Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitskraft einer Hausfrau. geldwerte Aufwendung
Leitsatz (amtlich)
Wird von einer bezahlten Pflegekraft ein Teil der Pflege übernommen, verbleibt aber die Pflege im übrigen bei den Angehörigen - hier der Ehefrau des Beschädigten -, so ist die Pflegepauschale weiterhin neben der Erstattung der Aufwendungen für bezahlte Pflege zu gewähren; dies gilt so lange, wie die Summe von Pflegepauschale und Erstattung nicht den Betrag übersteigt, der aufzuwenden wäre, wenn die Pflege nur durch bezahlte Kräfte sicherzustellen wäre.
Orientierungssatz
Der Einsatz der Arbeitskraft einer Hausfrau ist in Übereinstimmung mit der Zivilrechtsprechung als geldwerte Aufwendung zu werten (vgl BSG vom 13.7.1988 - 9/9a RV 18/87 = SozR 3614 § 1 Nr 7; BSG vom 24.11.1988 - 9/9a RV 28/87 = SozR 3100 § 44 Nr 16; BSG vom 15.2.1989 - 9/4b RV 45/87).
Normenkette
BVG § 35 Abs 1 S 2; BVG § 35 Abs 1 S 5; BVG § 35 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 14.03.1988; Aktenzeichen S 31 V 293/87) |
Tatbestand
Dem 1921 geborenen Kläger, der durch Kriegseinwirkungen erblindet und schwerhörig geworden ist sowie beide Hände verloren und noch weitere Schädigungsfolgen erlitten hat, ist eine Pflegezulage der Stufe VI nach § 35 Abs 1 Sätze 1 und 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) zuerkannt worden. Er begehrt ab März 1987 zusätzlich die Erstattung des gesamten Bruttoentgeltes und der Sozialversicherungsbeiträge für eine bezahlte Pflegekraft, die ihn nach einem Vertrag an sechs Wochentagen je sieben Stunden und sonntags zwei Stunden lang pflegen soll (§ 35 Abs 1 Satz 5 BVG). Im übrigen obliegt die Pflege seiner 1917 geborenen Ehefrau. Das Versorgungsamt bewilligte eine Pflegezulage in der Gesamthöhe von 3.406,-- DM, und zwar die Pflegezulage Stufe VI (1.781,-- DM) erhöht wegen übersteigender Aufwendungen von 1.624,67 DM (aufgerundet auf 1.625,-- DM), diese berechnet nach den Arbeitgeberausgaben für die bezahlte Pflegekraft entsprechend Gruppe 8 der Arbeitsvertragsrichtlinien des Caritasverbandes in Höhe von 3.405,67 DM - abzüglich der pauschalen Pflegezulage (Bescheid vom 21. April 1987, Widerspruchsbescheid vom 14. September 1987, Bescheid vom 2. November 1987). Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, die Pflegezulageerhöhung nach § 35 Abs 1 Satz 5 BVG gemäß der Arbeitgeberbelastung durch den Vertrag vom 1. März 1987 ohne Abzug der Pflegezulagenpauschale Stufe VI (§ 35 Abs 1 Satz 2 BVG) für März und April 1987 sowie ab Juni 1987 festzustellen und zu zahlen (Urteil vom 14. März 1988). Nach Auffassung des Gerichts entfällt der pauschale Ausgleich für die vom Ehegatten unentgeltlich geleistete Pflege, der wegen des Schutzes der Ehe nach Art 6 Grundgesetz (GG) geboten sei, nicht ganz, wenn zusätzlich eine entgeltliche Pflege erforderlich ist und die Aufwendungen für diese nach § 35 Abs 1 Satz 5 BVG übernommen werden.
Mit der - vom SG zugelassenen - Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 35 Abs 1 Satz 5 BVG. Die pauschale Pflegezulage sei auf die Auslagen für eine fremde Hilfe deshalb anzurechnen, weil die zu ersetzenden Aufwendungen den Betrag der Pflegezulage übersteigen müßten. Art 6 Abs 1 GG gebiete nicht, zusätzlich die unentgeltlichen Pflegeleistungen des Ehegatten aus Mitteln der Allgemeinheit zu vergüten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach seiner Auffassung muß der Pflegeaufwand der Ehefrau von 54 Stunden wöchentlich und die zuzügliche Pflegebereitschaft durch eine gesonderte Pauschale abgegolten werden.
Die Beigeladene schließt sich dem Vorbringen und Antrag des Beklagten an.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hat insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen ist.
Für ein Urteil über die Höhe der dem Kläger zustehenden Pflegezulage fehlen ausreichende Tatsachenfeststellungen. Ob dem Kläger, wie ihm zugesprochen worden ist, die pauschalierte Pflegezulage der Stufe VI nach § 35 Abs 1 Satz 2 BVG (idF vom 27. Juni 1960 - BGBl I 453 -/22. Januar 1982 - BGBl I 21 -/23. Juni 1986 - BGBl I 915 -) zusätzlich zur vollen Erstattung der Arbeitgeberbelastung aus dem Vertrag vom 1. März 1987 als die nach § 35 Abs 1 Satz 5 BVG erhöhte Pflegezulage, eine einheitliche Leistung (§ 9 Nr 3 BVG), zu gewähren ist, oder ob, wie die Verwaltung meint, bei der Erhöhung die Arbeitgeberaufwendungen um die Pauschale zu kürzen sind oder ob neben jenen finanziellen Auslagen nur ein Teil der Pauschale gewährt werden kann (vgl dazu § 69 Abs 5 Satz 2 Bundessozialhilfegesetz - BSHG - idF der Bekanntmachung vom 20. Januar 1987 - BGBl I 401, 494), läßt sich erst nach einer Sachaufklärung entscheiden.
Der Anspruch des Klägers auf weitere Erhöhung seiner Pflegezulage stützt sich auf § 35 Abs 1 Satz 5 BVG:
"Übersteigen die Aufwendungen für fremde Wartung und Pflege den Betrag der Pflegezulage, so kann sie angemessen erhöht werden".
Der Beklagte hat die Pflegezulage, die für den Kläger zur Zeit der Verwaltungsentscheidung 1.781,-- DM betrug, soweit erhöht, daß sie die finanziellen Aufwendungen abdeckt, die der Kläger für seine Pflege hat, seit er eine Pflegekraft anstellen mußte. Für seine Ehefrau, die immer noch die Hauptlast seiner Pflege trägt, verbleibt danach nichts mehr. Der Beklagte meint, an einer weiteren Erhöhung sei er durch den Wortlaut des § 35 Abs 1 Satz 5 BVG gehindert. Da der Kläger seine Ehefrau nicht für ihre Pflegeleistungen bezahle, habe er keine Aufwendungen iS dieser Vorschrift. Die tatsächlichen Aufwendungen seien die oberste Grenze, bis zu der erhöht werden dürfe. Das sei zwar unbillig, aber nach dem Gesetz nicht zu ändern. Die Fälle, in denen, wie hier, die Pflege von Angehörigen und entgeltlichen Pflegekräften gemeinsam durchgeführt werde, seien bei der gesetzlichen Regelung offenbar nicht bedacht und somit auch nicht geregelt worden.
Dieser Auffassung folgt der Senat nicht. Das Gesetz regelt auch die Fälle, in denen sich bezahlte und nichtbezahlte Kräfte die Pflege teilen. Schon § 35 Abs 1 Satz 1 BVG macht deutlich, daß "fremde" Hilfe auch der unentgeltliche Beistand im Familienverband ist. Die Obergrenze, bis zu der die Pflegezulage erhöht werden kann, sind nicht die tatsächlichen Aufwendungen für die bezahlte Pflegekraft, sondern die notwendigen Aufwendungen, die der Beschädigte hätte, wenn die gesamte Pflege entgeltlich erbracht würde.
Dem Beklagten und der Beigeladenen ist zuzugeben, daß sich das nicht eindeutig aus dem Gesetz ergibt. Eindeutig geregelt sind nur zwei Fallgruppen. Wird die Pflege im wesentlichen von nichtbezahlten Kräften - also in der Regel von dem Ehegatten - durchgeführt, wird dem Beschädigten die Pflegezulage nach § 35 Abs 1 Sätze 1 bis 4 BVG als Pauschsatz gewährt. Das ist sachgerecht, weil nicht im einzelnen nachgewiesen werden kann, was der Beschädigte trotz des Fehlens einer Zahlungspflicht für seine Angehörigen aufwendet oder für zusätzliche Pflegeleistungen bezahlt. Wird die Pflege nur entgeltlich geleistet, wird der Pauschsatz - jedenfalls in den Fällen der Schwerstpflegebedürftigkeit, wie hier - weit, vielleicht um ein Vielfaches, überschritten. Dafür gibt § 35 Abs 1 Satz 5 BVG eine sachgerechte Regelung auch dann, wenn man unter Aufwendungen nur die finanziellen Aufwendungen versteht. Denn die Versorgungsverwaltung hat die finanziellen Aufwendungen in vollem Umfang zu zahlen - dies freilich nur im Rahmen der Notwendigkeit, die hier noch nicht infrage steht.
Nicht eindeutig geregelt ist in § 35 BVG die Fallgruppe, zu der der vorliegende Fall gehört: Die Angehörigen sind zwar bereit, die Pflege weiterhin durchzuführen, müssen sich aber - etwa wegen des Nachlassens der eigenen Kräfte oder der Kräfte des Beschädigten - für einige Zeit oder einige besondere schwere Pflegearbeiten durch fremde Kräfte entlasten. Schon eine relativ geringfügige Entlastung etwa von zwei bis drei Stunden täglich erfordert heute Aufwendungen, die in der Größenordnung der höchsten pauschalierten Pflegezulage liegen. Könnten nur die finanziellen Aufwendungen zur Erhöhung dieses Pauschsatzes führen, so wären schon damit jegliche Leistungen für die Angehörigen ausgeschlossen, die noch einen großen Teil der Pflege durchführen. Dann wäre es für die Angehörigen wirtschaftlich naheliegend, die Pflege ganz aufzugeben und sie in vollem Umfang bezahlten Kräften zu überlassen. Eine solche Regelung, die dem Interesse an einer Stärkung des Familienverbandes und der personalen Verbundenheit zwischen dem Beschädigten und seinen Pflegekräften entgegenwirken würde, kann der Gesetzgeber nicht gewollt haben.
Eine sachgerechte Regelung ergibt sich dann, wenn unter Aufwendungen iS des § 35 Abs 1 Satz 5 BVG nicht nur das gezahlte Entgelt für die Teilpflege zu verstehen ist, sondern auch diejenigen Aufwendungen, die der Beschädigte tatsächlich hat, ihm aber nur pauschal ohne Einzelnachweis erstattet werden. Daß der Einsatz der Arbeitskraft einer Hausfrau als geldwerte Aufwendung zu werten ist, hat der Senat in Übereinstimmung mit der Zivilrechtsprechung bereits mehrfach entschieden (Urteile vom 13. Juli 1988 - 9/9a RV 18/87 -; vom 24. November 1988 - 9/9a RV 28/87 -; vom 15. Februar 1989 - 9/4b RV 45/87, sämtlich zur Veröffentlichung vorgesehen). Solange die nachgewiesenen und die pauschalierten Aufwendungen insgesamt geringer sind als die Aufwendungen, die entstünden, wenn der Beschädigte die gesamte Pflege durch bezahlte Kräfte durchführen läßt, ist eine "Erhöhung" der Pflegezulage, die im Ergebnis zu einer Kürzung oder zum Wegfall der Pflegepauschale führt, nicht "angemessen" iS des § 35 Abs 1 Satz 5 BVG. Die Verwaltung wird dadurch nicht über Gebühr belastet, weil der Beschädigte nicht darauf verwiesen werden könnte, auch nur einen Teil der Pflege durch unbezahlte Kräfte erbringen zu lassen. Solange das aber tatsächlich der Fall ist und dafür lediglich die Pflegepauschale geltend gemacht wird, wird die Verwaltung sogar im allgemeinen noch entlastet.
Die notwendigen finanziellen Aufwendungen für eine bezahlte Pflegekraft oder für mehrere Hilfeleistende, die die Erhöhung nach § 35 Abs 1 Satz 5 BVG rechtfertigen (BSGE 52, 176, 178 ff), können aber nicht beliebig durch einen Vertrag zwischen dem Beschädigten und entgeltlich tätigen Pflegepersonen oder Vereinigungen oder Unternehmen, die solche zur Verfügung stellen, festgelegt werden. Maßgebend ist vielmehr das Ausmaß der Hilfsbedürftigkeit für die täglichen Verrichtungen - ohne allgemeine Hausarbeiten (BSGE 12, 20, 23 f) - je nach den besonderen Behinderungen des einzelnen Beschädigten, die Voraussetzung jeglicher Pflegezulage nach § 35 Abs 1 Satz 1 BVG (BSGE 59, 103, 105 f = SozR 3875 § 3 Nr 2 mN), und die objektiv nach allgemeiner Erfahrung dafür notwendige Pflegetätigkeit. Der gebotene Arbeitsaufwand wird außerdem durch die besonderen Verhältnisse einer ambulanten Pflege des Beschädigten in seiner Wohnung geprägt; er ist nicht vergleichbar mit der Arbeitsleistung der in Anstalten tätigen Pflegerinnen und Pfleger, die während einer Arbeitsschicht mehrere Personen zu versorgen haben. Eine sachkundige Auskunft über den Arbeitsumfang ist nicht von Ärzten zu erwarten, sondern von Vereinigungen (zB gemeinnützigen Trägern von Sozialstationen) und Unternehmen, die Bedienstete für ambulante Pflege anbieten. Sie können auch über angemessene ortsübliche Preise unterrichten, während Vergütungstarife für Anstaltsbedienstete - wie sie das SG in Übereinstimmung mit den Beteiligten zugrunde gelegt hat - auf die Fälle der Hauspflege wegen der andersartigen Arbeitsbedingungen nicht ohne weiteres passen. Eine entsprechende Sachaufklärung hat das SG nachzuholen.
Es besteht zwar kein Zweifel daran, daß die Kosten einer fremden Kraft, die die verbliebenen Leistungen der Ehefrau des Klägers ersetzen könnte, höher wären als die Pflegepauschale. Nach den Ausführungen des SG kann dies als festgestellt angesehen werden. Trotzdem war der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen. Denn nach der Auffassung des Senats kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der Dienstvertrag mit der Schwiegertochter des Klägers die Grundlage ist, nach der sich die weiteren Ermittlungen über die Höhe der Kosten zu richten haben, die entstünden, wenn der Kläger in vollem Umfang von fremden Kräften gepflegt werden müßte.
Ob die Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs 1 Satz 5 BVG nach oben durch den Aufwand für eine Anstaltspflege nach § 35 Abs 2 BVG begrenzt wird, erscheint fraglich. Von diesen beiden Arten der Pflegeleistungen, die unterschiedlichen Lebenssituationen gerecht werden, ist die zweite nachrangig ("... wenn geeignete Pflege sonst nicht verschafft werden kann ..." - § 35 Abs 2 Satz 1 BVG) und wird in vielen Fällen den besonderen Bedürfnissen der Hilflosen nicht gerecht. Über eine solche Begrenzung ist indes bei der Sachlage dieses Falles nicht zu entscheiden; denn nach § 35 Abs 2 BVG wird die Verwaltung mit den vollen Anstaltspflegekosten (dazu BSGE 62, 200 = SozR 3100 § 35 Nr 18), mit einem "Taschengeld" für den Beschädigten in Höhe seiner Grundrente und mit Leistungen für die Angehörigen mindestens in Höhe der Hinterbliebenenbezüge, die ihnen zuständen, wenn der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben wäre, belastet.
Das SG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 1658427 |
BSGE, 119 |