Leitsatz (redaktionell)
Wenn ein auf einer auswärtigen Baustelle beschäftigter Arbeitnehmer regelmäßig den Weg von der Arbeitsstätte zu seiner Wohnung mit seinem eigenen Personenkraftwagen zurücklegt, ausnahmsweise aber zur Heimfahrt im Personenkraftwagen eines Arbeitskollegen mitgenommen wird, weil sein eigenes Fahrzeug nicht fahrbereit ist, dann besteht auch für den Heimweg Unfallversicherungsschutz, wenn der Arbeitskollege eine andere Fahrstrecke wählt und allein aus diesem Grunde ein Umweg zurückgelegt wird.
Normenkette
RVO § 550 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Mai 1967 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Kläger verunglückten am 18. August 1963, einem Sonntag, auf der Heimfahrt nach der Arbeit als Mitfahrer in einem Kraftwagen. Sie wohnten damals beide in W (Ndrh.) und arbeiteten als Montageschlosser einer Krefelder Baufirma in D. Den etwa 44 km betragenden Weg nach und von diesem Arbeitsort legten sie gewöhnlich im Personenkraftwagen des Klägers W auf der Bundesstraße 60 zurück. Am 17. August 1963 hatte sie das Versagen des Autos gehindert, ihren Arbeitsort zu erreichen. Um am nächsten Tag rechtzeitig zu der um 6 Uhr beginnenden Arbeit kommen zu können, veranlaßten sie den Bruder des Klägers Sch, K Sch, der ebenfalls in D beschäftigt war, sie mit seinem Kraftwagen von W zur Arbeitsstätte zu bringen. K Sch wohnte in G bei seinen Eltern. Vereinbarungsgemäß sollte er sich mit seinem Kraftwagen den Klägern so lange zur Verfügung stellen, bis der Kläger W die Fahrten mit seinem Kraftwagen hätte wieder übernehmen können. Bis dahin sollte K Sch bei seinem Bruder in W wohnen. Er hatte deshalb vor, nach der Arbeit am 18. August 1963 über G nach W zu fahren und aus seiner elterlichen Wohnung Nachtzeug und notwendige Kleidungsstücke mitzunehmen. Die Fahrt trat er gegen 13 Uhr in Begleitung der beiden Kläger an. In der Nähe von V kam es um 13.25 Uhr zu dem Unfall. Alle drei Insassen des Wagens wurden schwer verletzt. Der Weg nach W über G hätte etwa 70 km betragen. Auf dem direkten Weg hätten die Kläger ihren Wohnort mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können, allerdings von der Bus-Haltestelle bis zu ihren Wohnungen noch einen Fußweg von etwa 4 km zurücklegen müssen.
Den Klägern erteilte die Beklagte am 28. Oktober 1963 je einen Bescheid über die Ablehnung des Anspruchs auf Heilbehandlung und Unfallrente. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zum Unfall führende Fahrt habe nicht mit der versicherten Tätigkeit der Kläger in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang gestanden; sie sei im Verhältnis zum direkten Heimweg in eine ganz andere Richtung gegangen. Dafür seien keine betriebsbedingten Gründe maßgebend gewesen.
Beide Bescheide sind mit der Klage angefochten worden. Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) K zum Verfahren beigeladen und die Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden. Es hat die Klagen abgewiesen.
Die Kläger und die AOK haben hiergegen Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat am 9. Mai 1967 die Beklagte verurteilt, den Unfall vom 18. August 1963 als Arbeitsunfall anzuerkennen und die Kläger für die Folgen des Unfalls zu entschädigen. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt: Es stehe fest, daß die Kläger alsbald nach Beendigung ihrer betrieblichen Tätigkeit am 18. August 1963 die Fahrt zu ihrem Wohnort angetreten und sich unterwegs in G nur so lange aufgehalten hätten, wie zum Einpacken der Übernachtungsutensilien und Kleidungsstücke für K Sch erforderlich gewesen wäre. Endziel der Fahrt wären daher die Wohnungen der Kläger in W gewesen. Der unmittelbare Weg vom Arbeitsort nach W hätte allerdings über die Bundesstraße 60 geführt und wäre erheblich kürzer gewesen als die Fahrt über G. Gleichwohl sei der zu fordernde rechtlich wesentliche Zusammenhang zwischen der Fahrt über G und der vorangegangenen Betriebsarbeit der Kläger gegeben. Es stehe einem Versicherten grundsätzlich frei, ob er den Weg nach und von der Arbeitsstätte zu Fuß oder mit einem Transportmittel zurücklegen wolle. Im vorliegenden Falle sei es für den Versicherungsschutz unerheblich, daß die Kläger den Kraftwagen K Sch benutzt hätten und mit diesem über G nach Hause gefahren wären. W hätten sie ohne den Unfall bei einer Fahrgeschwindigkeit von 50 km/st etwa um 15 Uhr erreicht. Dieser Weg hätte den Klägern die Möglichkeit eröffnet, in den nächsten Tagen pünktlich von ihrem abgelegenen Wohnort, der zudem noch etwa 4 km von der nächstgelegenen Bus-Haltestelle entfernt sei, zur Arbeitsstelle zu gelangen. Dieser verhältnismäßig schnellen, sicheren und bequemen Zurücklegung des Weges hätte allerdings die Möglichkeit gegenübergestanden, den unmittelbaren Weg über die Bundesstraße 60, der mit etwa 44 km um ungefähr 26 km kürzer sei als der über G führende, mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zurückzulegen. Die Kläger wären auf diesem Wege um 14.31 in W gewesen, hätten aber von der Bus-Haltestelle aus noch mindestens eine Dreiviertelstunde zu Fuß bis zu ihren Wohnungen gehen müssen. Ferner sei zu berücksichtigen, daß die Kläger den Weg von ihrer Wohnung bis zu der weit entfernten Arbeitsstelle bis zum 16. August 1963 ausschließlich mit einem eigenen Wagen zurückgelegt hätten und deshalb wegen ihrer mangelnden Kenntnis der örtlichen Verhältnisse mit den Fahrplänen der öffentlichen Verkehrsmittel nicht vertraut gewesen seien. Sie hätten sich entweder während ihrer Arbeitszeit um die Abfahrtzeiten bemühen müssen, was nicht im betrieblichen Interesse gelegen hätte, oder riskieren müssen, erheblich später, als es ihnen die Fahrt über G ermöglicht hätte, nach Hause zu kommen. Überdies hätten die Kläger, nachdem sie sich für die Mitfahrt im Kraftwagen K Sch entschieden hätten, die Fahrtroute nicht bestimmen können. Das sei Sache des Fahrers gewesen, der nach seinen glaubhaften Angaben nur dann bereit gewesen wäre, die Kläger an den folgenden Tagen zur Arbeit zu fahren, wenn er am 18. August 1963 in G auf der Heimfahrt von der Arbeit seine Wäsche und andere Sachen hätte holen können.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist der Beklagten am 20. Juni 1967 zugestellt worden. Sie hat am 20. Juli 1967 Revision eingelegt und diese am 29. August 1967 wie folgt begründet: Die Fahrt im Kraftwagen K Sch sei in eine ganz andere Richtung gegangen, als diese durch das Ziel des Heimweges der Kläger vorgegeben gewesen sei. Der Versicherungsschutz der Kläger müsse unter dem Gesichtspunkt des Umweges beurteilt werden. Dabei sei die Annahme gerechtfertigt, daß die Fahrt nach G für die Kläger nur in einer ganz entfernten, losen Beziehung zur Betriebstätigkeit gestanden habe, so daß die Voraussetzungen des § 550 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht gegeben seien. Dies habe das LSG verkannt. Um eine sogenannte Gemeinschaftsfahrt habe es sich nicht gehandelt; die Kläger hätten K Sch nur begleiten wollen. Ziel der Fahrt sei die elterliche Wohnung K Sch in G. gewesen; alles Weitere habe lediglich der Vorbereitung der künftigen Arbeitswege für die Kläger und K Sch gedient. Den Klägers sei am Unfalltage zuzumuten gewesen, mit dem Bus nach W zu fahren.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG vom 9. Mai 1967 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der Kläger zu 1) beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er meint, für den Umweg seien betriebliche Gründe maßgebend gewesen.
Die AOK schließt sich dem Antrag des Klägers zu 1) an. Sie ist der Auffassung, der Gesichtspunkt der Vorbereitungshandlung könne nur in der Person K Sch Bedeutung haben; für die Kläger habe es sich um den Heimweg von der Arbeit gehandelt. Es müsse den Klägern freigestanden haben, nicht mit dem öffentlichen Verkehrsmittel heimzufahren, zumal da sie mindestens eine Stunde später als auf der Fahrt über G heimgekommen wären.
Der Kläger zu 2) hat keine Erklärung abgegeben.
II
Die Revision ist zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.
Die Kläger standen im Zeitpunkt des Unfalls unter Versicherungsschutz nach § 550 RVO. Sie befanden sich nach den im Berufungsurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen auf der Heimfahrt von der Arbeitsstätte. Diese Fahrt legten sie allerdings nicht auf dem nächsten und für sie üblichen Weg zurück; sie wählten vielmehr einen um mehr als die Hälfte längeren Weg; statt von ihrem Arbeitsort in D über die Bundesstraße 60 nach ihrem Wohnort W zu fahren, wollten sie über W und G nach Hause gelangen. Damit änderten sie ihren üblichen etwa 44 km betragenden Heimweg. Da die Fahrt von Anfang an die Wohnung der Kläger zum Ziel hatte, handelte es sich bei dem verlängerten Heimweg um einen Umweg. Dies wird entgegen der Ansicht der Revision nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Fahrt in G unterbrochen werden sollte, weil K Sch, der Bruder des einen Klägers, in dessen Kraftwagen die Kläger mitfuhren, aus seiner Wohnung in G einige persönliche Bedarfsgegenstände nach W mitnehmen wollte, um für einige Zeit bei seinem Bruder wohnen und von dort aus gemeinsam mit den Klägern in seinem Kraftwagen die Wege nach und von der Arbeitsstätte in D zurücklegen zu können. Diese nach Art und Dauer nur unerhebliche Unterbrechung der Fahrt nach W wäre nicht geeignet gewesen, die Weiterfahrt von G aus als einen neuen selbständigen Weg zu kennzeichnen.
Der Umweg wäre, wie sich schon aus seiner Länge ergibt, erheblich gewesen; denn die Fahrtstrecke über G nach W hätte etwa 70 km, also rund 26 km mehr betragen als diejenige, welche die Kläger gewöhnlich zurücklegten, um von der Arbeit in D nach Haus zu kommen. Da der Umweg zweifelsfrei nicht durch Umstände verursacht war (Straßenbeschaffenheit, Verkehrsdichte, Art des Verkehrsmittels), welche ihn trotz seiner Länge als rechtlich unerheblich erscheinen lassen könnten (vgl. BSG 4, 219, 222; SozR Nr. 33 und 42 zu § 543 RVO aF), und die Kläger nicht gehindert gewesen wären, sich auch am Unfalltag im Anschluß an ihre Arbeitsschicht mit dem Kraftwagen auf dem direkten Weg nach W zu begeben, konnten sie auf dem zum Unfall führenden Weg nur dann unter Versicherungsschutz stehen, wenn sie den verlängerten Weg wesentlich aus betrieblichen Gründen gewählt hatten.
Solche Gründe sind nach der Auffassung des erkennenden Senats nach den im Berufungsurteil festgestellten, von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen gegeben. Die Kläger wären auf dem Umweg im Kraftwagen K Sch auch unter Berücksichtigung der vorgesehenen Einkehr in dessen Wohnung in G gegen 15 Uhr zu Hause gewesen. Bei Benutzung der ihnen zur Verfügung stehenden öffentlichen Verkehrsmittel - Straßenbahn und Omnibus - hingegen hätten sie ihre Wohnungen ungefähr eine halbe Stunde später erreicht. Diesem zwar nicht großen Zeitgewinn ist jedoch unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles für die Beurteilung des inneren Zusammenhangs zwischen dem Umweg und der versicherten Tätigkeit der Kläger Bedeutung deshalb beizumessen, weil es sich an dem Nachmittag um den Freizeitbeginn nach einer Sonntagsfrühschicht handelte, die um 6 Uhr begonnen und die Kläger zu einem entsprechend frühen Aufbrechen zur Arbeit gezwungen hatte. Dazu kommt, daß die gemeinsame Fahrt im Kraftwagen K Sch für die Kläger den Vorteil mit sich brachte, unmittelbar bis zu ihren Wohnungen gefahren zu werden, während sie bei Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel von der für sie nächstgelegenen Bus-Haltestelle in W noch etwa 4 km hätten zu Fuß gehen müssen. Bei dem durch diese Besonderheiten gekennzeichneten Sachverhalt, vor allem dem mit der angeführten Beschwernis verbundenen Zurücklegen des direkten Weges, ist es nach der Auffassung des erkennenden Senats jedenfalls nicht zu beanstanden, daß das LSG den nach § 550 Satz 1 RVO zu fordernden Zusammenhang des Umweges mit der vorangegangenen Arbeitsschicht der Kläger bejaht hat. Die beigeladene AOK weist mit Recht darauf hin, daß es nicht der natürlichen Anschauung entspreche, den Versicherungsschutz der Kläger, die nach ständiger Rechtsprechung in der Wahl des ihnen für die Zurücklegung des Weges nach und von der Arbeitsstätte geeignet erscheinenden Verkehrsmittels frei waren (vgl. BSG in SozR Nr. 42 zu § 543 RVO aF), deshalb in Frage zu stellen, weil sie der fahrplanmäßig gebundenen, nach Lage der örtlichen Verkehrsverhältnisse umständlichen Verkehrsverbindung die bequemere und rascher ans Ziel führende Fahrt über G im Kraftwagen K Sch vorgezogen haben. Hierbei ist schließlich nicht außer acht zu lassen, daß die Fahrt über G der Vorbereitung der für die nächste Zeit notwendig gewordenen gemeinsamen Fahrten K Sch und der Kläger zur Arbeit von W nach D dienen sollte.
Die Entschädigungsansprüche der Kläger sind sonach vom LSG zu Recht bejaht worden. Der Begründung des angefochtenen Urteils ist allerdings insoweit nicht beizupflichten, als das LSG meint, der vorliegende Streitfall sei, da es sich um eine Gemeinschaftsfahrt gehandelt habe, nicht nach den Grundsätzen zu beurteilen, welche in der Rechtsprechung für den Versicherungsschutz bei Umwegen entwickelt worden sind. Hiermit verkennt das LSG, daß Fahrten dieser Art keine Ausnahme von den allgemeinen nach § 550 RVO zu beurteilenden Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit des Versicherten machen.
Hiernach mußte die Revision zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung ergeht auf Grund des § 193 SGG.
Fundstellen