Entscheidungsstichwort (Thema)
Student. Fußballspiel. Unfallversicherung
Orientierungssatz
Verunglückt ein Studierender bei einer sportlichen Veranstaltung, die vom Allgemeinen Studentenausschuß seiner Fachschule organisiert wurde, so kommt es für die Frage des Unfallversicherungsschutzes darauf an, ob die studentische Selbstverwaltung mit der Organisierung schulsportlicher Betätigung Aufgaben wahrnimmt, die noch der versicherten Ausbildung zuzurechnen sind.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 14
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 08.11.1966) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. November 1966 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der 1938 geborene Kläger besuchte - nach seiner mit der Gesellenprüfung abgeschlossenen Elektrikerlehre - von Oktober 1961 an als Vollschüler das Technikum der Ingenieurschule L (L). Am Freitag, dem 18. Mai 1962, fand ein Ausscheidungsspiel um den Fußballpokal statt, den einige Jahre zuvor der Allgemeine Studentenausschuß (AStA) der Ingenieurschule gestiftet hatte. Solche Ausscheidungsspiele wurden seither in jedem Sommer zwischen Mannschaften ausgetragen, die aus Angehörigen der einzelnen Semester bestanden. An diesem Fußballspiel nahm der Kläger teil und erlitt dabei einen Unterschenkelbruch. Die Beklagte lehnte eine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) ab, weil nach Auskunft der Schulleitung der Stundenplan eine sportliche Betätigung der Studenten nicht vorsah und es sich bei dem Fußballspiel nicht um eine offizielle Schulveranstaltung gehandelt habe.
Das Sozialgericht Detmold hat - nach zeugenschaftlicher Vernehmung des Schuldirektors und des seinerzeitigen AStA-Vorsitzenden - die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen seines Arbeitsunfalls vom 18. Mai 1962 die gesetzlichen Leistungen zu gewähren: Die vom Bundessozialgericht (BSG) in der Entscheidung vom 28. November 1961 (BSG 16, 1) aufgestellten Voraussetzungen des UV-Schutzes für Teilnahme am Betriebssport seien hier erfüllt.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die am 19. Juni 1953 vom nordrhein-Westfälischen Kultusministerium genehmigte "Ordnung der Selbstverwaltung der Studierenden an den Ingenieurschulen des Landes Nordrhein-Westfalen" (OSI) beigezogen und durch Urteil vom 8. November 1966 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Ob der UV-Schutz für den Kläger aus dem Gesichtspunkt des Betriebssports (BSG 16, 1) begründet sei, bleibe dahingestellt; denn dieser UV-Schutz ergebe sich bereits unmittelbar aus § 537 Nr. 11 der Reichsversicherungsordnung (in der bis zum 30. Juni 1963 geltenden Fassung - RVO aF). Der Kläger sei als Vollschüler des Technikums Lernender einer Fachschule im Sinne dieser Vorschrift gewesen. Bei dem Fußballpokalspiel habe es sich um eine schulische Veranstaltung gehandelt, die von der Autorität der Ingenieurschule getragen und mit deren Billigung durchgeführt worden sei. Ferner gründe sich die Anordnung des Fußballspiels auf die Bestimmungen der ministeriell genehmigten OSI, nach der an jeder Ingenieurschule eine Selbstverwaltung der Studierenden einzurichten sei; diese stelle ein Organ der Schulverwaltung dar, das nach Nr. 4 Buchst. b der OSI auch für die Anleitung zur sportlichen Bestätigung und für die Durchführung von Sportwettspielen zu sorgen habe. In Ausführung dieser normativen Regelung habe der AStA den Schulpokal gestiftet und seit dem Sommersemester 1959 die Fußballspiele angesetzt. Diese Spiele seien demnach auf Anordnung des Kultusministeriums und nicht im privaten Interesse der Ingenieurschüler durchgeführt worden. Das vom AStA angesetzte, von der Autorität der Ingenieurschule getragene Pokalspiel, bei dem der Kläger verunglückte, habe somit im Rahmen, wenn auch am Rande der Ausbildung gelegen, wie das für einzelne Seminare und Arbeitsgemeinschaften in höheren Schulen auf freiwilliger Basis häufig der Fall sei. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 29. November 1966 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 9. Dezember 1966 Revision eingelegt mit dem Antrag,
unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Klage abzuweisen.
hilfsweise,
die Sache nach § 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an das LSG zurückzuverweisen.
In ihrer am 23. Dezember 1966 eingegangenen Revisionsbegründung trägt die Beklagte vor, es erscheine zweifelhaft, ob das Pokalspiel am 18. Mai 1962 als "von der Autorität der Ingenieurschule getragen" anzusehen sei. Zu Unrecht leite das LSG den UV-Schutz für den Kläger aus § 537 Nr. 11 RVO her. Die Voraussetzungen des UV-Schutzes für Teilnahme am Betriebssport seien nicht erfüllt.
Der Kläger hat davon abgesehen, sich im Revisionsverfahren durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten zu lassen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden.
II
Die durch Zulassung statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
Die Beklagte meint an sich mit Recht, ein UV-Schutz nach Maßgabe der Grundsätze über den versicherten Betriebssport (BSG 16, 1) lasse sich im hier zu entscheidenden Fall nicht ohne weiteres bejahen, da bei dem nur im Sommerhalbjahr ausgetragenen Fußballpokalwettbewerb die erforderliche Regelmäßigkeit der Sportausübung nicht gegeben sei. Auch der erkennende Senat sieht - wie in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 28. August 1968 (2 RU 67/67) des Näheren dargelegt worden ist - in jenen Grundsätzen keinen geeigneten Maßstab für die Prüfung der Frage, ob sportliche Betätigungen von Ingenieurschülern und sonstigen "Lernenden während der beruflichen Ausbildung an Fachschulen" (§ 537 Nr. 11 RVO aF, insoweit gleichlautend mit § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO nF) dem UV-Schutz unterliegen. Diese Frage ist vielmehr nach besonderen, nicht dem Begriff des Betriebssports entlehnten Gesichtspunkten zu beurteilen. Als bedeutsam erachtet der Senat hierbei insbesondere, daß eine körperliche Ertüchtigung durch sinnvolle sportliche Betätigung geeignet ist, die eine Fachschule besuchenden jungen Menschen bei ihrer beruflichen Ausbildung zu fördern. Enthält trotzdem der vorgeschriebene Lehrplan der Fachschule keine Sportstunden, so kommt es nach Ansicht des Senats darauf an, ob die studentische Selbstverwaltung, verkörpert durch den AStA, mit der Organisation schulsportlicher Betätigung Aufgaben wahrnimmt, die noch der versicherten Ausbildung zuzurechnen sind.
Diesen maßgebenden Gesichtspunkten ist auch das LSG in dem hier zu entscheidenden Fall gefolgt. Im Unterschied zu den Verhältnissen in Niedersachsen, mit denen sich der in der Sache 2 RU 67/67 entschiedene Rechtsstreit befaßte, war aber hier mit der vom nordrhein-westfälischen Kultusministerium genehmigten OSI schon seit langem eine Rechtsgrundlage vorhanden, aus der sich für den AStA - Kultur- und Sportausschuß - ein das amtliche Schulprogramm ergänzender Funktionsbereich ableiten ließ. Mit Recht hat das LSG hieraus geschlossen, daß die vom AStA - mit Billigung der Schuldirektion - angesetzten allsommerlichen Fußballpokalspiele Sportveranstaltungen darstellten, die von der Autorität der Ingenieurschule getragen wurden und sich damit noch im Rahmen der dem UV-Schutz unterliegenden Ausbildung hielten. Die von der Revision hiergegen vorgebrachten Argumente treffen nicht zu. Dem Kläger ist demnach mit Recht für seinen am 18. Mai 1962 erlittenen Arbeitsunfall die gesetzliche Entschädigung zuerkannt worden.
Die Revision ist somit unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen