Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnersatzfunktion des vorzeitigen Altersruhegeldes
Orientierungssatz
Einer selbständigen Handwerkerin steht - beim Vorliegen aller sonstigen Voraussetzungen des § 1248 Abs 3 RVO - auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Rentenversicherungsänderungsgesetzes (RVÄndG) nur dann das vorzeitige Altersruhegeld zu, wenn ihre Eintragung in der Handwerksrolle gelöscht ist (vgl BSG 1965-07-01 4 RJ 197/64 = BSGE 23, 163).
Normenkette
RVO § 1248 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; HwVG § 1 Abs. 5
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 21.06.1963) |
SG Schleswig (Entscheidung vom 18.02.1963) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 21. Juni 1963 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 18. Februar 1963 zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin das vorzeitige Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.
I
Die am 9. Februar 1901 geborene Klägerin, die selbständige Putzmachermeisterin und seit dem 10. September 1935 in die Handwerksrolle eingetragen ist, hat eine Versicherungszeit von mehr als 180 Monaten in der Invaliden- und Angestelltenversicherung sowie der Altersversorgung für das Deutsche Handwerk zurückgelegt. Auf ihren Antrag wurde sie durch Beschluß der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 4. Juli 1959 nach Art. 2 § 52 Abs. 3 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 1. Juni 1957 an von der Versicherungspflicht nach dem Gesetz über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk (HVG) vom 21. Dezember 1938 (RGBl I 1900) befreit. Mit Schreiben vom 17. Oktober 1961 teilte ihr die Beklagte mit, sie bleibe vom 1. Januar 1962 an nach § 7 Abs. 2 des Handwerkerversicherungsgesetzes (HwVG) vom 8. September 1960 (BGBl I 737) weiterhin von der Versicherungspflicht befreit.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin, ihr das vorzeitige Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 3 RVO zu gewähren, ab, da sie als noch in die Handwerksrolle eingetragene Handwerkerin weiterhin eine dem Grunde nach rentenversicherungspflichtige Tätigkeit ausübe; daß sie nach den besonderen Bestimmungen des HwVG versicherungsfrei sei, könne hierbei nicht berücksichtigt werden (Bescheid vom 4. April 1962). Die Klage der Klägerin blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts - SG - Schleswig vom 18. Februar 1963). Das Landessozialgericht (LSG) hat der Klägerin das begehrte Altersruhegeld mit Wirkung vom 1. Februar 1962 zuerkannt (Urteil vom 21. Juni 1963). Es hat die Revision zugelassen.
Mit der Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 1248 Abs. 3 RVO. Sie tritt der Auffassung des LSG entgegen, für die Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes sei es unbeachtlich, daß die Klägerin ohne Beitragspflicht ihren Handwerksbetrieb fortführe. Solange die Klägerin ihr Putzmachergeschäft betreibe und damit eine an sich versicherungspflichtige Beschäftigung ausübe, könne sie das vorzeitige Altersruhegeld noch nicht beanspruchen. Die Revision sieht sich in ihrer Auffassung durch die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom
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18. Februar 1964 |
- 4 RJ 217/61 - (BSG 20,184), |
3. März 1964 SozR RVO § 1248 Nr. 20), |
- 4 RJ 17/61 - (BSG 20,231 = |
23. Juni 1964 SozR aaO Nr. 27), |
- 12 RJ 404/63 - (BSG 21,137 = |
1. Juli 1965 |
- 4 RJ 427/64 -, |
1. Juli 1965 SozR aaO Nr. 35) |
- 4 RJ 197/64 - (BSG 23,163 = und |
3. Juni 1966 |
- 12 RJ 442/64 - |
bestätigt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 21. Juni 1963 aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Schleswig vom 18. Februar 1963 zurückzuweisen.
Mit Recht hat die Beklagte der Klägerin das von dieser vom 1. Februar 1962 ab begehrte vorzeitige Altersruhegeld gemäß § 1 Abs. 5 HwVG in Verbindung mit § 1248 Abs. 3 Satz 1 RVO aF verweigert, das eine Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit erfüllt hat, dann auf Antrag erhält, wenn sie in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat und eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübt. Wenn auch die Vorschrift des § 1248 Abs. 3 RVO durch das Rentenversicherungsänderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) geändert worden ist, so gilt doch die geänderte Fassung erst vom 1. Juli 1965 an, nicht aber für Versicherungsfälle, die - wie hier - vor dem Inkrafttreten des RVÄndG eingetreten sind (Art. 1 § 1 Nr. 13 Buchstabe a, Art. 5 §§ 3 und 10 Abs. 1 Buchstabe e RVÄndG).
Das LSG hält den Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs. 3 Satz 1 RVO aF schon dann für gegeben, wenn die Versicherte - von dem Antrag, der Wartezeiterfüllung und der überwiegenden Versicherungszugehörigkeit innerhalb der letzten 20 Jahre abgesehen - keine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit mehr ausübt. Die Tätigkeit der Klägerin als selbständige Handwerkerin sei, so führt das LSG aus, seit dem 1. Januar 1962, dem Tage des Inkrafttretens des HwVG, nach § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes nicht mehr rentenversicherungspflichtig, weil die Versicherte bereits bis zum 31. Mai 1957 220 Monatsbeiträge entrichtet habe, so daß sie am 1. Januar 1962 von der Versicherung nach dem HwVG von vornherein nicht erfaßt worden sei, da nach § 1 Abs. 1 HwVG die Versicherungspflicht nur bestehe, solange der Versicherte Beiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit für weniger als 216 Kalendermonate entrichtet habe. Dieser Auffassung des LSG kann jedoch nicht gefolgt werden. In seinen Urteilen vom 1. Juli 1965 - 4 RJ 197/64 - (BSG 23, 163 = SozR RVO § 1248 Nr. 35) und - 4 RJ 427/64 - (unveröffentlicht) hat der 4. Senat des BSG - der erkennende Senat hat sich dem in seinem Urteil vom 30. Juni 1966 - 12 RJ 442/64 - (unveröffentlicht) angeschlossen - ausgesprochen, daß einer selbständigen Handwerkerin, falls die übrigen Anspruchsvoraussetzungen des § 1248 Abs. 3 Satz 1 RVO aF erfüllt seien, das vorzeitige Altersruhegeld für die Zeit vor dem Inkrafttreten des RVÄndG nur dann zustehe, wenn ihre Eintragung in die Handwerksrolle gelöscht sei; eine "solche" Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne des § 1248 Abs. 3 Satz 1 RVO aF sei nur eine an sich versicherungspflichtige, ohne Rücksicht darauf, ob die Versicherte aus einem besonderen Grunde versicherungsfrei sei, es sei denn, es handle sich nur um eine gelegentliche Aushilfe im Sinne des § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO; es wäre mit dem Sinn der hier maßgeblichen Vorschrift unvereinbar, wenn man einer selbständigen, in der Handwerksrolle eingetragenen Handwerkerin das vorzeitige Altersruhegeld gewähren und damit in diesem Zusammenhang zwischen noch beitragspflichtigen und schon beitragsfreien, aber noch erwerbstätigen Handwerkerinnen unterscheiden wollte; der Sinn der Vorschrift sei nämlich, durch das vorzeitige Altersruhegeld für weibliche Versicherte nach deren Ausscheiden aus dem Erwerbsleben - aber auch nur dann - das Arbeits- oder Erwerbseinkommen der bis dahin berufstätigen Versicherten zu ersetzen, nicht aber solle das vorzeitige Altersruhegeld als weitere Einnahme zu dem Arbeits- oder Erwerbseinkommen hinzutreten; für diese Auslegung spreche auch die Entscheidung des erkennenden Senats vom 23. Juni 1964 - 12 RJ 404/63 - (BSG 21, 137 = SozR RVO § 1248 Nr. 27), worin entschieden worden sei, daß eine Beamtin eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung i. S. des § 1248 Abs. 3 RVO aF ausübe, obwohl sie für ihre Person versicherungsfrei sei; auch der 1. Senat habe sich in seinem Urteil vom 25. Mai 1965 - 1 RA 350/61 - (BSG 23, 67 = SozR RVO § 1248 Nr. 34) dahin ausgesprochen, daß eine Versicherte keinen Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 3 RVO aF habe, wenn und solange sie gegen Entgelt beschäftigt oder sonst erwerbstätig sei, auch wenn ihre Beschäftigung oder Tätigkeit nicht rentenversicherungspflichtig sei; schließlich werde diese Rechtsprechung zu § 1248 Abs. 3 RVO aF durch die am 1. Juli 1965 für künftige Versicherungsfälle in Kraft getretene Neufassung des § 1248 Abs. 3 RVO gerechtfertigt, nach der das vorzeitige Altersruhegeld erst gewährt werde, wenn die Versicherte "eine Beschäftigung gegen Entgelt oder eine Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt".
Nach Überprüfung der genannten Entscheidungen sieht sich der Senat nicht veranlaßt, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.
Da die Klägerin als selbständige Putzmachermeisterin noch in der Handwerksrolle eingetragen ist, ist sie nach § 1 Abs. 1 HwVG weiterhin an sich versicherungspflichtig. Auf den Umstand, daß sie von der Versicherungspflicht befreit worden ist, kommt es nicht an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen