Entscheidungsstichwort (Thema)
Silikoseprophylaxe. ausschließlicher Ursachenzusammenhang. Minderverdienst. Übergangsrente. Übergangscharakter
Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung des § 5 Abs 3 BKVO-Saar (Anschluß an BSG 31.1.1967 2 RU 140/66 = SozR Nr 2 zu § 5 BKVO-Saar und BSG 15.12.1971 5 RKnU 9/70 = SozR zu § 9 7. BKVO).
Orientierungssatz
1. § 5 Abs 3 BKVO-Saar muß so verstanden werden, daß ein Anspruch auf Übergangsrente nur solange und insoweit besteht, als die Minderung des Verdienstes oder die sonstigen wirtschaftlichen Nachteile allein auf vorbeugende Maßnahmen iS des Abs 1 der Vorschrift zurückzuführen sind.
2. Nach § 3 BKVO kommt es - anders als nach § 5 Abs 3 der BKVO-Saar - nicht darauf an, daß die Silikoseprophylaxe die alleinige Ursache eines Minderverdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile des Versicherten ist. Es genügt im Rahmen des § 3 BKVO vielmehr, daß die Einstellung der silikosegefährdeten Tätigkeit geeignet ist, einen Minderverdienst oder einen sonstigen wirtschaftlichen Nachteil herbeizuführen.
Normenkette
BKVO SL § 5 Abs 3; BKVO § 3
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 19.06.1985; Aktenzeichen L 2 KnU 5/82) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 09.02.1982; Aktenzeichen S 6 KnU 8/80) |
Tatbestand
Der 1930 geborene Kläger war im Saarbergbau als Rauber (Versetzer), Pfeilersetzer und Ausbildungshauer eingesetzt. Wegen einer nicht entschädigungspflichtigen Silikose wurde er ab 6. Oktober 1958 als Abzieher im Übertagebetrieb beschäftigt und erhielt von diesem Zeitpunkt an Übergangsrente nach § 5 der Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten (BKVO- Saar) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1954 (Amtsblatt Saar Seite 802) jeweils in jährlicher Folge für den vorangegangenen Zeitraum. Bei einer der hierzu erforderlichen Nachuntersuchungen gelangte der Facharzt für innere Krankheiten Dr.F. am 15. Februar 1979 zu dem Ergebnis, abgesehen von der Silikoseprophylaxe sei der Kläger wegen eines Herzleidens und peripherer Durchblutungsstörungen nicht mehr fähig, seiner früheren Beschäftigung als Ausbildungshauer (Lohngruppe 10) nachzugehen. Die Beklagte gewährte dem vom 16. Oktober 1978 bis 26. März 1979 arbeitsunfähig erkrankten Kläger durch Bescheid vom 20. Dezember 1979 nochmals für die Zeit vom 1. Oktober 1978 bis zum 27. März 1979 Übergangsrente, lehnte aber nach Anhörung des Klägers deren Weitergewährung über den 28. März 1979 hinaus ab, weil der Kläger mit dem silikoseunabhängig geminderten Leistungsvermögen nur noch die tatsächlich von ihm ausgeführten Arbeiten der Lohngruppe 2703 verrichten könne.
Das Sozialgericht (SG) für das Saarland hat die Klage durch Urteil vom 9. Februar 1982 mit der Begründung abgewiesen, jedenfalls ab 28. März 1979 sei die Silikoseprophylaxe nicht mehr ursächlich für die durch die Verlegung nach über Tage entstandenen Lohneinbuße. Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland durch Urteil vom 19. Juni 1985 mit der gleichen Begründung zurückgewiesen und ergänzend ausgeführt, nach dem Zweck der Übergangsrente könne diese nur gewährt werden, solange keine anderen Gründe als die Silikoseprophylaxe für das Mindereinkommen ursächlich seien.
Mit der vom Landessozialgericht (LSG) zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 5 Abs 3 der BKVO Saar iVm § 9 Abs 3 der Berufskrankheitenverordnung (BKVO) vom 20. Juni 1968 idF vom 8. Dezember 1976 (BGBl I S 3329).
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der Urteile des Landes- sozialgerichts für das Saarland vom 19. Juni 1985 und des Sozialgerichts für das Saarland vom 9. Februar 1982 in Abänderung des Bescheides vom 20. Dezember 1979 zu verurteilen, ihm über den 27. März 1979 hinaus Übergangsrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen, weil dem Kläger der gegen die Beklagte erhobene Anspruch auf Weitergewährung der Übergangsrente nicht zusteht.
Vorab ist darauf hinzuweisen, daß die vom Kläger als verletzt angesehene Bestimmung des § 5 BKVO-Saar revisibel ist, wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits mit Urteil vom 31. Januar 1967 - 2 RU 223/64 - (SozR Nr 1 zu BKVO-Saar § 5) entschieden hat. Auf die Gründe zu dieser Entscheidung, denen sich der erkennende Senat anschließt, wird verwiesen. Danach ist die BKVO Saar Bundesrecht iS des § 162 SGG geworden.
Für die Dauer des Anspruchs des Klägers auf Übergangsrente ist gemäß § 9 Abs 3 BKVO § 5 Abs 3 BKVO-Saar maßgebend. Danach besteht ein Anspruch auf Übergangsrente solange und nur insoweit, als die Minderung des Verdienstes oder die sonstigen wirtschaftlichen Nachteile auf vorbeugende Maßnahmen iS des Absatzes 1 der Vorschrift zurückzuführen sind. Dies war beim Kläger ab 28. März 1979 nicht mehr der Fall. Sicherlich sollte er auch nach diesem Zeitpunkt zur Silikoseprophylaxe nicht unter Tage beschäftigt werden. Unabhängig davon hinderten ihn aber inzwischen nach der von ihm nicht in Zweifel gezogenen medizinischen Beurteilung ein Herzleiden und periphere Durchblutungsstörungen, unter Tage seiner früheren Beschäftigung als Ausbildungshauer in der Lohngruppe 10 nachzugehen. Der Kläger meint, diese Leiden seien unbeachtlich, weil sie als Ursache seines Minderverdienstes nur - in etwa gleichwertig - neben der Silikoseprophylaxe stünden. Daraus kann jedoch nach dem Sinn der Übergangsrente nicht der Anspruch auf Gewährung dieser Leistung für Zeiten hergeleitet werden, in denen die Silikoseprophylaxe neben anderen Ursachen Grund des Minderverdienstes oder anderer wirtschaftlicher Nachteile ist.
§ 5 Abs 1 Buchst b der BKVO Saar sieht vor, daß der Versicherungsträger den Versicherten zur Unterlassung der gefährlichen Beschäftigung anzuhalten und ihm zum Ausgleich einer hierdurch verursachten Minderung seines Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsrente bis zur Hälfte der Vollrente oder ein Übergangsgeld bis zur Höhe des Betrages der halben Jahresvollrente zu gewähren hat. Die Leistung wird nach § 5 Abs 3 BKVO-Saar für abgelaufene Zeiträume gewährt, die jeweils ein Jahr nicht übersteigen dürfen. Nur wenn dabei festgestellt werden kann, daß die vorbeugenden Maßnahmen noch Grund des Minderverdienstes oder der sonstigen wirtschaftlichen Nachteile sind, darf die Leistung gewährt werden. Wird aber die Übergangsrente nur wegen der Silikoseprophylaxe gewährt und ist jeweils in jährlichen Abständen eine Kontrolle dahin vorgesehen, ob dies noch der Fall ist oder ob eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, so ist damit die Silikoseprophylaxe zum ausschließlichen Leistungsgrund erklärt (so im Ergebnis schon das Urteil des BSG vom 31. Januar 1967 - 2 RU 140/66 - in SozR Nr 2 zu BKVO-Saar § 5). Mit den Vorinstanzen muß § 5 Abs 3 BKVO-Saar deshalb so verstanden werden, daß ein Anspruch auf Übergangsrente nur solange und insoweit besteht, als die Minderung des Verdienstes oder die sonstigen wirtschaftlichen Nachteile allein auf vorbeugende Maßnahmen iS des Absatzes 1 der Vorschrift zurückzuführen sind.
Mit dieser Begrenzung nach dem - ausschließlichen - Leistungszweck entspricht die für das Saarland maßgebliche Regelung im Ergebnis der im übrigen Bundesgebiet geltenden - schematischen - zeitlichen Begrenzung der Übergangsleistung auf längstens fünf Jahre gemäß § 3 Abs 2 BKVO. Es wird damit nämlich sichergestellt, daß die Übergangsleistung nicht lebenslänglich, sondern nur für eine Übergangszeit gewährt wird. Mit dem Sinn und Zweck einer zeitlich begrenzten Leistung wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die Silikoseprophylaxe als Mitursache neben anderen Ursachen für die Bewilligung der Übergangsrente ausreichen würde. Beim Kläger kommt es daher nicht darauf an, ob zwei in etwa gleichwertige Ursachen für seinen Minderverdienst vorliegen, sondern nur darauf, ob trotz der hinzugetretenen silikoseunabhängigen Leiden die Silikoseprophylaxe noch alleinige Ursache seines Minderverdienstes und der sonstigen wirtschaftlichen Nachteile geblieben war. Dies haben die Beklagte und die Vorinstanzen angesichts der auch vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen medizinischen Beurteilung zutreffend verneint.
Übereinstimmend mit den obigen Erwägungen hat der 5. Senat des BSG bereits in seinem Urteil vom 15. Dezember 1971 (- 5 RKnU 9/70 - SozR Nr 1 zu § 9 der 7. BKVO vom 20. Juni 1968, dort Blatt Aa 3 Rückseite am Ende) entschieden, daß § 5 BKVO-Saar den Anspruch auf Übergangsleistungen ausdrücklich nur solange und nur insoweit einräumt, als der Minderverdienst und die Arbeitsplatzbeschränkung aus Gründen der Berufskrankheiten-Prophylaxe in "ausschließlichem" ursächlichem Zusammenhang stehen. Eine unverhofft auftretende andere Erkrankung, die den Versicherten außerstande gesetzt hätte, eine besser bezahlte Arbeit zu verrichten, hätte - wie in der Entscheidung erläuternd betont wird - den Anspruch auf Übergangsrente entfallen lassen. Dem steht das Urteil des 5. Senats des BSG vom 22. August 1975 zu § 3 BKVO (- 5 RKnU 5/74 - BSGE 40, 146, 149 = SozR 5677 § 3 Nr 1) nicht entgegen. Denn nach dieser Bestimmung kommt es - anders als nach § 5 Abs 3 der BKVO Saar - nicht darauf an, daß die Silikoseprophylaxe die alleinige Ursache eines Minderverdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile des Versicherten ist. Es genügt im Rahmen des § 3 BKVO vielmehr, daß die Einstellung der silikosegefährdeten Tätigkeit geeignet ist, einen Minderverdienst oder einen sonstigen wirtschaftlichen Nachteil herbeizuführen, weil bei dieser Regelung - wie oben bereits ausgeführt - der Übergangscharakter der Leistungen von vornherein durch ihre zeitliche Begrenzung auf längstens fünf Jahre gewahrt wird. Im Hinblick darauf käme ein Anspruch auf die Übergangsleistung nach § 3 Abs 2 BKVO nur dann nicht in Betracht, wenn eine silikoseunabhängige Erkrankung für den Minderverdienst oder den sonstigen wirtschaftlichen Nachteil in dem nach dieser Vorschrift maßgebenden Fünfjahreszeitraum allein verantwortlich wäre. Mit den diesbezüglichen Ausführungen im Urteil des 5. Senats vom 22. August 1975 (aaO) ist daher die Auslegung, die derselbe Senat im Urteil vom 15. Dezember 1971 (aaO) dem § 5 Abs 3 BKVO-Saar gegeben hat, keineswegs aufgegeben worden. Der erkennende Senat hat somit keinen Anlaß, von dieser Auslegung der hier entscheidenden Norm des § 5 Abs 3 BKVO-Saar abzuweichen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen