Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff "Zustellung" iS der Verfahrensvorschriften. Begriff "Beteiligte" iS des SGG § 85 Abs 3
Leitsatz (redaktionell)
1. Nicht versicherungsfrei nach RVO § 172 Abs 1 Nr 5 und AVG § 4 Abs 1 Nr 4 (= RVO § 1228 Abs 1 Nr 3) ist ein Arbeitnehmer, der ein Studium aufnimmt, sein Beschäftigungsverhältnis jedoch nicht löst, sondern vom Arbeitgeber nur für die Dauer des Studiums beurlaubt und von ihm während der Semesterferien in seinem Beruf gegen Entgelt beschäftigt wird.
2. Ein Widerspruchsbescheid einer Krankenkasse (Einzugsstelle) über das Bestehen von Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosen- und in der Rentenversicherung, der den Trägern dieser Versicherungszweige nicht zugestellt wird, setzt für sie die Klagefrist nicht in Lauf (SGG § 87 Abs 2).
3. Mit der Aufhebungsklage gegen einen Bescheid der Einzugsstelle über das Bestehen von Versicherungsfreiheit kann ein Träger eines mitbetroffenen Versicherungszweiges den Antrag verbinden, die Einzugsstelle zur Einziehung der entsprechenden Versicherungsbeiträge zu verpflichten (Ergänzung zu BSG 1961-09-27 3 RK 74/59 = BSGE 15, 118).
4. Die Verjährung von Beitragsrückständen wird unterbrochen, wenn der Betroffene gegen einen Bescheid der Einzugsstelle über das Bestehen von Versicherungspflicht Widerspruch einlegt; das gleiche gilt, wenn ein beteiligter Versicherungsträger gegen einen (Widerspruchs-)Bescheid über das Bestehen von Versicherungsfreiheit Klage erhebt (vergleiche BSG 1969-11-12 4 RJ 245/68 = SozR Nr 5 zu § 1420 RVO).
Orientierungssatz
1. Eine in Verfahrensvorschriften normierte Zustellung ist iS einer förmlichen Zustellung zu verstehen; bei Mängeln der Zustellung, insbesondere bei einer nur formlosen Bekanntgabe, wird die Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfs nicht in Lauf gesetzt.
2. Zu den Beteiligten iS des SGG § 85 Abs 3 gehören neben dem Adressaten des Widerspruchsbescheides auch alle anderen Rechtsträger, in deren Rechte der Bescheid unmittelbar eingreift.
Normenkette
SGG § 87 Abs. 2 Fassung 1953-09-03; RVO § 29 Abs. 1 Fassung 1924-12-15; AFG § 168 Fassung: 1969-06-25; SGG § 54 Abs. 1 Fassung 1953-09-03; RVO § 1420 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, § 1399 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; AVG § 4 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1228 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23; SGG § 85 Abs. 3 S. 1 Fassung 1953-09-0, S. 2 Fassung 1953-09-0; RVO § 172 Abs. 1 Nr. 5 Fassung 1945-03-17; AFG § 169 Nr. 1 S. 1 Fassung: 1969-06-25
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 07.06.1973) |
SG Nürnberg (Urteil vom 29.06.1971) |
Tenor
Auf die Revisionen der Bundesanstalt für Arbeit und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Juni 1973 aufgehoben. Die Berufung des Beigeladenen Becker gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 29. Juni 1971 wird zurückgewiesen.
Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beigeladene B… (B.) während seiner Beschäftigungen in den Semesterferien der Arbeitslosen- und der Angestelltenversicherungspflicht unterlag.
B.… hatte 1961 die Gehilfenprüfung als Versicherungskaufmann abgelegt und war danach als Angestellter in dem beigeladenen Versicherungsunternehmen tätig. Am 1. Oktober 1967 begann er ein dreijähriges Studium an der Deutschen Versicherungsakademie (DVA) in Köln, einer staatlich genehmigten höheren Wirtschaftsfachschule für das Versicherungswesen; nach Abschluß des Studiums wurde er zum Betriebswirt graduiert. Für die Dauer des Studiums hatte ihn der Arbeitgeber unter Zahlung von Ausbildungszuschüssen beurlaubt. In den Semesterferien der Jahre 1968 bis 1970 war B.… jeweils 1 bis 2 Monate bei seinem Arbeitgeber gegen die übliche Tarifvergütung beschäftigt, und zwar vom 1. Februar bis zum 14. März 1968 (1.158,40 DM), vom 15. Juli bis zum 8. September 1968 (1.521 DM), vom 1. Februar bis zum 28. Februar 1969 (838 DM), vom 15. Juli bis zum 14. September 1969 (1.797,31 DM), vom 1. Februar bis zum 28. Februar 1970 (997 DM) und vom 16. Juli bis zum 16. August 1970 (1.193,30 DM). Auch nach Beendigung des Studiums war B.… weiterhin bei dem bisherigen Arbeitgeber als Angestellter tätig.
Die beklagte Krankenkasse hat seine Beschäftigungen in den Semesterferien zunächst als versicherungspflichtig angesehen, sie dann jedoch auf seinen Widerspruch für versicherungsfrei erklärt (Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1969). Auf Anfrage teilte sie der Bundesanstalt für Arbeit (BA) mit Schreiben vom 8. Januar 1970 und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) mit Schreiben vom 13. Mai 1970 mit, daß dem Widerspruch des B.… Abgeholfen worden sei.
Die BA hat daraufhin mit der am 1. Juli 1970 erhobenen Klage beantragt, den Widerspruchsbescheid der Beklagten aufzuheben und sie zu verpflichten, für B.… Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ab 1. Oktober 1967 einzuziehen. Den gleichen Antrag hat für die Angestelltenversicherung die vom Sozialgericht (SG) beigeladene BfA mit ihrem Schriftsatz vom 2. Juni 1971 gestellt. Nach Ansicht der BA war B.… während der fraglichen Zeit nicht nach § 172 Abs. 1 Nr. 5 der Reichsversicherungsordnung -RVO- (entgeltliche Tätigkeit zu oder während der wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf) krankenversicherungs- und deshalb auch nicht arbeitslosenversicherungsfrei. Die gleiche Auffassung hat die BfA zu § 4 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG- (Versicherungsfreiheit von Studenten) vertreten.
Das SG hat den Klaganträgen entsprochen, soweit B.… während der Semesterferien beschäftigt war; seine Beschäftigung habe nicht mehr der Ausbildung für einen zukünftigen Beruf, sondern nur noch der Fortbildung gedient. Auf seine Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) die Klagen abgewiesen: B.… habe sich während des Studiums in der wissenschaftlichen Ausbildung für einen neuen, höherwertigen Beruf, nämlich den des graduierten Betriebswirts, befunden und sei deshalb als “Werkstudent” versicherungsfrei gewesen (Urteil vom 7. Juni 1973).
Die klagenden Versicherungsträger haben die zugelassene Revision eingelegt, mit der sie beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Sie machen vor allem geltend, das Beschäftigungsverhältnis des B.… habe auch während seines Studiums fortbestanden; B.… habe das Studium deshalb als Arbeitnehmer betrieben und sei kein “Werkstudent” gewesen. Die Beklagte ist demgegenüber der Auffassung, das versicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis des B.… sei mit der Aufnahme des Studiums beendet gewesen.
Alle Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revisionen der BA und der BfA sind begründet. Entgegen der Ansicht des LSG war der Beigeladene B.… während der – allein noch streitigen – Beschäftigungen in den Semesterferien weder arbeitslosen- noch angestelltenversicherungsfrei, die beklagte Krankenkasse mithin zur Einziehung der entsprechenden Versicherungsbeiträge verpflichtet.
Das LSG hat die Klagen der genannten Versicherungsträger mit Recht als zulässig, insbesondere als rechtzeitig erhoben angesehen. Wie der Senat schon früher entschieden hat, kann der Träger der Rentenversicherung einen Bescheid, den der für den Einzug der Rentenversicherungsbeiträge zuständige Träger der Krankenversicherung (Einzugstelle) über Versicherungspflicht oder -freiheit in der Rentenversicherung erlassen hat (§ 1399 Abs. 3 RVO, § 121 Abs. 3 AVG), mit der Aufhebungsklage anfechten (BSG 15, 118; BSG 25, 34, 35). Entsprechendes gilt für den Träger der Arbeitslosenversicherung: Soweit nach den hier noch anzuwendenden Vorschriften des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) die Arbeitslosenversicherungspflicht mit der Kranken- oder Angestelltenversicherungspflicht verbunden war (§ 56 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AVAVG idF der Bekanntmachung vom 3. April 1957, BGBl I 321, des Änderungsgesetzes vom 27. Juli 1957, BGBl I 1069, und des Finanzplanungsgesetzes vom 23. Dezember 1966, BGBl I 697), wirkte sich eine Entscheidung der Einzugstelle über die Versicherungspflicht in diesen Versicherungszweigen unmittelbar auf die Arbeitslosenversicherung aus, so daß auch deren Träger die Entscheidung im Falle seiner Beschwer anfechten konnte (BSG 15, 118, 123 und BSG 17, 261 für einen Befreiungsbescheid; für die Zeit ab 1. Juli 1969 vgl. §§ 168 ff, 182 des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG- zur Beitragspflicht und -freiheit in der Arbeitslosenversicherung sowie zur Zuständigkeit der Einzugstelle für Entscheidungen über Beitragspflicht und höhe).
Im vorliegenden Fall hatte die beklagte Krankenkasse, die bei Versicherungspflicht des Beigeladenen B.… die Versicherungsbeiträge für ihn einziehen mußte (sofern er nicht einer Ersatzkasse als krankenversicherungspflichtiges Mitglied angehörte, vgl. § 1399 Abs. 2 RVO, § 121 Abs. 2 AVG, § 160 Abs. 1 AVAVG, § 176 Abs. 3 und 4 AFG), im Widerspruchsverfahren seine “Versicherungsfreiheit” für die Beschäftigungen in den Semesterferien festgestellt (Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1969, dem ein Beschluß der Widerspruchsstelle vom 23. Juni 1969 zugrunde liegt). Da diese Entscheidung sich weder ausdrücklich noch sinngemäß auf einen einzigen Versicherungszweig, insbesondere nicht allein auf die Krankenversicherung beschränkte, galt sie auch für die Renten- und die Arbeitslosenversicherung. Auch die – durch den Widerspruchsbescheid mitbetroffenen – Träger dieser Versicherungszweige konnten deshalb den Bescheid – und nur ihn allein, weil die Beklagte im ersten Verwaltungsbescheid noch Versicherungspflicht angenommen hatte (vgl. BSG 35, 224, 226) – mit der Aufhebungsklage anfechten.
Das ist auch rechtzeitig geschehen, obwohl die BA die Klage erst am 1. Juli 1970 und die BfA – nach Beiladung durch das SG – sogar erst am 3. Juni 1971 erhoben hat. Die Klagefrist war zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstrichen, weil der Widerspruchsbescheid den genannten Versicherungsträgern nicht zugestellt worden ist. Nach § 85 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist der Widerspruchsbescheid den Beteiligten “zuzustellen”; erst “mit der Zustellung” des Widerspruchsbescheides beginnt die Klagefrist zu laufen, § 87 Abs. 2 SGG. Daß eine in den Verfahrensgesetzen vorgeschriebene “Zustellung” im Sinne einer förmlichen Zustellung zu verstehen ist und bei Mängeln der Zustellung, insbesondere bei einer nur formlosen “Bekanntgabe” (vgl. § 87 Abs. 1 SGG), die Klagefrist nicht in Lauf gesetzt wird, hat das Bundessozialgericht (BSG) mehrfach entschieden (BSG 13, 122; SozR Nr. 2 zu § 1583 RVO; vgl. ferner SozR Nr. 9 zu § 85 SGG und Nr. 6 zu § 87 SGG sowie Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., Anm. 1 und Anm. 4 zu § 87 SGG; der Erstbescheid einer Krankenkasse braucht allerdings nicht zugestellt zu werden, so daß auch ein nicht zugestellter Bescheid die Widerspruchsfrist in Lauf setzt, SozR Nr. 34 zu § 66 SGG, ähnlich neuerdings für die Bekanntgabe eines Feststellungsbescheides der Berufsgenossenschaft an die Krankenkasse das BSG in SozR Nr. 4 zu § 1583 RVO). Der Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1969 hätte mithin den Beteiligten förmlich – wenn auch nicht notwendig in dem durch § 63 SGG vorgeschriebenen Verfahren (vgl. SozR Nr. 9 zu § 85 SGG) – zugestellt werden müssen. Zu den “Beteiligten” im Sinne des § 85 Abs. 3 SGG gehörten dabei außer den Beigeladenen – als Adressaten des Bescheides – auch die materiell durch seinen Inhalt (Versicherungsfreiheit) mitbetroffenen Träger der Arbeitslosen- und der Angestelltenversicherung (vgl. für den entsprechenden Begriff der “Beteiligten” in § 77 SGG BSG 15, 118, 122 und SozR Nr. 81 zu § 54 SGG mit weiteren Nachweisen). Auch ihnen hätte deshalb der Widerspruchsbescheid zugestellt werden müssen, zumal sie bei der Beklagten wegen des Inhalts ihrer Entscheidung angefragt hatten. Die formlose Mitteilung der Entscheidung in den Schreiben der Beklagten vom 8. Januar 1970 und 13. Mai 1970 hat eine Klagefrist nicht in Lauf gesetzt – auch nicht die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG, die im Falle einer Zustellung des Bescheides gegolten hätte, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung enthielt.
Auch der mit den Aufhebungsklagen verbundene Antrag der BA und der BfA auf Verpflichtung der Beklagten zur Einziehung von Beiträgen für den Beigeladenen B.… ab 1. Oktober 1967 ist zulässig. Der Senat hat die Frage der Zulässigkeit eines solchen Antrages in einer früheren Entscheidung (BSG 15, 118, 126) offengelassen, weil der Antrag in der damals entschiedenen Sache – die Einzugsstelle hatte bereits bindend Versicherungsfreiheit festgestellt – in jedem Falle unzulässig war. Ein gleicher Unzulässigkeitsgrund liegt hier nicht vor. Auch sonst sind keine durchgreifenden Bedenken gegen die Zulässigkeit des Verpflichtungsantrages zu erkennen. Allerdings kann die Einzugstelle auch von der Aufsichtsbehörde (vgl. § 30 RVO und BSG 26, 129, 133) zum Einzug von Beiträgen anderer Versicherungszweige – nach Feststellung einer entsprechenden Versicherungspflicht – angehalten werden; sie kann ferner bei schuldhafter Verletzung ihrer Einzugspflicht zum Schadensersatz herangezogen werden (vgl. § 1436 RVO, § 158 AVG, § 181 AFG). Das würde jedoch, da zunächst nur die Frage der Versicherungspflicht zwischen den beteiligten Versicherungsträgern gerichtlich geklärt worden ist, u.U. weitere Prozesse erfordern. Dieser Umweg, der zudem, soweit es sich um den Anspruch auf Schadensersatz handelt, wegen des dafür notwendigen Verschuldens nicht selten ohne Erfolg bleiben wird, ist vermeidbar, wenn – wie hier – mit der Aufhebungsklage sogleich ein Verpflichtungsantrag verbunden wird.
In der Sache kann der Senat der Auffassung des LSG über die Versicherungsfreiheit des Beigeladenen B.… während der fraglichen Beschäftigungszeiten nicht folgen. B.… war vielmehr während dieser Zeiten, wie das SG zutreffend entschieden hat, in der Arbeitslosen- und in der Angestelltenversicherung versichert.
Gegen Arbeitslosigkeit versichert waren bis zum Inkrafttreten des AFG (1. Juli 1969), d.h. auch noch bei Erlaß des angefochtenen Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 1969, u.a. die krankenversicherungspflichtigen und die nur wegen Überschreitung der Krankenversicherungspflichtgrenze versicherungsfreien Arbeitnehmer (§ 56 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AVAVG in der zuletzt gültig gewesenen Fassung; ähnlich jetzt §§ 168 Abs. 1 und 169 Nr. 1 AFG). Soweit also Krankenversicherungsfreiheit bestand und diese nicht nur auf einer Überschreitung der Jahresarbeitsverdienstgrenze beruhte, lag auch Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung vor. Entgegen der Ansicht des LSG war B.… nicht krankenversicherungsfrei, insbesondere nicht nach § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO.
Nach dieser Vorschrift sind versicherungsfrei “Personen; die zu oder während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf gegen Entgelt tätig sind”. Auch eine entgeltliche – und deshalb grundsätzlich krankenversicherungspflichtige (§ 165 Abs. 1 und 2 RVO) – Beschäftigung ist mithin nach geltendem Recht ausnahmsweise versicherungsfrei, wenn sie entweder “zu” oder “während” einer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf ausgeübt wird. Zur ersten Fallgruppe gehören insbesondere Praktikanten, die in der Regel vor Beginn des Studiums, gelegentlich aber auch erst im Laufe oder nach Abschluß des Studiums, eine mit ihrer wissenschaftlichen Ausbildung zusammenhängende, im allgemeinen in einer Ausbildungsordnung ausdrücklich vorgeschriebene praktische Tätigkeit ableisten müssen (vgl. BSG 30, 248 für Sozialarbeiter). Eine solche Tätigkeit hat B.… in den Semesterferien unstreitig nicht verrichtet.
Er war auch nicht “während” seiner wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf gegen Entgelt tätig. Sein 6-semestriges Studium an einer höheren Wirtschaftsfachschule für das Versicherungswesen (seit 1971 “Fachhochschule”) war allerdings eine wissenschaftliche Ausbildung, wie das LSG näher ausgeführt und auch der Senat schon für ähnliche Studiengänge (z.B. für den Besuch einer “höheren Fachschule für Sozialarbeit”, BSG 30, 248) anerkannt hat. Ob das Studium auch eine Ausbildung “für den zukünftigen Beruf” war, nämlich für den – im Vergleich zu dem bisher ausgeübten Beruf eines Versicherungskaufmanns “neuen, höherwertigen” – eines Betriebswirts (so die Beigeladenen, ihnen folgend die Beklagte und das LSG), oder ob die Ausbildung des B.… mit der Ablegung der Kaufmannsgehilfenprüfung beendet war und sein späteres Studium nur der Fortbildung in dem Beruf des Versicherungskaufmanns diente (so die Klägerinnen und das SG), läßt der Senat unentschieden. Selbst wenn das Studium eine Ausbildung zu einem zwar auf dem Beruf des Versicherungskaufmanns aufbauenden, jedoch selbständigen Beruf gewesen sein sollte, hätte dies die Beschäftigung des B.… während der Semesterferien nicht versicherungsfrei gemacht.
Wie der Senat schon wiederholt ausgesprochen hat, betrifft die Vorschrift über die Versicherungsfreiheit der “während einer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf” gegen Entgelt tätigen Personen im wesentlichen die sogenannten Werkstudenten, d.h. Studierende, die neben ihrem Studium eine entgeltliche Beschäftigung ausüben, um sich durch ihre Arbeit die zur Durchführung des Studiums und zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts erforderlichen Mittel zu verdienen (BSG 18, 254, 255 unten; SozR Nr. 13 zu § 172 RVO; ebenso BSG 33, 229, 230). Nicht zu dem Kreis der “Werkstudenten” gehören dabei nach der Rechtsprechung des Senats Arbeitnehmer, die ein Studium aufnehmen, ihren Beruf aber weiterhin in vollem Umfange ausüben: Versicherungsfrei nach Wortlaut, Sinn und Zweck des § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO seien nur solche Personen, die erst durch ihre wissenschaftliche Ausbildung die Grundlage für einen zukünftigen Beruf schaffen wollten, nicht aber Personen, die schon vor Beginn des Studiums einen Beruf ausgeübt hätten und ihn während des Studiums in vollem Umfange weiterhin ausübten; es widerspräche auch dem Schutzgedanken der Sozialversicherung und wäre mit dem Ausnahmecharakter des § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO nicht vereinbar, wenn man Arbeitnehmern, die u.U. jahrelang eine der Versicherungspflicht unterliegende Beschäftigung ausgeübt hätten, nur deshalb den Versicherungsschutz nehmen wollte, weil sie neben ihrer sie im allgemeinen voll in Anspruch nehmenden beruflichen Tätigkeit ein Studium beginnen, das der Vorbereitung für einen anderen Beruf dient (BSG 18, 254, 256). In Weiterführung dieser Rechtsprechung hat der Senat zu der vergleichbaren Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 4 AVG entschieden, daß die dort geregelte Versicherungsfreiheit nicht für Arbeitnehmer gilt, die neben einem (Abend-)Studium zwar keine volle, aber eine mindestens halbtägige Berufstätigkeit ausüben: Durch die genannte Vorschrift sollten nicht etwa Beschäftigte – Voll- oder Teilbeschäftigte – wegen eines daneben betriebenen Studiums von der Versicherungspflicht ausgenommen werden, wozu keinerlei Veranlassung bestanden habe; die Vorschrift sei vielmehr nur für Studenten geschaffen worden, die neben ihrem Studium einer ihm nach Zweck und Dauer untergeordneten Beschäftigung nachgingen; wer mithin in erster Linie Beschäftigter sei, seinem “Erscheinungsbild” nach zum Kreis der Beschäftigten gehöre, werde durch ein gleichzeitiges Studium nicht versicherungsfrei; Versicherungsfreiheit bestehe vielmehr nur für solche Personen, deren Zeit und Arbeitskraft ganz oder überwiegend durch ihr Studium in Anspruch genommen werde (BSG 27, 192, 193).
Nicht zu den versicherungsfreien “Werkstudenten” gehört hiernach, wer als Arbeitnehmer ein Studium aufnimmt, seinen bisherigen Beruf aber weiterhin voll oder mindestens noch halbtägig ausübt. Bei diesen studierenden Arbeitnehmern wird es sich, soweit die Berufstätigkeit, wie in der Regel, in die Tageszeit fällt, häufig um Personen handeln, die an einer (gerade für Berufstätige geschaffenen) Abendschule studieren. Eine solche Schule ist die Deutsche Versicherungsakademie (DVA) in Köln, an der der Beigeladene B.… studiert hat, nicht. Als Tageslehrstätte kann sie neben einem voll oder halbtägig ausgeübten Beruf nicht besucht werden. B.… ist deshalb von seinem Arbeitgeber für die Dauer des Studiums nicht nur stundenweise (so der in BSG 27, 192 entschiedene Fall), sondern ganz von der Arbeit freigestellt worden.
Wäre diese Freistellung nun von vornherein auf die reinen Studienzeiten ausschließlich der Semesterferien beschränkt gewesen – so lag anscheinend ein vom LSG Nordrhein-Westfalen entschiedener Fall eines Studenten, der an der DVA in den Jahren 1959 und 1960 ein Studium von damals noch 4 Semestern von je 3 Monaten mit jeweils anschließenden 3 Monaten “Semesterferien” absolviert hatte (vgl. Breithaupt 1965, 799) –, so hätte auch bei dem Beigeladenen B.… “ein einheitliches, nur durch die Beurlaubung zu den einzelnen Semestern unterbrochenes Beschäftigungsverhältnis” vorgelegen, das während der – durch eine Berufstätigkeit ausgefüllten – Semesterferien versicherungsrechtlich nicht anders als für die Zeit vor und nach dem Studium zu beurteilen gewesen wäre (so zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen aaO). Der Fall würde sich dann von dem früher in BSG 18, 254 entschiedenen nur insofern unterscheiden, als der bisherige Beruf nach Aufnahme des Studiums nicht mehr ununterbrochen, sondern nur während der Semesterferien ausgeübt worden ist. Dieser Unterschied wäre jedoch für die tatsächlichen Beschäftigungszeiten um deren Versicherungspflicht es im vorliegenden Rechtsstreit allein geht, nicht erheblich. Insoweit lag jedenfalls Versicherungspflicht vor, während die Versicherungspflicht im übrigen, d.h. während der eigentlichen Studienzeiten, davon abhing, ob auch insoweit Entgelt gezahlt worden ist.
Die gleichen Rechtsgrundsätze müssen aber auch dann gelten, wenn B.… von seinem Arbeitgeber für die gesamte Dauer des Studiums einschließlich der Semesterferien “Bildungsurlaub” erhalten hätte, so daß es allein bei ihm lag, ob und inwieweit er in den Semesterferien bei seinem Arbeitgeber tätig sein wollte. Auch in diesem Fall bestand das Beschäftigungsverhältnis während der Zeit der Beurlaubung fort, und zwar wegen der gezahlten Ausbildungszuschüsse möglicherweise sogar für die ganze Zeit als entgeltliches und deshalb versicherungspflichtiges. Jedenfalls trat Versicherungspflicht aber mit der jeweiligen Aufnahme einer tatsächlichen Beschäftigung in den Semesterferien ein, mit der die Beteiligten eine etwa früher erfolgte Beurlaubung insoweit stillschweigend rückgängig machten. Ob B.… auf seinem alten Arbeitsplatz eingesetzt wurde, ist dabei unerheblich; auch durch die Zuweisung einer anderen, nicht berufsfremden Tätigkeit durch den Arbeitgeber wäre das bisherige Beschäftigungsverhältnis im Kern nicht verändert worden.
War B.… somit während der fraglichen Beschäftigungszeiten seinem “Erscheinungsbild” nach ein – durch das fortbestehende Beschäftigungsverhältnis geprägter – Arbeitnehmer und kein “Werkstudent”, so war er für diese Zeit nicht nach § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO versicherungsfrei. Da sonstige Tatbestände, die eine Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung oder Arbeitslosenversicherung begründen könnten, nicht ersichtlich sind, unterlag B.… für die genannten Zeiten nicht nur der Krankenversicherungs-, sondern auch der Arbeitslosenversicherungspflicht. Er hätte deshalb, wenn er nach Beendigung des Studiums arbeitslos geworden wäre, die Anwartschaftszeit für den Anspruch auf Arbeitslosengeld – mindestens 26 Wochen einer beitragspflichtigen Beschäftigung innerhalb einer dreijährigen Rahmenfrist (§ 104 AFG) – erfüllt und damit wie jeder andere Arbeitnehmer Versicherungsschutz als Arbeitsloser gehabt. Dieser – auch vom Zweck der Sozialversicherung geforderte – Schutz hätte nicht bestanden, wenn B.… während seiner Ferienbeschäftigungen arbeitslosenversicherungsfrei gewesen wäre.
Noch weniger vereinbar mit dem Schutzgedanken der Sozialversicherung wäre es gewesen, wenn für die Zeit der Ferienbeschäftigungen des B.… keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden wären. Auch insoweit hat indessen eine Versicherung für ihn bestanden. Die gleichen Erwägungen, aus denen der Senat die Anwendung des § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO im vorliegenden Fall verneint hat, gelten auch für die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 4 AVG, nach der angestelltenversicherungsfrei ist, wer während der Dauer seines Studiums als ordentlich Studierender einer Hochschule oder einer sonstigen der wissenschaftlichen oder fachlichen Ausbildung dienenden Schule gegen Entgelt beschäftigt ist. Auch diese Vorschrift ist mithin nicht anwendbar auf einen Arbeitnehmer, der ein Studium aufnimmt, sein Beschäftigungsverhältnis jedoch nicht löst, sondern vom Arbeitgeber nur für die Dauer des Studiums beurlaubt und von ihm während der Semesterferien in seinem Beruf gegen Entgelt beschäftigt wird.
Da B.… hiernach während der streitigen Zeit in der Arbeitslosen- und in der Angestelltenversicherung versichert war, hätte die beklagte Krankenkasse für ihn die entsprechenden Versicherungsbeiträge einziehen müssen. Das wird nunmehr nachzuholen sein. Eine Verjährung der Beitragsrückstände, die die Gerichte von Amts wegen zu berücksichtigen hätten (BSG 22, 173), ist bisher nicht eingetreten. Nach § 29 Abs. 1 RVO, der über § 179 AFG (früher § 160 Abs. 2 AVAVG) auch in der Arbeitslosenversicherung und über § 205 AVG in der Angestelltenversicherung gilt, verjährt der Anspruch auf Beitragsrückstände, soweit sie nicht absichtlich hinterzogen sind, in zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres der Fälligkeit. Welche Maßnahmen die Verjährung unterbrechen, ergeben die §§ 209 ff BGB, die grundsätzlich im Rahmen des § 29 RVO entsprechend anwendbar sind (BSG 25, 73, 75; SozR Nr. 22 zu § 29 RVO). Danach ist im vorliegenden Fall die Verjährung für die zur Arbeitslosenversicherung abzuführenden Beiträge der Jahre 1968 und 1969 spätestens dadurch unterbrochen worden, daß die BA im Jahre 1970 Klage gegen den – Versicherungsfreiheit feststellenden – Widerspruchsbescheid der Beklagten erhoben und die Einziehung der Versicherungsbeiträge gefordert hat (vgl. § 209 Abs. 1 BGB und Fangmeyer/Überall, AVAVG, 5. Aufl., § 160 Anm. IV C 1e, S. 973). Die Verjährung der für dieselbe Zeit zur Angestelltenversicherung abzuführenden Beiträge ist dadurch unterbrochen worden, daß der Beigeladene B.… im Jahre 1969 gegen den ersten Bescheid der Beklagten (Feststellung der Versicherungspflicht) Widerspruch eingelegt und damit ein Beitragsstreitverfahren eingeleitet hat (vgl. SozR Nr 5 zu § 1420 RVO), das im Bereich der Rentenversicherung ausdrücklich als Unterbrechungstatbestand anerkannt ist (§ 142 Abs. 3 AVG = 1420 Abs. 3 RVO). Dieses Beitragsstreitverfahren ist später durch die Klage der BfA gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vor den Gerichten fortgesetzt worden, so daß auch für diesen Versicherungszweig bisher keine Verjährung der Beitragsrückstände eingetreten ist.
Auf die Revisionen der klagenden Versicherungsträger hat der Senat deshalb das Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung des Beigeladenen B.… gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, soweit dieses, wie aus seinen Entscheidungsgründen ersichtlich, die Versicherungspflicht des B.… für die Beschäftigungen in den Semesterferien bejaht hat.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Unterschriften
Langkeit, Spielmeyer, Dr. Heinze
zugleich für den beurlaubten Richter am Bundessozialgericht
Fundstellen
BSGE 39, 223-231 (LT1-4) |
BB 1975, 1256-1257 (LT1) |
NJW 1975, 1909-1911 (LT1) |
RegNr, 5459 |
Das Beitragsrecht Meuer, 423 A5a 23 -9/5- (LT1) |
USK 7527, (ST1-2, LT1,4) |
BKK 1976, 86-88 (LT1-4) |
EzS, 130/116 |
SGb 1976, 150-154 (LT1-4) |
SozR 2200 § 172, Nr 2 (LT1-4) |
SozSich, 1975 RsprNr 3009 (LT2) |
SozSich, 1975 RsprNr 3010 (LT4) |
SozSich, 1975 RsprNr 3013 (LT1) |