Leitsatz (amtlich)
Hat die Rente des Versicherten aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen Bezugs einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung teilweise geruht, so ist "Zahlbetrag der Versichertenrente" iS des RVO § 1268 Abs 2 S 2 grundsätzlich der Rentenbetrag, der nach Anwendung der Ruhensvorschriften gewährt wurde .
Normenkette
RVO § 1268 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 24. November 1967 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 7. November 1966 aufgehoben.
Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. März 1966 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, welches der Zahlbetrag der Versichertenrente im Sinne des § 1268 Abs. 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) ist, wenn die Rente des verstorbenen Versicherten wegen Bezugs einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zum Teil geruht hat.
Der Versicherte ist am 6. Oktober 1965 gestorben. Er bezog eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Seit 1950 bezog er gleichzeitig auch eine Versichertenwanderrente (§ 26 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - aF, § 1253 RVO aF). Sie war gemäß § 1274 RVO aF wegen ihres Zusammentreffens mit der Verletztenrente gekürzt. Bei der Umstellung der Versichertenrente mit den Faktoren der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze wurden die Ruhensvorschriften des neuen Rechts angewandt. Nach dem für das Todesjahr 1965 geltenden 7. Rentenanpassungsgesetz (RAG) betrug die Verletztenrente monatlich 174,40 DM. Die Wanderrente des Versicherten hätte nach dem 7. RAG ohne Anwendung von Ruhensvorschriften monatlich 482,78 DM betragen. Nach Kürzung (§ 55 AVG, § 1278 RVO) betrug sie monatlich 384,90 DM und wurde in dieser Höhe gezahlt.
Die 1893 geborene Klägerin, die Witwe des verstorbenen Versicherten, erhält keine Witwenrente aus der Unfallversicherung.
Die Beklagte errechnete für den Zeitpunkt des Todes des Versicherten nach neuem Recht eine Erwerbsunfähigkeitsrente des Versicherten in Höhe von 458,- DM. Daraus berechnete sie sechs Zehntel als Witwenrente, nämlich 274,80 DM monatlich, für die Zeit nach Ablauf des Sterbevierteljahres, das ist seit dem 1. Februar 1966 (Bescheid vom 11. März 1966).
Die Klägerin ist mit dieser Berechnung der Witwenrente nicht einverstanden. Sie meint, es müßten sechs Zehntel aus dem ungekürzten Betrag einer Versichertenrente von 482,78 DM berechnet werden; dies sei der "Zahlbetrag der Versichertenrente" im Sinne des § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO. Die Beklagte hingegen hält den an den Versicherten ausgezahlten gekürzten Betrag der Versichertenrente in Höhe von 384,90 DM für den Zahlbetrag im Sinne des § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO; da aber sechs Zehntel aus der nach neuem Recht berechneten Erwerbsunfähigkeitsrente des Versicherten günstiger seien, sei die errechnete Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 458,- DM der Berechnung der Witwenrente zugrunde zu legen.
Das Sozialgericht (SG) Bremen hat die Beklagte verpflichtet, der Witwenrente einen Zahlbetrag von 482,78 DM zugrunde zu legen (Urteil vom 7. November 1966).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 24. November 1967). Es hat sinngemäß im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe zwar gesetzeskonform die Erwerbsunfähigkeitsrente des Versicherten auf den Zeitpunkt seines Todes mit 458,- DM neu berechnet und dann daraus sechs Zehntel (274,80 DM) als Witwenrente gezahlt. Die Klägerin brauche sich aber nicht mit dieser Normalberechnung der Witwenrente zufrieden zu geben. Grundsätzlich sei zwar die tatsächlich gezahlte Rente unter dem Begriff "Rentenzahlbetrag" zu verstehen (BSG 11, 251; 14, 251). In Ausnahmefällen, wenn der Kürzungs- oder Ruhenstatbestand nur vorübergehender Natur sei oder eine vom Regelfall abweichende Fallgestaltung vorliege, könne die Rente aber ohne die Ruhens- oder Kürzungstatbestände berücksichtigt werden. Bei der Klägerin liege einer der Ausnahmefälle vor. Der Ruhenstatbestand sei zwar für die Versichertenrente nicht lediglich vorübergehender Natur, aber für die Klägerin und deren Witwenrentenanspruch ein vorübergehender, ja bereits abgeschlossener Tatbestand, der nicht mehr fortwirke und daher auch nicht als Berechnungsfaktor für die Witwenrente fortwirken dürfe. Andernfalls würde die Klägerin, ohne - wie vorher ihr Ehemann - den Ausgleich durch eine Unfallrente zu haben, zeitlebens eine zu niedrige Witwenrente erhalten, obwohl die Voraussetzungen des Ruhens beim Zusammentreffen von Renten für die Witwenrente nicht gegeben seien.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügt Verletzung des § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO. Sie führt aus, in den Entscheidungen des Bundessozialgerichts - BSG - (BSG 11, 251; 14, 251; SozR Nr. 5, 6 und 9 zu Art. 2 § 36 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -) sei klargestellt, daß unter dem Rentenzahlbetrag grundsätzlich nur der Betrag zu verstehen sei, der nach Anwendung der Kürzungs- und Ruhensvorschriften errechnet und dem Versicherten ausgehändigt worden sei. Von diesen Grundsätzen sei hier nicht abzuweichen. Ein Ausnahmefall mit nur vorübergehendem Ruhens- oder Kürzungstatbestand liege hier nicht vor; denn die Unfallrente sei dem Versicherten nicht nur vorübergehend gewährt worden. Der Ruhenstatbestand bei der Versichertenrente könne nicht in Zusammenhang mit der Witwenrente gebracht werden, die auf einem neuen Versicherungsfall beruhe. Die gewisse Härte, daß die Klägerin nicht Unfallhinterbliebenenrente beanspruchen könne und ihr damit ein Ausgleich fehle, sei nicht typisch für § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO; denn immer, wenn der Tod des Versicherten nicht Unfallfolge sei, werde die Witwenrente den Betrag von 60 v.H. der Gesamtleistung an den Versicherten aus beiden Versicherungen erheblich unterschreiten. Deshalb sei allein vom Zahlbetrag der Rente aus der Rentenversicherung auszugehen. Sinn und Zweck des § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO sei die Sicherung des zuletzt Bezogenen, des letzten wirklichen Besitzstandes.
Die Klägerin ist vor dem BSG nicht vertreten.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision ist begründet. Die Beklagte ist ohne Gesetzesverletzung bei der Berechnung der Witwenrente von einer nach neuem Recht für den Todeszeitpunkt errechneten Erwerbsunfähigkeitsrente des Versicherten in Höhe von 458,- DM ausgegangen.
Nach § 1268 Abs. 1 RVO beträgt die Witwenrente sechs Zehntel der nach § 1253 Abs. 1 RVO ohne Berücksichtigung einer Zurechnungszeit berechneten Versichertenrente ohne Kinderzuschuß. Nach § 1268 Abs. 2 Satz 1 RVO beträgt die Witwenrente sechs Zehntel der nach § 1253 Abs. 2 RVO errechneten Versichertenrente ohne Kinderzuschuß, wenn der Berechtigte das 45. Lebensjahr vollendet hat (Nr. 1) usw. Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzung. Deshalb ist für die Berechnung ihrer Witwenrente eine Erwerbsunfähigkeitsrente des Versicherten (§ 1253 Abs. 2 RVO) von Bedeutung. Bei diesen nach § 1268 Abs. 2 Satz 1 RVO zu berechnenden Witwenrenten greift Satz 2 des Absatzes 2 ein: Hat der Versicherte bis zu seinem Tode eine Rente bezogen und beträgt die nach Satz 1 berechnete Rente weniger als sechs Zehntel des Zahlbetrages der Versichertenrente ohne Kinderzuschuß im Zeitpunkt des Todes, so ist sie auf diesen Betrag zu erhöhen.
Das Gesetz geht bei § 1268 Abs. 1 RVO von der als Regelfall angesehenen Sachlage aus, daß der Versicherte und seine Ehefrau ihren Lebensunterhalt aus der Versichertenrente bestritten haben oder hätten, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes invalide gewesen wäre und die entsprechende Versichertenrente bezogen hätte; andere Einkünfte des Versicherten werden nicht berücksichtigt. Die Lebensgrundlage des Ehepaares, die durch die Versichertenrente bestimmt wird, soll für die Witwe entsprechend ihren durch den Tod des Versicherten verminderten Lebensbedürfnissen durch die Witwenrente in etwa gewährleistet bleiben (vgl. die Begründung zu § 1272 des Regierungsentwurfs der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze in BTDrucks. II 2437). Dieser angenommene Regelfall bleibt auch bei der Einfügung des Satzes 2 in § 1268 Abs. 2 RVO von Bedeutung. Damit sollte aus sozialpolitischen Gründen vermieden werden, daß die Witwenrente bei Besitzstands- oder Umstellungsrenten des Versicherten infolge der Berechnungsweise nach § 1268 Abs. 2 Satz 1 RVO niedriger als sechs Zehntel der Rente des Versicherten ohne Kinderzuschuß im Zeitpunkt seines Todes wird (Begründung zum Regierungsentwurf des RVÄndG -BTDrucks. IV 2572). Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich der Sinn und Zweck des Abstellens auf den "Zahlbetrag" der Versichertenrente im Zeitpunkt des Todes: Der Witwe soll der Besitzstand des verstorbenen Versicherten, angepaßt an ihre verminderten Lebensbedürfnisse, erhalten bleiben. Der Besitzstand des Versicherten, den ihm die gesetzliche Rentenversicherung verschafft hat, ist durch den wegen Bezugs der Unfallrente gekürzten Rentenbetrag bestimmt. Nur dieser Rentenbetrag steht - aus der gesetzlichen Rentenversicherung - dem Versicherten zum Gebrauch zur Verfügung. Der Versicherte kann, soweit für die gesetzliche Rentenversicherung rechtserheblich, bei der Deckung seines und seiner Ehefrau Lebensbedarf nur von diesem Betrag ausgehen; ein nur errechneter ungekürzter Rentenbetrag ist dafür ohne Bedeutung. Der Begriff "Zahlbetrag" stellt es auf das tatsächliche Geschehen ab, im Gegensatz zum errechneten Betrag einer Rente, der aber aus gesetzlich vorgeschriebenen Gründen, wie bei Ruhens- oder Kürzungstatbeständen, nicht gezahlt wird.
Zum Begriff "Rentenzahlbetrag" in anderen Vorschriften der Rentenversicherung ist in der Rechtsprechung des BSG gesagt, daß darunter der an den Versicherten zu zahlende Betrag auch dann zu verstehen sei, wenn die Rente wegen Kürzungs- oder Ruhenstatbeständen gekürzt war oder ruhte, es sei denn, daß der Kürzungs- oder Ruhenstatbestand (zB Auslandsaufenthalt) lediglich vorübergehender Natur und sein Ende absehbar sei; der Gedanke der Besitzstandswahrung rechtfertige nicht die Erhaltung von Ansprüchen, die das bisherige Recht nur dem Grunde nach, nicht aber auch tatsächlich gegeben habe; der letzte wirkliche Leistungsstand, eine vom Tatsächlichen her bestimmte Größe, aber auch nicht mehr, solle erhalten bleiben; deshalb komme es auf den Rentenzahlbetrag an und nicht auf den - an sich - zustehenden, von einem Ruhen unberührten Betrag der Rente (BSG 14, 251, 253; 18, 207, 211; SozR Nr. 5, 6 und 9 zu Art. 2 § 36 ArVNG; Urteil vom 30. November 1966 - 4 RJ 411/65 -).
In diesem Sinn ist Zahlbetrag der Versichertenrente des Verstorbenen der Betrag von 384,90 DM, nicht der von 482,78 DM. Es kann nicht berücksichtigt werden, daß durch den Wegfall der Unfallrente des Versicherten die der Klägerin insgesamt zur Verfügung stehenden Geldmittel erheblich niedriger sind. Diese Folge tritt immer ein, wenn der Tod eines Unfallrentenempfängers nicht Folge des Unfalles ist. Das Gesetz sieht in dieser Richtung keinen Besitzstandsübergang auf die Witwe des Unfallrentenempfängers vor. Die Rentenversicherung des Versicherten ist für die Witwe in vollem Umfang berücksichtigt, indem ihre Witwenrente mit sechs Zehntel von der nach § 1268 Abs. 2 Satz 1 RVO berechneten Versichertenrente festgesetzt ist.
In SozR Nr. 9 zu Art. 2 § 36 ArVNG ist die Frage aufgeworfen, ob die in BSG 14, 251 für den Fall, daß der Kürzungs- oder Ruhenstatbestand nur vorübergehender Natur und sein Ende absehbar war, gemachte Annahme überhaupt gerechtfertigt ist. Dies konnte dort auf sich beruhen, weil ein solcher Sachverhalt nicht vorlag. Auch hier ist kein vorübergehender Kürzungstatbestand, dessen Ende für den Versicherten absehbar war, gegeben; denn der Versicherte hatte die Unfallrente, die zur Kürzung seiner Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung geführt hat, bereits seit 1940 bezogen. Der Auffassung des LSG, der Ruhenstatbestand des Bezuges der Unfallrente sei für die Klägerin nur vorübergehend gewesen, kann nicht gefolgt werden. Im Zusammenhang mit der Auslegung des Begriffs "Zahlbetrag" in § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO, der sich auf die Versichertenrente bezieht, kommt es nur darauf an, ob der Ruhenstatbestand sich auf die Versichertenrente nur vorübergehend mit absehbarem Ende ausgewirkt hat. Dies war hier jedoch nicht der Fall.
Da der Zahlbetrag der Versichertenrente von 384,90 DM niedriger ist, als die nach § 1268 Abs. 2 Satz 1 RVO errechnete Erwerbsunfähigkeitsrente des Versicherten von 458,- DM, gewährt die Beklagte zu Recht als Witwenrente sechs Zehntel aus der errechneten Erwerbsunfähigkeitsrente. Sie ist daher zu Unrecht zur Gewährung einer anders berechneten Witwenrente verurteilt worden. Ihre Revision ist begründet. Das Urteil des LSG ist daher aufzuheben.
Aus den gleichen Gründen ist auch die Berufung der Beklagten begründet. Das Urteil des SG ist daher ebenfalls aufzuheben, und die Klage der Klägerin ist abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen