Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluß der Beamten von Rehabilitationsleistungen und GG. Ausschluß des Anspruchs auf Rehabilitationsmaßnahmen gegenüber dem Rentenversicherungsträger für DO-Angestellte (RVO § 1236 Abs 1a S 3, AVG § 13 Abs 1a S 3)
Orientierungssatz
1. AVG § 13 Abs 1a S 3 verstößt nicht gegen die GG Art 3, 14 und 20 (vgl BSG vom 1979-12-12 1 RA 5/79).
2. Der allgemeine Gleichheitssatz (GG Art 3 Abs 1) ist nicht berührt, weil es sich nicht als willkürlich oder sachungerecht beanstanden läßt, wenn der Gesetzgeber zwischen Versicherten unterscheidet, die für medizinische Rehabilitationsmaßnahmen nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf Versorgung (Beihilfe) haben und solchen Versicherten, die über derartige Ansprüche nicht verfügen.
3. Die Beihilfeleistungen sind nur als eine zusätzliche Hilfe zur Selbstvorsorge gedacht; dabei genügt es hier im Hinblick auf GG Art 3 Abs 1, daß sie jedenfalls das Maß des Unbedeutenden übersteigen; nicht erforderlich ist es dagegen, daß sie den Leistungen der Versicherungsträger im finanziellen Umfang entsprechen.
4. AVG § 13 Abs 1a S 3 verstößt nicht gegen GG Art 14 Abs 1, weil die Verpflichtung des Versicherungsträgers bei einer Kannleistung der medizinischen Rehabilitation, das Ermessen pflichtgemäß auszuüben, auf der Seite des Versicherten keine dem Eigentum vergleichbare Rechtsposition begründet.
Normenkette
GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 14 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; AVG § 13 Abs 1 S 1 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1236 Abs 1 S 1 Fassung: 1974-08-07; AVG § 13 Abs 1a S 3 Fassung: 1977-06-27; RVO § 1236 Abs 1a S 3 Fassung: 1977-06-27
Verfahrensgang
SG Braunschweig (Entscheidung vom 29.11.1978; Aktenzeichen S 9 An 125/77) |
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Kläger von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) eine medizinische Leistung zur Rehabilitation verlangen kann.
Der 1942 geborene Kläger war seit 1959 versicherungspflichtig als Angestellter beschäftigt; seit Mai 1967 ist er bei der Berufsgenossenschaft (BG) der Feinmechanik und Elektrotechnik in B nach der Dienstordnung (DO), z. Zt. als Verwaltungsamtmann, angestellt.
Seinen Antrag auf medizinische Rehabilitationsmaßnahmen vom 28. Juli 1977 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 8. September 1977 ab, weil der Kläger nach § 13 Abs 1a Satz 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in der ab 1. Juli 1977 geltenden Fassung nicht (mehr) als Versicherter gelte. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31. März 1978).
Die mit Verfassungsrügen begründete Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 29. November 1978 abgewiesen. Nach seiner Ansicht ist Art 2 § 2 Nr 4b dd des 20. Rentenanpassungsgesetzes -RAG- (= § 13 Abs 1a Satz 3 AVG in der entsprechenden Fassung) nicht verfassungswidrig. Der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) sei nicht verletzt, weil die Versorgung der DO-Angestellten mit Heilmaßnahmen anderweitig (nach den Beihilfevorschriften) sichergestellt sei. Ein enteignungsähnlicher Eingriff im Sinne des Art 14 Abs 2 GG sei nicht ersichtlich. Das SG hat im Tenor des Urteils die Revision zugelassen.
Der Kläger hat die Revision eingelegt und die Zustimmungserklärung der Beklagten beigefügt.
Er beantragt,
das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sei nen Antrag auf Gewährung von medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen ermessensfehlerfrei zu bescheiden.
Er hält Art 3, Art 14 und Art 20 GG für verletzt. Durch die Beihilfevorschriften seien Rehabilitationsmaßnahmen für ihn nicht sichergestellt; die Beihilfe sei unzureichend. Die Ungleichbehandlung werde dadurch besonders deutlich, daß Beamte ohne Versorgungsansprüche sowie bestimmte Gruppen von Tarifangestellten ebenfalls beihilfeberechtigt seien und nach § 13 Abs 2 AVG die Empfänger von Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw Erwerbsunfähigkeit medizinische Rehabilitationsmaßnahmen auch ohne die Einschränkung des Abs 1a Satz 3 erhielten. Mit der Leistung von Beiträgen zur Angestelltenversicherung habe er ein Anwartschaftsrecht auch auf die vom Rentenversicherungsträger zu gewährenden Leistungen zur Rehabilitation erworben; durch den unvermuteten Eingriff des Gesetzgebers sei dieses Recht ohne Besitzschutz beseitigt worden.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Gemäß § 13 Abs 1 Satz 1 AVG idF des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 kann die Beklagte Leistungen zur Rehabilitation in bestimmtem Umfang gewähren, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten ua infolge von Krankheit gefährdet oder gemindert ist und sie voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann. Nicht als Versicherter in diesem Sinne gilt nach § 13 Abs 1a Satz 3 AVG in der ab 1. Juli 1977 geltenden Fassung des Art 2 § 2 Nr 4b dd des 20. RAG, wer in einem Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen steht. Das trifft auf den Kläger zu. Er ist nach den Feststellungen des SG seit Mai 1967 bei der BG der Feinmechanik und Elektrotechnik nach der DO angestellt; die DO enthält autonomes Recht dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaft (BSGE 31, 247, 259; Urteil des 1. Senats des BSG vom 12. Dezember 1979 - 1 RA 5/79 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Nach §§ 5 und 7 Abs 1 DO richtet sich die Besoldung der DO-Angestellten nach den Vorschriften für Beamte des Bundes; ihnen werden auch die anderen geldwerten Leistungen wie Bundesbeamten gewährt. Hiernach ist der Kläger in vollem Umfang ein nach den für die Beamten des Bundes geltenden Vorschriften versorgter öffentlicher Bediensteter; damit ist er gemäß § 13 Abs 1a Satz 3 AVG aus dem durch Abs 1 der Vorschrift begünstigten Personenkreis ausgeschlossen.
In Übereinstimmung mit dem 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in der Entscheidung vom 12. Dezember 1979 aaO ist der erkennende Senat der Ansicht, daß höherrangiges Recht hierdurch nicht verletzt ist; insbesondere verstößt § 13 Abs 1a Satz 3 AVG nicht gegen die Art 3, 14 und 20 GG.
Der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) ist nicht berührt, weil es sich nicht als willkürlich oder sachungerecht beanstanden läßt, wenn der Gesetzgeber zwischen Versicherten unterscheidet, die für medizinische Rehabilitationsmaßnahmen nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf Versorgung (Beihilfe) haben und solchen Versicherten, die über derartige Ansprüche nicht verfügen. Daß die Beklagte nach §§ 14 ff AVG sämtliche, die Arbeitgeberin des Klägers dagegen nach den Beihilfevorschriften des Bundes nur 50 bzw 70 vH der beihilfefähigen Aufwendungen einer Heilkur trägt (Nrn 6, 7 und 13 der Beihilfevorschriften), macht die Differenzierung nicht willkürlich; dies gilt um so mehr, als der Gesetzgeber auch bei einem nach der DO angestellten Bediensteten davon ausgehen darf, daß die ihm gewährten Dienstbezüge einschließlich der zusätzlichen Leistungen im Prinzip seinen gesamten Lebensbedarf decken sollen. Zum Lebensbedarf gehören aber auch die Aufwendungen für eine Kur. Die Beihilfeleistungen sind sonach nur als eine zusätzliche Hilfe zur Selbstvorsorge gedacht; dabei genügt es hier im Hinblick auf Art 3 Abs 1 GG, daß sie jedenfalls das Maß des Unbedeutenden übersteigen; nicht erforderlich ist es dagegen, daß sie den Leistungen der Versicherungsträger im finanziellen Umfang entsprechen. Dabei kann in diesem Zusammenhang noch unerörtert bleiben, daß die Beihilfeberechtigten die Einzelheiten medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen (Ort, Zeit, Unterkunft usw) weitgehend selbst bestimmen können, während die Versicherten den Anordnungen des Versicherungsträgers zu folgen haben, der die Maßnahmen als Sachleistung gewährt.
Sind die Beamten und die ihnen versorgungsrechtlich gleichgestellten Bediensteten aber mit den Besoldungsvorschriften und den ergänzenden Vorschriften für die Wechselfälle des Lebens abgesichert, dann unterscheiden sie sich grundsätzlich von den "Versicherten" im Sinne des § 13 Abs 1 AVG. Allein schon dieser Unterschied rechtfertigt es, daß der Gesetzgeber sie aus dem Kreis der nach dieser Vorschrift Begünstigten herausgenommen hat, denn ungleiche Tatbestände darf er ungeachtet des Art 3 Abs 1 GG auch ungleich regeln. Im übrigen läßt sich noch die Auffassung vertreten, daß bei inzwischen zu Beamten (oder Gleichgestellten) gewordenen Arbeitnehmern nunmehr ihre Rehabilitation in ihrer neuen Berufsstellung Vorrang hat.
Eine gegen Art 3 Abs 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung besteht auch nicht im Verhältnis zu weiteren besonderen Gruppen, Daß § 13 Abs 1 AVG für Empfänger von Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit (entsprechend) gilt, ohne daß die Beamten und die ihnen versorgungsrechtlich Gleichgestellten ausgenommen sind (s. § 13 Abs 2 AVG), macht einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht evident. Die von Abs 2 erfaßte Gruppe braucht mit der in § 13 Abs 1a Satz 3 AVG umschriebenen Gruppe nicht gleichbehandelt zu werden; sie unterscheidet sich von ihr schon insofern, als sie als Gruppe der Rentner den Versicherungsträger bedeutend mehr belastet. Dafür, daß der Gesetzgeber die Beamten ohne Versorgungsanspruch (Widerrufsbeamte) sowie die Tarifangestellten mit Beihilfeanspruch von der Vergünstigung des § 13 Abs 1 AVG nicht ausgenommen hat, obwohl sie im gleichen Umfang wie die Beamten mit Versorgungsanspruch beihilfeberechtigt sind, sind ebenfalls sachlich einleuchtende Gründe erkennbar. Ein Widerrufsbeamter unterscheidet sich von einem versorgungsberechtigten Beamten gerade darin, daß er - in aller Regel in der ersten Zeit der Berufstätigkeit - noch nicht den Status des Beamten mit voller Alimentationsberechtigung besitzt, und der Tarifangestellte gehört einer Gruppe ohne Alimentationsanspruch an. Im übrigen gibt der Gesetzgeber aus sachgerechten Gründen den Personen mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen auch in anderer Hinsicht nicht immer die gleichen Rechte wie den Versicherten, wie dies zB aus § 37c AVG (§ 1260c RVO) nF hervorgeht.
Gegen Art 14 Abs 1 GG verstößt § 13 Abs 1a Satz 3 AVG schon deshalb nicht, weil die Verpflichtung des Versicherungsträgers bei einer Kannleistung der medizinischen Rehabilitation, das Ermessen pflichtgemäß auszuüben, auf der Seite des Versicherten keine dem Eigentum vergleichbare Rechtsposition begründet; auch insoweit stimmt der erkennende Senat mit dem 1. Senat aaO überein. Selbst wenn der Anspruch auf eine (fehlerfreie) Ermessensausübung, wie hier, letztlich auf eine geldwerte Leistung zielt, unterscheidet er sich vom Eigentumsrecht immer noch dadurch, daß die Erlangung und Wahrnehmung des Leistungsrechts nicht allein in der Hand des Versicherten liegt; dazu bedarf es stets noch einer Entscheidung des Versicherungsträgers (vgl § 40 Abs 2 Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil), deren Ergebnis nicht von vornherein feststeht. Als Eigentum im Sinne des Art 14 GG kann aber nicht mehr eine Rechtsposition angesehen werden, deren Verwirklichung von einem Ermessensakt eines anderen abhängt.
Liegen hiernach die genannten Verstöße gegen Art 3 und 14 GG nicht vor, dann ist auch für einen - damit verknüpften - Verstoß gegen Art 20 Abs 1 GG kein Raum. Für sich allein genommen ist das Prinzip der Sozialstaatlichkeit bzw Rechtsstaatlichkeit schon deshalb nicht verletzt, weil dem Einzelnen ein verfolgbarer Anspruch gegen den Gesetzgeber auf Regelung eines Lebenssachverhalts in einem für ihn günstigen Sinne hieraus nicht erwächst; in Art 20 Abs 1 GG sind besondere Schranken nicht verankert, die Einzelansprüche oder -rechte unmittelbar betreffen. Im übrigen folgt aus dem Verfassungspostulat über die soziale Rechtsstaatlichkeit der B D nur, daß der Staat für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte soziale Ordnung zu sorgen verpflichtet ist (BVerfGE 20, 180); inwiefern bei der Schaffung von § 13 Abs 1a Satz 3 AVG diese Sorgfaltspflicht bei einem vom Staat voll alimentierten Personenkreis, der sich auf die veränderte gesetzliche Lage einzurichten vermochte, verletzt ist, vermag der Senat nicht zu erkennen.
Nach alledem war, wie geschehen, zu erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen