des Lehrstoffes durch den Schüler, während bei der praktischen Ausbildung im Betrieb die Tätigkeit des Auszubildenden während der Betriebsstunden regelmäßig zum Erreichen des Ausbildungszieles genügt. Der Schüler ist nicht in einen Betrieb eingegliedert, in dem der Auszubildende Arbeit von wirtschaftlichem Wert verrichtet. Er steht nicht in persönlicher Abhängigkeit zu einem Betriebsleiter.
Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, daß eine Lernschwester in einem der Berufsausbildung dienenden Beschäftigungsverhältnis und nicht in einem Schulverhältnis steht, weil ihre Ausbildung sowohl tatsächlich als auch nach den maßgebenden Vorschriften (§ 8 der AusfVO zur KrPflV v. 28.9.1938) vorwiegend praktischer Art ist (BAG 5, 32). Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 19. August 1964 (BSG 21, 247) bereits ausgesprochen, daß eine Lernschwester, die zum Zwecke ihrer praktischen Ausbildung täglich etwa acht Stunden im Krankenhaus nach Weisung der Stationsschwester in der Krankenpflege tätig ist, der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung (AnV) unterliegt.
Die Anwendung vorstehender Grundsätze im vorliegenden Fall zeigt, daß die Klägerin bei ihrer Ausbildung als Lernschwester in einen Arbeits- und krankenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stand.
Der Lehrvertrag der Klägerin und die tatsächliche Durchführung der Ausbildung entsprachen dem Gesetz zur Ordnung der Krankenpflege, der KrPflV und der Ausführungsverordnung, alle vom 28. September 1938 (RGBl I, 1309, 1310, 1314) idF vom 8. Dezember 1942. Danach war die Krankenpflegeschule einem Krankenhaus angegliedert (§ 4 Abs. 3 KrPflV). Nach § 8 der Ausführungsverordnung war die Ausbildung vorwiegend praktisch. An theoretischem Unterricht waren innerhalb von zwei Jahren nur 200 Stunden zu erteilen. Dem entspricht die hier festgestellte wöchentliche Arbeitszeit von 54 Stunden einschließlich des theoretischen Unterrichts. Die praktische Tätigkeit hatte nicht nur den Zweck, der Klägerin bestimmte Handgriffe usw. beizubringen, ohne daß diese Tätigkeiten an sich notwendig gewesen wären, wie oft bei schulischer Ausbildung. Die Klägerin hatte als Lernschwester vielmehr im Krankenhaus praktisch bei den täglich anfallenden Arbeiten auf den Stationen mitzuarbeiten. Sie wurde dabei von den in praktischer Arbeit stehenden Krankenschwestern angeleitet. Sie entlastete durch ihre Mithilfe die Schwestern und das Hauspersonal. Durch den Ausbildungs- und Prüfungsstoff nach §§ 1, 8 Abs. 4 der Ausführungsverordnung war zum Zweck der Ausbildung eine Einteilung der Arbeit nur insofern notwendig, als die Lernschwester bei verschiedenartigen Tätigkeiten eingesetzt werden mußte. Es handelte sich jedoch immer um praktische Arbeit von zumeist wirtschaftlichem Wert für das Krankenhaus. Dies kommt auch in der der Klägerin gewährten Vergütung zum Ausdruck. Auch die Pflichten, die die Klägerin nach § 9 des Lehrvertrages übernommen hatte, wie Gehorsam gegenüber den Dienstvorgesetzten, gewissenhafte Ausführung der übertragenen Arbeiten, Verschwiegenheit über dienstliche Angelegenheiten, zeigen ihre Eingliederung in den Krankenhausbetrieb als Arbeitskraft. Der Urlaub im ersten und zweiten Jahr entspricht der für jugendliche Arbeitskräfte üblichen Dauer, nicht den längeren Ferien der Schüler.
Die Vorschrift in § 8 Abs. 3 KrPflV, daß Lernschwestern nach § 363 a RVO gegen Krankheit zu versichern waren, steht der Annahme eines Arbeits- und versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht entgegen.
Zur Zeit des Erlasses der KrPflV waren die gesetzlichen Vorschriften und die Rechtsprechung über die Stellung und damit die Krankenversicherungspflicht der Lernschwester nicht eindeutig (vgl. RVA in AN 1925, 326: Lernschwestern in Säuglingsheimen sind Lehrlinge; AN 1931, 316: Hebammenschülerinnen sind nicht Lehrlinge, sondern Fachschülerinnen). Außerdem gab es Versicherungsfreiheit für bestimmte Personengruppen, die sich aus vorwiegend religiösen oder sittlichen Gründen mit Krankenpflege beschäftigten (§ 172 Nr. 4 RVO aF; RVA in EuM Bd. 28, 77: Versicherungsfreiheit von Lernschwestern vor Eintritt in das Rote Kreuz). Bei dieser Sach- und Rechtslage beabsichtigte der Gesetzgeber offenbar, die Lernschwestern auf jeden Fall gegen Krankheit zu sichern. Dies geschah über § 363 a RVO. Eine weitergehende Bedeutung kann dem § 8 Abs. 3 KrPflV nicht beigemessen werden; insbesondere kann darin nicht eine irgendwie geartete Befreiung von der Versicherungspflicht oder Verneinung eines Beschäftigungsverhältnisses gesehen werden. Dies hätte ausdrücklich erfolgen müssen, wie etwa der klare Hinweis in § 8 Abs. 3 Satz 3 KrPflV für Lernschwestern eines Schwesternverbandes, die gegen den Träger der Schule einen Anspruch auf Krankenpflege in Höhe der Regelleistungen haben.
Die Klägerin ist als Lernschwester einem Lehrling im herkömmlichen Sinn in den Berufen, deren Ausbildung von der Industrie- und Handelskammer und der Handwerkskammer überwacht wurde, gleichzuachten. Diese Gleichstellung ist unmittelbar aus § 165 b Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 6 zu entnehmen. In Abs. 1 Nr. 6 werden als krankenversicherungspflichtig (§ 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO) die Angestellten in Berufen der Erziehung, des Unterrichts, der Fürsorge, der Kranken- und Wohlfahrtspflege aufgeführt. Nach Abs. 2 gehören auch Lehrlinge, die sich in einer geregelten Ausbildung zu einem dieser Berufe befinden, zu diesen Angestellten. Aus dem Zusatz zu „Lehrlingen” in Abs. 2 des § 165 b RVO: „die sich in einer geregelten Ausbildung zu einem dieser Berufe befinden” ist zu folgern, daß der Begriff „Lehrlinge” weit auszulegen ist. „Lehrlinge” nach den engeren Begriff der zum Bereich der Industrie- und Handelskammer und der Handwerkskammer gehörenden Berufe stehen wohl stets in einem geregelten Ausbildungsverhältnis, so daß es dieses Zusatzes im Gesetz nicht bedurft hätte, wenn nur Lehrlinge in diesem engeren Sinn krankenversicherungspflichtig sein sollten (vgl. § 165 a Nr. 2 RVO, wo „Lehrlinge” ohne Zusatz genannt sind).
Wie schon die Weitergewährung der Vergütung während des Urlaubs der Klägerin vom 1. Oktober 1957 an zeigt, bestand deren Beschäftigungsverhältnis und damit auch die Versicherungspflicht in der gesetzlichen KrV auf jeden Fall noch zu Beginn der Schonfrist nach § 3 Abs. 2 MuSchG. Die Beklagte ist daher zur Leistung von Wochengeld dem Grunde nach gemäß § 13 Abs. 1 und. 8 MuSchG verpflichtet.
Die Revision der Beklagten war somit nicht begründet und zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen