Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsbescheid. personelle Bestimmtheit. Beitragsrückstand. Anwendung der Vorschriften über Konkursausfallgeld in Übergangsfällen
Orientierungssatz
1. Der Bescheid einer Krankenkasse über die Berechnung von Sozialversicherungsbeiträgen ist rechtswidrig, wenn darin die Versicherten, auf die sich der Bescheid bezieht, nicht mit Namen genannt oder wenigstens so genau bezeichnet sind, daß sie eindeutig bestimmt werden können (so zuletzt BSG vom 1982-02-16 12 RK 62/80 = SozR 1300 § 33 Nr 1, in Fortführung von BSG vom 1977-12-01 12 RK 13/77 = BSGE 45, 206).
2. Der Mangel der personellen Bestimmtheit eines angefochtenen Bescheides ist im gerichtlichen Verfahren nicht behebbar. Er kann insbesondere weder durch das Nachschieben von Gründen noch durch eine Beiladung der versicherungspflichtigen Arbeitnehmer behoben werden (vergleiche BSG vom 1977-12-01 12 RK 13/77 aaO).
Normenkette
KO § 61 Abs 1 Nr 6; RVO § 28 Abs 3 Fassung: 1924-12-15; RVO § 28 Abs 3 Fassung: 1974-07-17; KO § 138; SGG § 75 Abs 1 Fassung: 1953-09-03; AFG § 141n S 3
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 04.11.1980; Aktenzeichen I KRBf 8/80) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 18.09.1979; Aktenzeichen 21 KR 93/75) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die gegen eine in Konkurs gefallene Kommanditgesellschaft (KG) entstandenen und im Gesellschaftskonkurs nicht voll befriedigten Beitragsforderungen wegen des noch offenen Restes im Nachlaßkonkurs des früheren Komplementärs dieser Gesellschaft durch Beitragsbescheid geltend gemacht werden können.
Der Kläger ist Konkursverwalter in dem am 9. August 1974 eröffneten Konkurs über den Nachlaß des am 26. März 1974 verstorbenen . B.. Dieser war Komplementär der Firma B. und B. KG. Einzige Kommanditistin war seine Mutter, D. B.. Nach § 7 Nr 2 des Gesellschaftsvertrages vom 22. März 1973 standen bei Gesellschafterversammlungen M. B.90 und D. B. 10 Stimmen zu, während Gewinn und Verlust gemäß § 10 Nr 2 des Vertrages im Verhältnis 98 : 2 aufzuteilen waren. Für den Fall des Todes des Komplementärs war in § 13 Nr 2 des Vertrages bestimmt, daß die Gesellschaft mit seinen Erben als Kommanditisten fortgesetzt werden sollte.
Im Verfahren über den am 29. Mai 1974 eröffneten Konkurs der Firma B. und B.KG (Gesellschaftskonkurs) hatte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) S., als Einzugsstelle eine Beitragsforderung für die Zeit vom 1. März bis 15. Mai 1974 zur Konkurstabelle angemeldet, die in Höhe von 63.508,81 DM auch anerkannt und bis zum Betrage von 35.914,23 DM befriedigt worden ist. Den Rest der Beitragsforderung meldete die AOK S. am 11. Januar 1978 als bevorrechtigte Forderung im Nachlaßkonkurs über das Vermögen des M. B. (Gesellschafter-Nachlaßkonkurs) an. Nachdem der Kläger sich ua auf die Verjährung der restlichen Beitragsforderung berufen hatte, erließ die Beklagte den Bescheid vom 13. März 1978, mit dem sie einen Betrag von 27.594,58 DM als Masseforderung im Gesellschafter-Nachlaßkonkurs feststellte. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 19. April 1978, Urteil des Sozialgerichts -SG- Hamburg vom 18. September 1979 und Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Hamburg vom 4. November 1980). Das LSG hat die in der Zeit vom 1. März 1974 bis zum Tode M. B. (26. März 1974) entstandene Beitragsschuld als Gesellschaftsschuld angesehen, für die der Komplementär einzustehen habe. Aber auch die nach seinem Tode bis zum 15. Mai 1974 entstandenen Beitragsschulden rührten von ihm her, so daß sein Vermögen auch für diese Verbindlichkeiten hafte. Die Beitragsrückstände seien auch nicht verjährt, weil die Verjährungsfrist durch die Anmeldung der Forderung im Gesellschaftskonkurs unterbrochen worden sei und nach der Aufhebung des Gesellschaftskonkurses im Jahre 1977 eine neue vierjährige Verjährungsfrist zu laufen begonnen habe. Die Beklagte habe das Recht zur Geltendmachung der Beitragsrückstände auch nicht verwirkt, weil sich der Umfang der Haftung des Nachlasses erst nach dem Abschluß des Gesellschaftskonkursverfahrens ergeben habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision des Klägers. Er wendet sich gegen die rechtliche Beurteilung des LSG und meint, das Vorgehen der Beklagten im Wege des Beitragsbescheides sei rechtswidrig, weil er als Konkursverwalter nicht Arbeitgeber und Beitragsschuldner sei. Überdies könne der Nachlaß des Komplementärs nicht in Anspruch genommen werden, weil nur die Gesellschaft beitragspflichtige Arbeitgeberin gewesen sei. Hinsichtlich der nach dem 26. März 1974 entstandenen Beiträge entfalle die Haftung des Nachlaßvermögens auch deshalb, weil M. B. mit seinem Tode aus der Gesellschaft ausgeschieden sei. Darüber hinaus sei die Beitragsforderung gegen den Komplementär allenfalls eine nicht bevorrechtigte Konkursforderung iS des § 61 Abs 1 Nr 6 der Konkursordnung (KO), die nicht durch Beitragsbescheid, sondern nur im Konkursverfahren verfolgt werden könne. Schließlich sei die Beitragsforderung verjährt oder das Recht zu ihrer Geltendmachung verwirkt, weil die Beklagte es unterlassen habe, die Beitragsforderung sofort und in voller Höhe im Gesellschafter-Nachlaßkonkurs geltend zu machen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 4. November 1980, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18. September 1979 und den Bescheid der Beklagten vom 13. März 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 1978 aufzuheben.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Darüber hinaus tragen sie vor, die Gesellschaft sei durch den Tod des Komplementärs M. B. zwar aufgelöst worden, gleichwohl sei die Haftung seines Vermögens aber bis zum Abschluß der Liquidation erhalten geblieben.
Die Beigeladenen zu 2) und 3) haben keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind schon deshalb rechtswidrig, weil sie nicht die an den Regelungsgehalt eines Beitragsbescheides zu stellenden Mindestanforderungen erfüllen.
Der erkennende Senat hat bereits entschieden, daß der Bescheid einer Krankenkasse über die Berechnung von Sozialversicherungsbeiträgen rechtswidrig ist, wenn darin die Versicherten, auf die sich der Bescheid bezieht, nicht mit Namen genannt oder wenigstens so genau bezeichnet sind, daß sie eindeutig bestimmt werden können (so zuletzt Urteil vom 16. Februar 1982, SozR 1300 § 33 Nr 1, in Fortführung von BSGE 45, 206). Das bedeutet, daß die Einzugsstelle, wenn sie - wie in der Praxis nicht selten - über mehrere Versicherungsverhältnisse zu entscheiden hat, sich nicht darauf beschränken darf, über die Gesamtheit der Versicherungsverhältnisse durch eine personenunabhängige Feststellung der rechtlichen Voraussetzungen aller Beitragsansprüche oder durch Festsetzung eines Gesamtbetrages der Beiträge zu entscheiden. Vielmehr muß sich auch ein Beitragsbescheid, der die Versicherungsverhältnisse mehrerer Versicherungspflichtiger betrifft, auf bestimmte Personen beziehen, selbst wenn nicht mehr über die Versicherungs- bzw Beitragspflicht als solche gestritten wird (BSG aa0).
Diese Grundsätze gelten auch für den hier vorliegenden Fall, in dem der Kläger - als Konkursverwalter über den Nachlaß des Komplementärs einer zahlungsunfähig gewordenen KG - nach §§ 161, 128 Handelsgesetzbuch für Beitragsschulden der KG in Anspruch genommen wird. Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn bereits gegen die Gesellschaft als ursprüngliche Beitragsschuldnerin ein Beitragsbescheid ergangen ist, der die vorgenannten Anforderungen erfüllt, und in dem nachgehenden Verfahren gegen den Komplementär nur noch über dessen Haftung gestritten wird, kann hier dahinstehen. Denn die Beklagte bzw ihre Rechtsvorgängerin hat gegen die Gesellschaft keinen Beitragsbescheid erlassen, der den genannten Erfordernissen genügt.
Der Mangel der personellen Bestimmtheit der angefochtenen Bescheide ist im gerichtlichen Verfahren nicht behebbar. Er kann insbesondere weder durch das Nachschieben von Gründen noch durch eine Beiladung der versicherungspflichtigen Arbeitnehmer behoben werden (BSGE 45, 206, 208).
Überdies kann die Beklagte die gegen die Gesellschaft entstandene Beitragsforderung gegen den Kläger nicht durch Erlaß eines Beitragsbescheides geltend machen. Beitragsrückstände waren gemäß § 28 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 19. Juli 1974 geltenden Fassung bevorrechtigte Konkursforderungen iS des § 61 Nr 1 KO, die nicht durch Beitragsbescheid gegenüber dem Konkursverwalter durchzusetzen, sondern gemäß §§ 138 ff KO zur Konkurstabelle anzumelden waren (BSG, Urteil vom 14. Dezember 1982 - 10 RAr 5/82 - mwN). Die Rechtsnatur einer solchen Forderung hat sich nicht dadurch geändert, daß mit der durch Art 2 § 4 des Gesetzes über Konkursausfallgeld (3. Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes) vom 17. Juli 1974 - 3. ÄndG/AFG - (BGBl I 1481) erfolgten und am 20. Juli 1974 in Kraft getretenen Neufassung des § 28 Abs 3 RVO nunmehr Rückstände für die letzten sechs Monate vor Eröffnung des Konkursverfahrens oder vor dem Ableben des Gemeinschuldners den Rang von Masseschulden erhalten haben, soweit sie nicht nach § 141n Satz 3 iVm § 141m Abs 2 AFG auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangen sind und dann wiederum zu Konkursforderungen herabgestuft worden sind. Denn gemäß Art 3 § 2 des 3. ÄndG/AFG sind die geänderten Vorschriften nur auf Konkursverfahren anzuwenden, die nach dem 19. Juli 1974 eröffnet worden sind. Hier ist aber der Gesellschaftskonkurs (Konkurs der KG) - als der Konkurs des "Arbeitgebers", dessen Zeitpunkt in Übergangsfällen wie hier über die Anwendung des neuen oder des alten Rechts entscheidet (vgl Art 3 § 1 des 3. ÄndG/AFG) - schon am 29. Mai 1974 eröffnet worden.
Ebensowenig hat sich die Rechtsnatur der fraglichen Forderung deshalb geändert, weil sie im Gesellschaftskonkurs nicht voll befriedigt und deshalb im Nachlaßkonkurs des persönlich haftenden Gesellschafters geltend gemacht worden ist. Denn bei dieser Forderung handelt es sich nicht um eine erst gegen den Gesellschafter neu begründete Beitragsforderung, sondern um eine bereits gegen die Gesellschaft entstandene Forderung, für deren Erfüllung der Nachlaß des Komplementärs der KG haftbar gemacht wird. Ob der Kläger, wie er meint, insoweit die Einrede der Verjährung erheben oder sich auf Verwirkung der Forderung berufen kann, ist in diesem Verfahren nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen