Leitsatz (amtlich)
1. Die auf EheG § 58 beruhende Unterhaltsverpflichtung des in der DDR lebenden Versicherten wird durch eine später dort in Kraft getretene - für ihn günstigere - gesetzliche Neuregelung nicht berührt, wenn die anspruchsberechtigte frühere Ehefrau zuvor ihren ständigen Wohnsitz in die BRD verlegt hat (vgl auch BSG 1971-07-29 5 RJ 21/70 = BSGE 33, 89).
2. Die Voraussetzung des RVO § 1265 S 2 - "ist eine Witwenrente nicht zu gewähren" - ist erfüllt, wenn die Witwe in der DDR lebt.
Normenkette
RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23, S. 2 Fassung: 1965-06-09; EheG § 58 Fassung: 1946-02-20; BGBEG Art. 17
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 29. Oktober 1970 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres am 16. März 1966 in Weimar (DDR) verstorbenen geschiedenen Ehemannes nach § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Das Sozialgericht (SG) hat ihrem Anspruch stattgegeben (Urteil vom 21. Oktober 1969), das Landessozialgericht (LSG) dagegen die Klage gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 27. März 1968 abgewiesen (Urteil vom 29. Oktober 1970). In dem Urteil sind die folgenden - nicht angegriffenen - Tatsachenfeststellungen getroffen: Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde durch Urteil des Kreisgerichts Weimar/Land vom 19. Dezember 1952 aus alleinigem Verschulden des Ehemannes geschieden. Die Klägerin hält sich seit März 1953 ständig in der Bundesrepublik Deutschland auf; zuvor lebte sie - wie ihr Ehemann - in der DDR. Dieser war seit Oktober 1954 wieder verheiratet. Vor seinem Tode bezog er eine Rente von 217,- DM-Ost monatlich.
In den Entscheidungsgründen hat das LSG ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 1265 RVO seien in dem vorliegenden Fall nicht erfüllt. Der geschiedene Ehemann der Klägerin habe dieser im letzten Jahr vor seinem Tode keinen Unterhalt geleistet. Eine Verpflichtung zur Unterhaltszahlung nach den Vorschriften des Ehegesetzes 1946 (EheG 1946) habe schon deshalb nicht bestehen können, weil der Versicherte sich zu keiner Zeit in der Bundesrepublik aufgehalten habe. Auch seine Einkommensverhältnisse hätten eine solche Verpflichtung ausgeschlossen. Eine Unterhaltsverpflichtung aus sonstigen Gründen scheide ebenfalls aus. Der geschiedene Ehemann der Klägerin sei zwar während und möglicherweise auch vor Durchführung des Scheidungsverfahrens aufgrund einer Gerichtsentscheidung zur Unterhaltszahlung in Höhe von 60,- DM-Ost verpflichtet gewesen. Dafür, daß diese Verpflichtung nach Abschluß des Scheidungsverfahrens weiter bestanden haben könnte, habe sich kein hinreichender Anhalt ergeben. - Die Anwendung des § 1265 Satz 2 RVO führe zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis. Der ständige Aufenthalt des Versicherten in der DDR - nicht dagegen seine Vermögens- und Erwerbsverhältnisse - habe der Begründung einer Pflicht zur Unterhaltsgewährung im Wege gestanden. Selbst wenn man aber von den Vorschriften des in der Bundesrepublik geltenden Eherechts ausgehe, so ergebe sich kein Anspruch der Klägerin. Es fehle an der weiteren Voraussetzung des § 1265 Satz 2 RVO, daß eine Witwenrente nicht zu gewähren sei. Zwar werde der Witwe des Versicherten zur Zeit keine Rente ausgezahlt, dem Grunde nach stehe ihr jedoch ein solcher Anspruch zu.
Mit der Revision tritt die Klägerin der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsauffassung entgegen. Sie hält die Voraussetzungen des § 1265 RVO für erfüllt. Ihre Ehe sei in der DDR in Anwendung des EheG 1946 aus alleinigem Verschulden ihres Ehemannes geschieden worden. Eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten habe nur seiner ungünstigen finanziellen Lage wegen nicht bestanden. In Anwendung des § 1265 Satz 2 RVO stehe ihr ein Rentenanspruch zu, weil eine Witwenrente wegen des Aufenthalts der Witwe in der DDR nicht zu gewähren sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 29. Oktober 1970 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hildesheim vom 21. Oktober 1969 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie stützt sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils.
Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG. Es ist nicht auszuschließen, daß der Klägerin nach § 1265 RVO ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes zusteht.
Dem LSG ist allerdings darin zuzustimmen, daß sich der Anspruch nicht allein aus Satz 1 dieser Vorschrift herleiten läßt. Der Versicherte hatte der Klägerin zur Zeit seines Todes weder Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten, noch wurden von ihm im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhaltsleistungen erbracht. Die Anwendung des § 1265 Satz 2 RVO kann jedoch zur Begründung des Rentenanspruchs führen. Nach § 58 EheG 1946 hat der allein für schuldig erklärte Mann unter den weiter dort genannten Voraussetzungen der geschiedenen Frau den angemessenen Unterhalt zu gewähren. Diese Verpflichtung kann beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 59 EheG 1946 - fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des geschiedenen Mannes - gemindert sein oder ganz entfallen. In § 1265 Satz 2 RVO wird die finanzielle Leistungsfähigkeit des Mannes unterstellt. Wenn eine Witwenrente nicht zu gewähren ist - diese Frage wird noch zu erörtern sein -, so findet § 1265 Satz 1 RVO auch dann Anwendung, wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht bestanden hat. Das Berufungsgericht hat gemeint, nicht die ungünstige wirtschaftliche Lage, sondern vielmehr der ständige Aufenthalt des Versicherten in der DDR habe seiner Unterhaltsverpflichtung nach den Vorschriften des EheG im Wege gestanden. Es sei nicht auf das EheG 1946, sondern auf die für die Bevölkerung der DDR seit 1955 geltende Neuregelung abzustellen, die Unterhaltsansprüche nach Ehescheidungen in der Regel ausschließe. Mit dieser Auffassung geht das LSG fehl. Die Unterhaltsverpflichtung des Versicherten der Klägerin gegenüber war nach dem in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Recht zu beurteilen. - Zutreffend hat das Berufungsgericht die Wirksamkeit der von einem Gericht der DDR ausgesprochenen Ehescheidung angenommen; die geschiedenen Ehegatten sind Deutsche - die Feststellungen des LSG ergeben keinen Anhalt dafür, daß etwa der Ehemann Ausländer gewesen sein könnte -, ein deutsches Gericht hat die Scheidung in Anwendung des EheG 1946 - dieses Gesetz galt damals in beiden Teilen Deutschlands - ausgesprochen (vgl. hierzu BGHZ 34, 134 ff). Es kann offen bleiben, ob in Fällen dieser Art in der Bundesrepublik Deutschland eine Entscheidung im Verfahren nach § 606 ff der Zivilprozeßordnung (ZPO) dahin ergehen könnte, daß die Ehe noch bestehe - der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Frage jedenfalls für eine Ehescheidung, die in Anwendung der im Jahre 1955 in der DDR in Kraft getretenen sogenannten EheVO ausgesprochen worden ist, bejaht (vgl. BGHZ aaO) -, weil in dem vorliegenden Fall eine solche Klage nicht erhoben wurde. - Der BGH hat es abgelehnt, im Rahmen des "interzonalen Privatrechts" die Grundsätze des internationalen Rechts anzuwenden. Insbesondere - so hat er ausgeführt - finde Art. 17 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EG BGB) keine Anwendung (vgl. BGH aaO und in BGHZ 42, 99 ff). Er hat die Auffassung vertreten, daß ein Unterhaltsanspruch im Anschluß an eine in der DDR ausgesprochene Ehescheidung sich jedenfalls dann nach dem in der Bundesrepublik geltenden Recht richte, wenn der berechtigte Ehegatte zur Zeit des Erlasses des auf Scheidung seiner Ehe lautenden Urteils seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik hatte. Man habe sich von dem Grundsatz leiten zu lassen, "daß die auf dem Gebiete der Bundesrepublik ansässige Partei alle Rechte genießen soll, die ihr aus dem in Frage stehenden familienrechtlichen Verhältnisse nach der hier geltenden Rechtsordnung zustehen würde, soweit dem nicht höhere Belange der Allgemeinheit entgegenstehen". Dem stimmt der erkennende Senat zu. In dem vorliegenden Fall ist das Scheidungsurteil am 19. Dezember 1952 ergangen. Zu dieser Zeit befand sich die Klägerin noch in der DDR. Hieraus kann sich jedoch eine von der vorbezeichneten Ansicht abweichende Beurteilung nicht ergeben. Die Entscheidung des BGH in BGHZ 34, 134 ff betrifft eine Ehescheidung, die in Anwendung der in der DDR im Jahre 1955 in Kraft getretenen EheVO ergangen ist. In einem solchen Fall ist ein Unterhaltsanspruch möglicherweise dann nicht zur Entstehung gelangt, wenn beide Ehegatten zur Zeit der Scheidung ihren ständigen Wohnsitz in der DDR hatten. Unter dieser Voraussetzung konnte es für die vom BGH getroffene Entscheidung bedeutsam sein, daß die Ehefrau sich zu dieser Zeit bereits in der Bundesrepublik aufhielt. Anders ist es in dem hier zu entscheidenden Fall. Die Scheidung ist zwar ebenfalls in der DDR ausgesprochen worden, jedoch in Anwendung des EheG 1946. Demgemäß enthält das Urteil auch die Feststellung, daß der Ehemann die alleinige Schuld an der Scheidung trage. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin - damit zugleich die Unterhaltsverpflichtung des Versicherten - richtete sich auch in der DDR - ebenso wie in der Bundesrepublik - nach § 58 ff EheG 1946 (vgl. hierzu BSG in SozR Nr. 59 zu § 1265 RVO). Derselbe Zustand hat noch bestanden, als die Klägerin im März 1953 ihren Wohnsitz in die Bundesrepublik verlegt hat; das EheG 1946 ist in der DDR erst im Jahre 1955 durch eine neue gesetzliche Regelung abgelöst worden. Die Anwendung der Rechtsprechung des BGH, von der abzuweichen der Senat keinen Anlaß sieht - die in der Bundesrepublik ansässige Partei soll die Rechte genießen, die ihr nach der hier geltenden Rechtsordnung zustehen - führt zu dem Ergebnis, daß eine auf § 58 EheG 1946 beruhende Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehemannes durch die später in der DDR in Kraft getretene - für ihn günstigere - gesetzliche Neuregelung nicht berührt werden konnte. Darauf, daß ein solcher Anspruch möglicherweise nicht vollstreckt werden konnte, kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Dieses Ergebnis - daß nämlich im Verhältnis zwischen der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann bis zu dessen Tod die §§ 58 ff EheG 1946 anzuwenden waren - stimmt mit der Entscheidung des BSG vom 29. Juli 1971 (SozR Nr. 59 zu § 1265 RVO) überein. Dort ist allerdings zur Begründung dafür, daß die Ablösung des EheG 1946 in der DDR durch die EheVO 1955 für Fälle der vorliegenden Art unbeachtlich sei, auf Art. 14 Abs. 2 EG BGB abgestellt worden. Das in der Bundesrepublik geltende Recht finde Anwendung, weil die Frau die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik (= Reichsangehörigkeit) "behalten", der Mann sie dagegen "verloren" habe. Ob es der Heranziehung dieser Vorschrift bedarf, kann offen bleiben. - Die - nicht veröffentlichte - Entscheidung des erkennenden Senats vom 29. Juni 1967 - Az.: 4 RJ 383/66 - steht dem hier gewonnenen Ergebnis nicht entgegen. Diese Entscheidung betrifft einen anderen Sachverhalt.
Hiernach ist es denkbar, daß eine Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehemannes nach den Vorschriften des EheG 1946 nur seiner ungünstigen finanziellen Verhältnisse wegen nicht bestanden hat.
Die weitere Voraussetzung des § 1265 Satz 2 RVO, "ist eine Witwenrente nicht zu gewähren", hält der Senat - der Rechtsprechung des BSG folgend (vgl. SozR Nr. 20 zu § 1268 RVO) - für erfüllt. Dem steht die Tatsache, daß eine Witwe vorhanden ist, nicht entgegen. Es ist schon zweifelhaft, ob der Witwe des Versicherten dem Grunde nach ein Rentenanspruch zusteht. Einem solchen Anspruch könnte ihr Aufenthalt in der DDR im Wege stehen (vgl. hierzu BSG 3, 286 ff; Beschluß des Großen Senats des BSG vom 21. Dezember 1971 - GS 6/71 -). Diese Frage bedarf jedoch hier keiner Entscheidung. Auch wenn die Rente nach § 1317 RVO ruhen sollte - das Ruhen der Rente eines Deutschen tritt hiernach dann ein, wenn er sich außerhalb des Geltungsbereichs der RVO aufhält - so bedeutet dies zugleich, daß sie während der in Betracht kommenden Zeit nicht zu gewähren ist. Dies hat das BSG in dem soeben erwähnten Fall - wenn auch zu § 1268 Abs. 4 RVO - bereits ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift hat eine Aufteilung der Rente zu erfolgen, wenn mehrere Berechtigte vorhanden sind. Nach der Rechtsprechung des BSG ist derjenige, dessen Rente ruht, nicht als Berechtigter im Sinne des § 1268 Abs. 4 RVO anzusehen. Das Gesetz stelle - so ist dort ausgeführt - auf die finanzielle Belastung des Versicherungsträgers ab. Dieser sei nur dann zur Kürzung einer Rente berechtigt, wenn er sonst über Gebühr in Anspruch genommen werde. Es komme also allein darauf an, ob tatsächlich eine Zahlungsverpflichtung bestehe. Diese Auffassung läßt sich auf § 1265 RVO übertragen. Dort ist zwar nicht auf einen "Berechtigten", sondern darauf abgestellt, ob eine Rente zu gewähren ist. Jedoch macht dies keinen bedeutsamen Unterschied. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch deutet "gewähren" noch eher darauf hin, daß es auf das tatsächliche Zahlen der Rente ankommen solle. Auch der Sinngehalt der Vorschrift weicht insoweit nicht von dem des § 1268 Abs. 4 RVO ab. Der Versicherungsträger soll der geschiedenen Ehefrau unter den weiteren Voraussetzungen des § 1265 Satz 2 RVO die Rente zahlen, wenn er von einer Zahlungsverpflichtung der Witwe gegenüber entbunden ist. Die Möglichkeit, daß in Ausnahmefällen für eine kurze Zeit Doppelleistungen erbracht werden müssen, besteht auch im Rahmen des § 1268 Abs. 4 RVO; sie rechtfertigt keine andere Entscheidung (vgl. hierzu auch BSG in SozR Nr. 50 zu § 1265 RVO).
Gleichwohl ist der Senat an einer abschließenden Entscheidung gehindert. Die vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen reichen hierzu nicht aus. Die Verpflichtung der Beklagten zur Rentenzahlung ist nicht aus den vom LSG angegebenen Gründen ausgeschlossen. Es bedarf noch der Prüfung, ob die übrigen Voraussetzungen für die Rentengewährung erfüllt sind. Das angefochtene Urteil enthält insbesondere keine hinreichenden Feststellungen darüber, über welche Einnahmequellen die Klägerin vor dem Tode ihres geschiedenen Ehemannes verfügt hat. Zwar ist in der angefochtenen Entscheidung erwähnt, sie habe eine Rente aus eigener Versicherung in Höhe von 155,30 DM bezogen. Dies schließt jedoch nicht aus, daß sie noch sonstiges Einkommen hatte. Hierdurch könnte ihr Rentenanspruch beeinflußt werden, dann nämlich, wenn ihre eigenen Einkommens- oder Vermögensverhältnisse einem Unterhaltsanspruch ihrem geschiedenen Ehemann gegenüber im Wege gestanden haben.
Der Rechtsstreit ist daher an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
Fundstellen