Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebssphäre. Privatsphäre
Orientierungssatz
Nimmt ein Bäckermeister an der Beerdigung seines langjährigen Mehllieferanten teil, so ist dies eine unternehmensfremde Tätigkeit.
Normenkette
RVO § 542
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 09.11.1960) |
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 12.03.1959) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. November 1960 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Klägerin ist die Witwe des am 2. April 1958 tödlich verunglückten Bäckermeisters I L, der in Achern eine Bäckerei betrieb und mit seinem Unternehmen der Beklagten als Mitglied angehörte. Sie beansprucht Hinterbliebenenentschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der Ehemann der Klägerin nahm am 2. April 1958 nachmittags an der Beerdigung des Kaufmanns K S in Bühl teil. S war Geschäftsführer der Firma K S GmbH in Bühl, die dem Ehemann der Klägerin Mehl für sein Unternehmen lieferte. Nach der Beerdigung ließ sich der Ehemann der Klägerin von dem Motorradfahrer S der gleichfalls an der Beerdigung teilgenommen hatte, auf dessen Motorrad mit nach Achern nehmen. Beide sind gegen 17,35 Uhr tödlich verunglückt.
Die Beklagte lehnte den Entschädigungsanspruch der Klägerin durch Bescheid vom 20. Juni 1958 mit folgender Begründung ab: Der Unfall stehe mit der versicherten Tätigkeit nicht im inneren ursächlichen Zusammenhang, weil die Teilnahme an einer Beerdigung aus Gründen der Pietät, also aus Achtung und Verehrung dem Verstorbenen sowie aus Höflichkeit den Bekannten und Verwandten gegenüber erfolge. Die Tatsache, daß der Verstorbene zu Lebzeiten den Ehemann der Klägerin mit Mehl beliefert habe, möge wohl der ursprüngliche Anlaß für das gegenseitige Bekanntwerden gewesen sein, die Teilnahme an der Beerdigung werde jedoch dadurch nicht zu einer Tätigkeit, die dem versicherten Bäckereibetrieb diente. Durch Urteil vom 12. März 1959 hat das Sozialgericht (SG) Karlsruhe den Bescheid aufgehoben und die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen und hierfür die gesetzlichen Leistungen zu gewähren.
Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Damit eine Tätigkeit als versichert gelten könne, sei es ausreichend, daß sie wesentlich und unmittelbar den Zwecken des Unternehmens zu dienen bestimmt gewesen sei. S sei der langjährige Hauptlieferant für Mehl gewesen. Bei der Teilnahme an der Beerdigung habe das betriebliche Interesse im Vordergrund gestanden, sie sei geradezu ein "Muß" gewesen, nachdem die Geschäftsbeziehungen schon mehr als drei Jahrzehnte bestanden hätten. Persönliche Motive hätten bei gegenseitiger Abwägung aller Umstände nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Eine im Vordergrund stehende persönliche Freundschaft liege in diesem Fall nicht vor. Es sei eine reine "Geschäftsfreundschaft" gewesen. Privat seien die Geschäftspartner nicht zusammengekommen. Nach dem Tod hätten sich die Geschäftsbeziehungen zwischen dem Sohn der Klägerin und der Großhandlung weiterentwickelt.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg durch Urteil vom 9. November 1960 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Die Teilnahme an der Beerdigung sei eine unternehmensfremde Tätigkeit. Der Gesichtspunkt der menschlichen Anteilnahme stehe eindeutig im Vordergrund. Der Unternehmer gehe nicht als Geschäftsmann zur Beerdigung, sondern als Bekannter des Verstorbenen, d.h. als Mensch. Bei derart unternehmensfremden Tätigkeiten könne sich ein innerer Zusammenhang nur aus einer unmittelbaren Beziehung zu bestimmten Geschäftsabschlüssen ergeben. Es müßten im Einzelfall konkrete, dem Unternehmen unmittelbar dienliche förderliche Umstände erwiesen sein. Die Fahrt des Ehemannes der Klägerin sei selbst unter Berücksichtigung des örtlichen Brauchtums in erster Linie bzw. nach außen hin ausschließlich der Ausdruck persönlicher Anteilnahme gewesen. Eine das Unternehmen fördernde Wirkung der Teilnahme an der Beerdigung sei nicht ersichtlich. Es bestehe nicht der geringste Anhalt dafür, daß der Bäckermeister mit seinen Mehlbestellungen ernstlich Schwierigkeiten gehabt hätte, wenn er der Beerdigung etwa ferngeblieben wäre. Sollte trotzdem eine nicht ersichtliche betriebsfördernde Wirkung mit der Teilnahme an der Beerdigung verbunden gewesen sein, so trete ein solcher mehr oder weniger unwägbarer Nebenzweck so sehr in den Hintergrund, daß ihm eine rechtliche Bedeutung nicht zukomme.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das Urteil, das am 3. Dezember 1960 mittels eingeschriebenen Briefes zur Post gegeben worden ist, hat die Klägerin am 23. Dezember 1960 Revision eingelegt und sie zugleich begründet.
Sie beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des SG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Der Senat hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht (vgl. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die durch Zulassung statthafte Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden und ist somit zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.
Bei der Entscheidung der Frage, ob die Fahrt zur Beerdigung des Kaufmanns K S eine versicherte Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin als Unternehmer des Bäckereiunternehmens war, ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß die Teilnahme an einer Beerdigung ihrer Natur nach grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnen ist.
Der Entschluß, an einer Beerdigung teilzunehmen, wird in der Regel, soweit nicht die menschliche Anteilnahme am Schicksal des Verstorbenen und seiner Angehörigen allein im Vordergrund steht, durch die Rücksichtnahme auf gesellschaftliche, im Brauchtum und der Religion wurzelnde Anschauungen veranlaßt. Es bedarf deshalb besonderer Umstände, um die Annahme zu rechtfertigen, daß die Teilnahme an der Beerdigung in rechtlich wesentlichem Umfang auch Zwecken des versicherten Unternehmens diente. Es genügt nach der Auffassung des erkennenden Senats nicht, daß die menschlichen Beziehungen zwischen dem Ehemann der Klägerin und dem Verstorbenen S auf einer langjährigen Geschäftsbekanntschaft beruhten. In einem solchen Fall wird zwar auch die Rücksichtnahme auf die bisherigen Geschäftsbeziehungen für den Entschluß zur Teilnahme an der Beerdigung Bedeutung haben, und diese Teilnahme kann auch für die künftige Entwicklung der Geschäftsbeziehungen nützlich sein. Derartige Umstände sind jedoch auch nach der Auffassung des erkennenden Senats neben den zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Motiven für die Teilnahme an der Beerdigung nicht so bedeutsam, daß sich aus ihnen allein ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang mit dem versicherten Unternehmen ergibt. Es ist zahlreichen Verrichtungen des unversicherten persönlichen Lebensbereichs eigentümlich, daß sie durch die versicherte Tätigkeit veranlaßt oder für sie nützlich sind oder sogar eine notwendige Voraussetzung für sie bilden (vgl. hierzu z.B. BSG 7, 255). Wie der erkennende Senat in dem vom LSG angeführten Urteil (BSG 1, 258) näher ausgeführt hat, sind gerade bei einem Unternehmer - und zwar besonders in ländlichen und kleinstädtischen Verhältnissen - die Pflege der persönlichen Beziehungen zu seinen Mitmenschen und die Betätigung in der Öffentlichkeit vielfältig von geschäftlichen Beweggründen bestimmt, so daß der Versicherungsschutz auf einen sehr erheblichen Teil des persönlichen Lebensbereichs ausgedehnt würde, wenn derartige allgemeine Beziehungen zum versicherten Unternehmen als rechtlich wesentlich anerkannt würden.
Die Revision rügt, das LSG habe die Natur der geschäftlichen Beziehungen zwischen dem Ehemann der Klägerin und dem Verstorbenen S insofern verkannt, als es angenommen habe, daß S ein Kunde des Bäckereiunternehmens gewesen sei. Wie sich aus den Ausführungen auf Seite 8 der Urteilsausfertigung ergibt, hat das LSG jedoch nicht verkannt, daß S der Mehllieferant des Ehemannes der Klägerin gewesen ist. Bei den von der Revision an sich mit Recht beanstandeten Ausführungen, in denen der Ausdruck "Kunde" verwendet ist, handelt es sich nur um einen Fehler bei der Urteilsabfassung, der für die Entscheidung selbst ohne Bedeutung ist.
Weiterhin trägt die Revision vor: Das LSG habe die Bedeutung des Mehllieferungsvertrages für das Bäckereiunternehmen verkannt. Dieses Lieferungsverhältnis sei das entscheidende Vertragsverhältnis jeder Bäckerei. Eine Bäckerei, die mit sehr geringen Gewinnspannen rechne, müsse darauf sehen, eine große Lagerhaltung zu vermeiden, und sei deshalb darauf angewiesen, einen Lieferanten zu haben, der jederzeit auf Abruf zu liefern in der Lage sei. In einer Großstadt werde dies kein Problem sein, auf dem Lande sei es jedoch wichtig zu wissen, daß man vom Mehllieferanten jederzeit sofort beliefert werde. Hierüber hätte sich das LSG durch ein Gutachten der zuständigen Handelskammer Klarheit verschaffen müssen. Die Klägerin habe diese tatsächlichen Umstände auch schon vor dem SG vorgetragen, und dem LSG hätte sich der Gedanke aufdrängen müssen, daß das SG Tatsachen ermittelt habe, die nicht ausdrücklich ins Protokoll aufgenommen worden seien. Es hätte deshalb zumindest die Klägerin zu entsprechenden Angaben veranlassen müssen.
Auch dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu rechtfertigen. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich aus dem Vorbringen ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG ergibt. Denn auch wenn das neue tatsächliche Vorbringen der Revision in vollem Umfange als richtig unterstellt wird, ergibt sich aus diesen Umständen kein so enger Zusammenhang zwischen der Teilnahme an der Beerdigung und dem versicherten Unternehmen des Ehemannes der Klägerin, daß diese Teilnahme nicht mehr als eine durch die menschlichen Beziehungen zum Verstorbenen veranlaßte Tätigkeit des unversicherten persönlichen Lebensbereichs anzusehen wäre, sondern als eine rechtlich wesentlich auch den Zwecken des versicherten Unternehmens dienende Tätigkeit anerkannt werden könnte.
Hiernach war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht aufgrund von § 193 SGG.
Fundstellen