Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsanspruch. Ausschlußfrist. Sonderregelung. Auftragsverhältnis zwischen Krankenkasse und Versorgungsverwaltung
Orientierungssatz
Die Ausschlußfrist des § 111 SGB 10 gilt nicht für Erstattungsansprüche der Krankenkassen nach den §§ 19, 20 BVG.
Normenkette
SGB 1 § 37; SGB 10 § 111; BVG §§ 19-20
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Streit der Beteiligten betrifft die Frage, ob die Ausschlußfrist des § 111 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) auch für den Erstattungsanspruch nach § 19 Bundesversorgungsgesetz (BVG) gilt.
Die klagende Krankenkasse trug 1980 für den bei ihr versicherten Versorgungsberechtigten O. die Kosten einer stationären Behandlung des anerkannten Versorgungsleidens. Der ursächliche Zusammenhang der behandelten Krankheit mit dem Versorgungsleiden wurde erst 1984 festgestellt und der Klägerin eröffnet. Sie meldete sogleich den Erstattungsanspruch in Höhe von mehr als 9.118,14 DM beim Beklagten an. Der Beklagte hat den Anspruch unter Berufung auf die Ausschlußfrist des § 111 SGB 10 abgelehnt, weil die Klägerin ihn nicht spätestens 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht worden ist, geltend gemacht hat.
Klage und Berufung waren ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat § 111 SGB 10 im Rahmen des Versorgungsrechts seit seinem Inkrafttreten am 1. Juli 1983 für anwendbar gehalten, weil der Gesetzgeber mit dem SGB 10 eine einheitliche und lückenlose Regelung der Erstattungsansprüche beabsichtigt habe, die auch gemäß § 37 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1) vom 11. Dezember 1975 (BGBl I 3015) weitergeltende Spezialnormen, wie hier §§ 19, 20 BVG, ergänze.
Die Klägerin hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt und vorgetragen, aus der systematischen Stellung des § 111 SGB 10 folge, daß ausschließlich die in den §§ 102 bis 105 SGB 10 geregelten Erstattungsansprüche von der Ausschlußfrist betroffen seien. Der Gesetzgeber habe seine Absicht, eine geschlossene Lösung vorzulegen, nicht verwirklicht, sondern die speziellen Erstattungsvorschriften der §§ 583 Abs 9, 1504 Reichsversicherungsordnung (RVO), §§ 18c Abs 6, 19 und 20 BVG aufrechterhalten. Die Erstattungsregelung des SGB 10 sei nur in ihrer Gesamtheit als geschlossener Regelkreis verständlich und anwendbar und könne nicht auf außerhalb liegende Sachverhalte übertragen werden. Eine unzumutbare Inanspruchnahme in die Vergangenheit hinein werde durch die allgemeine Verjährungsfrist verhindert.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verurteilen, 9.118,14 DM zu zahlen.
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Versorgungsverwaltung müsse dagegen geschützt werden, mit Erstattungsansprüchen für lange zurückliegende Zeiten belastet zu werden.
Sämtliche Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Erstattungsansprüche der Krankenkassen nach den §§ 19, 20 BVG müssen nicht binnen der Ausschlußfrist des § 111 SGB 10 geltend gemacht werden.
Die in Spezialgesetzen geregelten Erstattungsansprüche zwischen öffentlichen Leistungsträgern sind nicht solche iS der §§ 102 ff SGB 10; sie können nicht in diesen Abschnitt des SGB 10 einbezogen werden. Das gilt sowohl für den bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Erstattungsanspruch zwischen Krankenversicherungs-und Unfallversicherungsträger nach § 1504 Abs 1 RVO aF - außer Kraft getreten mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) -, wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat (vgl Urteil vom 6. April 1989 - 2 RU 43/88 -, zur Veröffentlichung vorgesehen; anders noch in nicht tragender Begründung BSG SozR 1300 § 111 Nr 1), als auch für die sich aus dem Auftragsverhältnis ergebenden Erstattungsansprüche nach dem BVG. Sie sind nicht nur anders ausgestaltet als die im zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB 10 enthaltenden Erstattungsansprüchen der Leistungsträger; sie sind vielmehr anderer Art.
Soweit die Träger gesetzlicher Krankenversicherung allein nach BVG verpflichtet sind (§ 20 BVG) oder zugleich Ansprüche eigener Versicherter erfüllen (§ 19 BVG), aber wegen des Verursacherprinzips nach dem BVG im gesetzlichen Auftrag der Versorgungsverwaltung leisten (vgl BSGE 32, 150, 151 und Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 6. Aufl, § 18c BVG RdNr 4), wäre ohne die Spezialregelung im BVG keiner der Tatbestände nach den §§ 102 ff SGB 10 gegeben; es besteht kein allgemeiner Erstattungsanspruch (so schon BSG SozR 3100 § 19 Nr 12). Erbringt der Krankenversicherungsträger den bei ihm Versicherten stationäre Heilbehandlung, leistet er bei Beschädigten aus eigener Verpflichtung und nicht nur vorläufig; nach § 18c Abs 1 Satz 3 BVG ist die Leistungserbringung ausschließlich der Krankenkasse zugewiesen; § 102 SGB 10 ist daher nicht einschlägig. Auch wenn - wie hier - erst nachträglich ein Versorgungsleiden anerkannt wird (§ 19 Abs 3 BVG), entfällt die Verpflichtung zur Leistungserbringung durch die Krankenkasse nicht nachträglich, sondern wandelt sich nur nachträglich in eine Verpflichtung aus einem Auftragsverhältnis um. Ein Erstattungsanspruch nach § 103 SGB 10 scheidet aus. Es besteht auch kein Vorrang/Nachrangverhältnis zwischen den Krankenkassen und der Versorgungsverwaltung als möglicher Grundlage eines Erstattungsanspruchs nach § 104 SGB 10, weil § 18c BVG die Verpflichtung zur Leistungserbringung endgültig regelt und lediglich der Versorgungsverwaltung über Abs 3 ermöglicht, in Einzelfällen die Leistungserbringung an sich zu ziehen. Die Leitungsbefugnisse bestehen nicht nebeneinander, sondern je nach Fallgestaltung ausschließlich für den einen oder anderen Träger. § 105 SGB 10 kommt als Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch wegen Krankenhauspflege schon deshalb nicht in Betracht, weil die Krankenkassen diese Leistung den bei ihnen Versicherten immer als zuständige Träger gewähren. Die §§ 18c, 19 BVG betrafen bis zum Inkrafttreten des GRG ausschließlich die Erstattungsansprüche der im Rahmen ihrer Zuständigkeit handelnden Krankenkasse (vgl zu BSG SozR 3100 § 19 Nr 12 und SozR 2200 § 205 Nr 55).
Soweit der Beklagte meint, aus der Entstehungsgeschichte und dem Zweck des SGB 10 folge, daß alle Erstattungsansprüche einheitlich auszugestalten und über § 37 SGB 1 notfalls zu ergänzen seien, kann dem auch der Sache nach nicht gefolgt werden. Die §§ 106 bis 114 SGB 10 ergänzen die §§ 19 bis 21 BVG inhaltlich nicht. Das Versorgungsrecht enthält für den speziellen Tatbestand der Leistungserbringung durch die Träger der Krankenversicherung ein geschlossenes Regelwerk, das Bestimmungen über Rangfolge und Erfüllung (§§ 106 bis 108 SGB 10) überflüssig macht, zum Umfang des Erstattungsanspruchs (§§ 109, 110 SGB 10) und zur Rückerstattung (§ 112 SGB 10) eigenständige Regelungen enthält und selbst für die Verjährung (§ 113 SGB 10) nur deren Dauer übernimmt, aber zur Fristberechnung sowohl für den Erstattungsanspruch als auch für den Rückerstattungsanspruch Abweichendes regelt.
Dem Beklagten ist zuzugeben, daß allein nach dem Wortlaut die Ausschlußfrist des § 111 SGB 10 jedenfalls insoweit anwendbar sein könnte, als § 21 BVG nicht ausdrücklich eine Sonderregelung trifft. Für den Erstattungsanspruch nach § 20 BVG schafft die Sollvorschrift des § 21 BVG in Abs 1 zweifellos Sonderrecht, das den Rückgriff auf SGB 10 ausschließt. Zum Erstattungsanspruch nach § 19 BVG enthielt das BVG niemals eine Anmelde- oder Ausschlußfrist. Eine Heranziehung des SGB 10 ist daher nicht nach dem Wortlaut, wohl aber nach der historischen Entwicklung und dem Sinn des BVG ausgeschlossen. Obwohl das SGB 10 einheitliche Erstattungsansprüche schaffen wollte, sind mit Art 2 § 8 des Gesetzes die Vorschriften des BVG nicht aufgehoben und durch solche des SGB 10 ersetzt worden, sondern die bestehende besondere Erstattungsregelung blieb unangetastet: lediglich sprachlich und redaktionell wurde sie an die neuen Gesetzesvorschriften angepaßt (vgl BT-Drucks 9/1753 S 46 und BR-Drucks 526/80 S 31). Eine inhaltliche Neugestaltung des Rechts der Kriegsopferversorgung war nicht beabsichtigt. Der Erstattungsanspruch nach § 19 BVG unterliegt somit nur den - besonderen - Verjährungsvorschriften des § 21 Abs 2 BVG und keiner sonstigen Frist. Das gilt nicht nur für die Erstattungsansprüche, die aus ambulanter ärztlicher und zahnärztlicher Behandlung und aus den Aufwendungen für Arznei- und Verbandsmitteln herrühren, - die gemäß § 19 Abs 1 Satz 3 BVG pauschal abgerechnet und schon deshalb von Anmeldefristen nicht erfaßt werden -, sondern auch für die in § 19 Abs 1 Satz 1 BVG genannten Aufwendungen für Krankenhauspflege einschließlich teilstationärer Behandlung, für häusliche Krankenpflege, für Haushaltshilfe, Heilmittel und Brillen, die einzeln, wenn auch ohne Verwaltungskostenanteil abgerechnet werden.
Einer Ausschlußfrist bedarf es im Auftragsverhältnis nicht (eine entsprechende Vorschrift fehlt auch in § 91 SGB 10), weil der Versorgungsberechtigte, der zugleich Mitglied einer Krankenversicherung ist, ohnedies in die Pauschberechnung nach § 19 Abs 1 Satz 3 BVG und der hierzu erlassenen Verordnung vom 5. August 1965 - jetzt idF der Verordnung vom 27. Oktober 1986 (BGBl I S 1661) - eingeht. Soweit sich die Versorgungsverwaltung des Trägers der Krankenversicherung zur Erbringung der Leistungen bedient, besteht gleichermaßen ein Interesse beider an rechtzeitiger Abrechnung erbrachter Leistungen. Anders ist es bei Erstattungsansprüchen nach den §§ 102 ff SGB 10. Erstattungsansprüche iS der §§ 102 ff SGB 10 sind nicht regelmäßig zwischen bestimmten Leistungsträgern zu erwarten, und deshalb hat derjenige, der auf Erstattung in Anspruch genommen werden kann, ein besonderes Interesse daran, daß möglichst bald Klarheit über solche Ansprüche besteht. Er soll nicht noch nach Jahren durch Erstattungsansprüche überrascht werden. Dies gilt aber gerade nicht für die Dauerrechtsbeziehung zwischen Krankenkassen und Versorgungsverwaltung als Grundlage für Erstattungsansprüche aus § 19 BVG. Die Krankenkasse wird nicht gelegentlich, wie in den Fällen der §§ 102 ff SGB 10, für den erstattungspflichtigen Leistungsträger tätig, sondern übernimmt ständig und laufend dessen Pflichten in einem bestimmten Bereich. Die Versorgungsverwaltung muß deshalb stets mit Erstattungsansprüchen rechnen.
Die Behandlung der §§ 19 bis 21 BVG als abschließender Spezialregelung hat der Gesetzgeber inzwischen bekräftigt. Denn § 19 BVG ist durch Art 37 Nr 12 Buchst c GRG um einen neuen Abs 4 erweitert worden. Auch soweit die Krankenkassen als Unzuständige eine Leistung erbringen, die an sich von der Verwaltungsbehörde hätte erbracht werden müssen, richtet sich der Erstattungsanspruch nicht nach § 105 SGB 10, sondern nach BVG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen