Entscheidungsstichwort (Thema)

Grobe Fahrlässigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Berufsausbildungsbeihilfe ist eine laufende Leistung iS von AFG § 148 Abs 1.

2. Zum Begriff der groben Fahrlässigkeit iS des AFG § 152 Abs 1, insbesondere bei der Beachtung von Belehrungen der Verwaltung über Anzeigepflichten.

3. Ein Vorbehalt der Rückforderung von Leistungen im Bewilligungsbescheid ist neben AFG § 152 nicht rechtswirksam, wenn die Anspruchsvoraussetzungen bei der Entscheidung über den Anspruch in der für eine abschließende Beurteilung ausreichenden Weise vorliegen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Verändert sich die Dauer und die Höhe der Berufsausbildungsbeihilfe durch einen Lehrstellenwechsel nicht und wird dem Empfänger der Berufsausbildungsbeihilfe auch von der Handwerkskammer bedeutet, daß deswegen nichts zu unternehmen ist, so ist es nicht schlechthin unentschuldbar - folglich nicht grob fahrlässig -, daß die nach AFG § 148 Abs 1 gebotene Anzeige unterlassen wird.

 

Normenkette

AFG § 143 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 148 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 151 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 152 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1969-06-25

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Juni 1974 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beklagte verlangt von der Klägerin die Rückzahlung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB).

Die am 2. Dezember 1956 geborene Klägerin begann am 1. August 1971 eine dreijährige Berufsausbildung zur Friseuse im Salon "I", A - erstes Ausbildungsverhältnis -. Die Beklagte bewilligte ihr hierfür BAB bis einschließlich Ende Juli 1972 (Bescheide vom 14. September 1971, 12. Oktober 1971 und 28. August 1972). Die Leistungsanträge sind jeweils von der Mutter der Klägerin als ihrer gesetzlichen Vertreterin mit unterzeichnet. An sie wurden auch die Bewilligungsbescheide gerichtet. Alle Bewilligungen erfolgten unter dem Vorbehalt, daß sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin nicht änderten. Die Bescheide enthalten ferner den Hinweis, daß Änderungen, die für den "Anspruch auf die Berufsausbildungsbeihilfe und für deren Höhe von Bedeutung sind (z. B. vorzeitiges Ausscheiden aus der Ausbildung, vorzeitiger Abschluß oder Unterbrechung der Ausbildung, Wechsel der Ausbildungsstätte, Erkrankung, Schwangerschaft, Änderung der Unterbringung des/der Auszubildenden sowie Änderungen in der Höhe der Ausbildungsvergütung und der sonstigen Einkünfte des/der Auszubildenden)" dem Arbeitsamt unaufgefordert und unverzüglich anzuzeigen sind. Eine entsprechende Belehrung findet sich auf den Antragsformularen, deren Kenntnis der Antragsteller jeweils durch seine Unterschrift bestätigt.

Am 30. November 1971 löste die Klägerin das erste Ausbildungsverhältnis und ging zur Fortsetzung ihrer Berufsausbildung als Friseuse am 1. Dezember 1971 ein zweites Ausbildungsverhältnis ein, für das die Regelungen des bisherigen Lehrvertrages bindend sein sollten (Nachtrag zum Lehrvertrag vom 14. März 1972). Die Beklagte erfuhr von dem Lehrstellenwechsel erst, als die Klägerin am 3. August 1972 auch für das zweite Ausbildungsverhältnis BAB beantragte.

Die Beklagte bewilligte zwar hierfür erneut BAB ab Antragstellung (Bescheid vom 21. August 1972), hob jedoch nunmehr die Bewilligungsentscheidung bezüglich des ersten Ausbildungsverhältnisses mit Wirkung vom 1. Dezember 1971 auf und forderte die seitdem gezahlte BAB im Gesamtbetrag von 1.278,- DM von der Klägerin zurück (Bescheid vom 18. August 1972). Der Widerspruch der durch ihre Mutter vertretenen Klägerin, mit dem sie vorbrachte, daß sie den Wechsel der Ausbildungsstätte nicht als erhebliche Tatsache im Sinne des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) gewertet habe, zumal da sie ihn bei der Kreishandwerkerschaft und der Handwerkskammer Aachen angezeigt und von dort die Auskunft erhalten habe, daß alles in Ordnung sei und nunmehr keine weiteren Schritte unternommen zu werden brauchten, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5. September 1972).

Durch Urteil vom 18. Juni 1973 hat das Sozialgericht (SG) Aachen die angefochtenen Bescheide aufgehoben, soweit die Beklagte darin BAB für die Zeit vom 1. Dezember 1971 bis 31. Juli 1972 zurückforderte.

Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 19. Juni 1974 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG insbesondere ausgeführt: Das Rückforderungsbegehren der Beklagten könne weder auf § 152 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AFG noch auf den in den Bewilligungsbescheiden enthaltenen Vorbehalt gleichbleibender persönlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse des Leistungsempfängers gestützt werden. Zwar sei die Überzahlung der BAB für das erste Ausbildungsverhältnis ab 1. Dezember 1971 dadurch ausgelöst worden, daß die Mutter der Klägerin dem Arbeitsamt den Wechsel der Ausbildungsstätte, der nach § 148 Abs. 1 AFG unverzüglich hätte angezeigt werden müssen, nicht mitgeteilt habe. Grob fahrlässig im Sinne von § 152 Abs. 1 AFG habe sie aber insoweit nicht gehandelt, auch wenn der Beklagten zuzugeben sei, daß in den Bewilligungsbescheiden für den Fall des Wechsels der Ausbildungsstätte ausdrücklich auf die Anzeigepflicht verwiesen werde. Grobe Fahrlässigkeit könne nämlich nur angenommen werden, wenn selbst einfache, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt worden seien. Das aber könne der Mutter der Klägerin nicht entgegengehalten werden, weil die bescheidmäßigen Belehrungen der Beklagten nur allgemein gehalten gewesen seien und im Zusammenhang mit dem Ergebnis der rechtzeitigen Vorsprachen bei der Kreishandwerkerschaft und Handwerkskammer den Schluß zugelassen hätten, daß die durch den Lehrstellenwechsel eingetretene Änderung für den Leistungsanspruch der Klägerin unbeachtlich sei. Dies gelte um so mehr, als die Mutter der Klägerin - nach Genehmigung des Lehrstellenwechsels durch die Handwerkskammer - gewußt habe, daß sich das Berufsziel ihrer Tochter und die Höhe der gezahlten Ausbildungsvergütung nicht geändert hatten. Aus denselben Gründen könne nicht angenommen werden, daß der Mutter der Klägerin der Wegfall der Leistungsvoraussetzungen mit dem 1. Dezember 1971 infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt gewesen sei. Die Beklagte könne die überzahlte BAB auch nicht deshalb zurückverlangen, weil sie die Leistung unter dem ausdrücklichen Vorbehalt gewährt habe, daß sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin nicht änderten. Dieser Vorbehalt stelle seinem objektiven Erklärungswert nach keinen "Rückforderungsvorbehalt" dar. Als solcher wäre er im übrigen rechtsunwirksam, soweit damit die Voraussetzungen einer Rückforderung nach § 152 AFG zugunsten der Beklagten erweitert werden sollten. Das wäre nämlich mit der Schutzfunktion des § 152 AFG unvereinbar gewesen, der insoweit als abschließende Regelung angesehen werden müsse.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 148, 151, 152 AFG sowie eine unzutreffende rechtliche Würdigung des in ihren Bescheiden enthaltenen Widerrufsvorbehalts. Sie bringt hierzu insbesondere vor:

Entgegen der Auffassung des LSG habe es die Mutter der minderjährigen Klägerin grob fahrlässig unterlassen, dem Arbeitsamt den Lehrstellenwechsel gemäß § 148 Abs. 1 AFG anzuzeigen; denn sie sei in den Bewilligungsbescheiden sowie in dem von ihr selbst unterzeichneten Leistungsantrag vom 9. September 1971 eindeutig auf die Anzeigepflicht im Falle eines Wechsels der Ausbildungsstätte hingewiesen worden und habe es deshalb nicht mit der Auskunft der Handwerkskammer bewenden lassen dürfen, wonach alles in Ordnung gewesen sei und weitere Schritte nicht mehr unternommen zu werden brauchten. Darüber hinaus könnten die überzahlten Beträge aufgrund des in den Bewilligungsbescheiden enthaltenen Vorbehalts zurückgefordert werden. Darin werde nicht lediglich der Gesetzeswortlaut des § 151 Abs. 1 AFG wiederholt, sondern gleichzeitig wirksam ein Rückforderungsvorbehalt für die Fälle dieser Vorschrift statuiert. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sei der Widerrufsvorbehalt als Nebenbestimmung eines Verwaltungsaktes im Sozialversicherungsrecht wirksam, wenn er sachlich begründet sei und nicht dem pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltung widerspreche. Diese für den Bereich des Schlechtwettergeldes aufgestellten Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Widerrufs- und damit des Rückforderungsvorbehalts seien auch im vorliegenden Fall erfüllt gewesen. Durch den Vorbehalt werde sichergestellt, daß die im voraus gewährte BAB während des Bewilligungszeitraumes nur unter dem Fortbestehen der für die Gewährung der Leistung maßgeblichen Voraussetzungen gezahlt werde. Die Bundesanstalt stehe nämlich vor der Alternative, allmonatlich die Anspruchsvoraussetzungen - nach Vorlage entsprechender Nachweise durch den Leistungsempfänger - zu prüfen oder aber bei einer Gewährung der Leistung über eine längere Zeit hinweg einer nicht voraussehbaren Änderung der Verhältnisse durch einen entsprechenden Vorbehalt Rechnung zu tragen. Bei der monatlichen im voraus unter Vorbehalt gezahlten BAB werde der Leistungsempfänger in der Weise begünstigt, daß er nicht laufend die Anspruchsvoraussetzungen nachzuweisen brauche. Bei der Vorauszahlung der BAB könne der mit der Anzeigepflicht verfolgte Zweck ohne einen Rückforderungsvorbehalt nicht verwirklicht werden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Sozialgerichts Aachen vom 18. Juni 1973 in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt im wesentlichen aus, daß ihre Mutter unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, ihres Einsichtsvermögens und der vom Berufungsgericht festgestellten besonderen Umstände des Falles, die die Beklagte wirksam mit Revisionsrügen nicht angegriffen habe und die deshalb für die Entscheidung des erkennenden Senats bindend seien, nicht grob fahrlässig im Sinne von § 152 Abs. 1 AFG gehandelt habe. Der Wirksamkeit des bescheidmäßigen Rückforderungsvorbehalts der Beklagten stehe der in § 152 Abs. 1 AFG zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers entgegen, wonach eine aufgrund einer aufgehobenen Entscheidung nicht mehr zustehende Leistung nur dann zurückgefordert werden solle, wenn der Empfänger die Gewährung vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie hat keinen Anspruch darauf, daß die Klägerin die ihr vom 1. Dezember 1971 bis 31. Juli 1972 in Höhe von 1.278,- DM gewährte BAB zurückzahlt.

Nur dieser von der Beklagten geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung ist Streitgegenstand des Revisionsverfahrens. Soweit die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 18. August 1972 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 1972 (§ 95 SGG) die zugrundeliegenden Leistungsbewilligungen nach § 151 Abs. 1 AFG aufgehoben hat, ist die Klägerin mit ihrem Anfechtungsbegehren vor dem SG nicht durchgedrungen. Das SG hat zwar im Tenor seiner Entscheidung nicht ausdrücklich die Klage insoweit abgewiesen. Aus den Gründen der Entscheidung des SG ist jedoch ersichtlich, daß es die Aufhebung der Bewilligung von BAB durch die Beklagte für rechtens hielt und demzufolge der auch hiergegen gerichteten Klage nicht stattgeben wollte. Das Urteil des SG ist jedenfalls unter Heranziehung der Entscheidungsgründe entsprechend auszulegen (vgl. BSGE 4, 121; 9, 17; 14, 99, 102; 37, 155, 157). Insoweit ist die Entscheidung des SG rechtskräftig geworden; denn sie wurde nur von der Beklagten in dem Umfange mit der Berufung angegriffen, in dem diese noch - nämlich wegen ihres Rückforderungsanspruchs - beschwert war (§ 141 SGG; vgl. auch BSGE 21, 27, 28; 22, 98; 37, 155, 158). Ebenso wie damit die Frage der Rechtmäßigkeit der von der Beklagten ausgesprochenen Aufhebung der Bewilligung von BAB schon der Beurteilung durch das Berufungsgericht entzogen war (vgl. BSGE 11, 167, 170), ist diese Frage auch vom Revisionsgericht nicht mehr zu überprüfen (§§ 141, 153, 165 SGG; vgl. BSGE 37, 155, 158).

Eine Rückzahlungspflicht der Klägerin (als Gegenstück zu dem von der Beklagten erhobenen Rückforderungsanspruch) ergibt sich nicht aus § 152 AFG. Bei der gegebenen Sachlage kommt hier allenfalls ein Tatbestand nach § 152 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 in Betracht. Danach ist die Leistung, soweit eine Entscheidung aufgehoben (§ 151 Abs. 1 AFG) worden ist, insoweit zurückzuzahlen, als der Empfänger u. a. die Gewährung dadurch herbeigeführt hat, daß er eine Anzeige nach § 148 Abs. 1 AFG grob fahrlässig unterlassen hat oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht wußte, daß die Voraussetzungen für die Leistungen nicht (mehr) vorlagen.

Die Klägerin hätte nach dieser Vorschrift den Wechsel des Ausbildungsverhältnisses der Beklagten zwar unverzüglich anzeigen müssen. Die Weitergewährung der BAB für das erste Ausbildungsverhältnis über den 1. Dezember 1971 hinaus ist darauf zurückzuführen, daß die Klägerin als Empfänger der Leistung im Sinne von § 152 Abs. 1 AFG (vgl. Hennig/Kühl/Heuer, Komm. zum AFG, Anm. 6 zu § 152; Schönefelder/Kranz/Wanka, Komm. zum AFG, Anm. 3 zu § 152) diese Anzeige unterlassen hat. Sie wäre hierzu nach § 148 Abs. 1 AFG verpflichtet gewesen. Nach dieser Vorschrift trifft den Bezieher einer laufenden Leistung die Pflicht, der Beklagten ohne Aufforderung jede Änderung in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf die Leistung erheblich ist, unverzüglich mitzuteilen. Eine laufende Leistung im Sinne des § 148 Abs. 1 AFG ist jede Leistung, die über einen gewissen Zeitraum in - nicht notwendig regelmäßigen - Abständen wiederkehrend gezahlt wird. Hierzu zählt die BAB (ebenso im Ergebnis Schönefelder/Kranz/Wanka aaO, Anm. 1 zu § 148 AFG). Die BAB ist zwar nicht in § 143 AFG aufgeführt, obwohl dort eine Reihe von Leistungen kraft Gesetzes als laufende Leistungen charakterisiert werden. Die Vorschrift des § 143 AFG enthält jedoch keine abschließende Legaldefinition dieses Begriffs für alle Bereiche des AFG, was schon daran deutlich wird, daß sie als Regelungsinhalt die Pflicht des Arbeitgebers zur Ausstellung der dort genannten Bescheinigungen betrifft. Darüber hinaus wollte der Gesetzgeber in § 143 AFG lediglich die nach § 175 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) ausdrücklich nur für Bezieher von Arbeitslosengeld vorgeschriebene Bescheinigungspflicht des Arbeitgebers klarstellend auch auf Bezieher anderer laufender Leistungen erstrecken, während die Anzeigepflicht nach § 148 Abs. 1 AFG auf die früheren Regelungen in §§ 152 und 183 AVAVG zurückgeht und die dortigen Beschränkungen auf Bezieher von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe allgemein beseitigen sollte (vgl. BT-Drucks. V/2291 S. 87 zu §§ 142 und 147). Damit wurde die Anzeigepflicht nach § 148 Abs. 1 AFG auch auf den Bezieher von BAB ausgedehnt.

Die Klägerin trifft weder wegen der unterlassenen Anzeige im Sinne von § 152 Abs. 1 Nr. 1 AFG noch wegen fahrlässiger Unkenntnis über die Leistungsvoraussetzungen im Sinne von § 152 Abs. 1 Nr. 2 AFG der Vorwurf grober Fahrlässigkeit. Hierbei ist vom Verhalten der Mutter der Klägerin auszugehen. Zum Zeitpunkt des Lehrstellenwechsels war die Klägerin noch minderjährig (§ 2 BGB aF) und wurde gesetzlich von ihrer Mutter vertreten. Infolgedessen war nur die Mutter berechtigt und verpflichtet, der Beklagten das Ende des ersten Ausbildungsverhältnisses mitzuteilen (§§ 166 Abs. 1, 1626, 1671 BGB). Für ein haftungsbegründendes Verschulden ihrer gesetzlichen Vertreterin hätte die Klägerin einzustehen.

Ein Verschulden im Sinne einer groben Fahrlässigkeit nach § 152 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 AFG liegt jedoch nicht vor; das LSG hat hier den Begriff der groben Fahrlässigkeit nicht verkannt. Dabei ist von den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) über das Verhalten der Mutter der Klägerin im Zusammenhang mit dem Lehrstellenwechsel ihrer Tochter und die dabei vorhandenen Umstände auszugehen. Für die Frage der groben Fahrlässigkeit kommt es auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten des Leistungsempfängers sowie auf die besonderen Umstände des Falles an (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff, vgl. BSG in SozR 5870 Nr. 1 zu § 13; BSGE 35, 108, 112 mit weiteren Nachweisen). Grobe Fahrlässigkeit setzt hiernach eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes, d. h. eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Subjektiv schlechthin unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden (vgl. RGZ 163, 106), wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muß (vgl. Krebs, Komm. zum AFG, Anm. 11 zu § 8 AFG; Palandt, Komm. zum BGB, 35. Aufl., Anm. 2 zu § 277). Diese Kriterien sind zur Bestimmung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit im Sinne von § 152 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AFG gleichermaßen heranzuziehen (ebenso Krebs aaO, Anm. 13 zu § 152 AFG; vgl. auch Schönefelder/Kranz/Wanka aaO, Anm. 6 zu § 152).

Nach den mit dem Wechsel der Ausbildungsstelle verbundenen Umständen mußte es der Mutter der Klägerin nicht in dem dargestellten Sinne ohne jede weitere Überlegung und geradezu schlechthin klar sein, daß sie die Beendigung des ersten Ausbildungsverhältnisses ihrer Tochter dem Arbeitsamt sofort anzeigen müßte. Für ihr Verhalten, keine Anzeige zu erstatten, sprach zunächst, daß sich wirtschaftlich keine Veränderungen hinsichtlich Dauer und Höhe des BAB-Anspruchs ergaben; sie konnte sich in ihrem Verhalten durch die Antwort der Handwerkskammer bestärkt fühlen, sie brauche weiter nichts zu unternehmen.

Demgegenüber begründen auch die in den Antragsformularen und in den Bewilligungsbescheiden enthaltenen Belehrungen der Beklagten über die Anzeigepflicht nicht den Vorwurf grober Fahrlässigkeit bei der Unterlassung der Anzeige. Dabei ist einmal zu berücksichtigen, daß nach der Lebenserfahrung solche Belehrungen dem Bürger nicht stets und täglich gegenwärtig sein können. Das enthebt ihn zwar grundsätzlich nicht der Pflicht, sie zu beachten und sich zu diesem Zweck ihres Inhalts im Einzelfall zu vergewissern. Er muß aber bei der Frage, ob er andernfalls grob fahrlässig handelt, nach denselben Kriterien, die allgemein den Vorwurf grober Fahrlässigkeit rechtfertigen, einen Anlaß sehen, sich mit ihnen (erneut) zu beschäftigen. Grob fahrlässig handelt er nur dann, wenn er in einer bestimmten Situation auch bei Anwendung der geringsten Sorgfalt erkennen muß, daß es notwendig ist, sich diese Belehrungen nunmehr nochmals durchzulesen. Dies kann aber im vorliegenden Fall im Hinblick auf die oben angeführten tatsächlichen Verhältnisse nicht gesagt werden. Der Umstand, daß die bisherigen Bewilligungen (tatsächlich und rechtlich) nur auf das konkrete Ausbildungsverhältnis beim Salon "I" beschränkt waren und die Beklagte - ebenfalls aus rechtlichen Gründen - beim Wechsel der Ausbildungsstelle die Bewilligung für das erste Ausbildungsverhältnis aufheben und für das zweite Ausbildungsverhältnis eine neue Bewilligungsentscheidung treffen werde, stellt jedenfalls nicht einen so einsichtigen Sachverhalt dar, daß er das Unterlassen einer nochmaligen Prüfung der Belehrungen durch die Mutter der Klägerin schlechthin unentschuldbar machte. Die Beachtlichkeit des vollzogenen Lehrstellenwechsels für den Anspruch auf BAB war im vorliegenden Fall auch für einen vergleichbaren Leistungsberechtigten weder ohne weiteres erkennbar, noch hat das LSG Umstände festgestellt, die auch bei jenem zwangsläufig Zweifel hätten wecken und ihn zu einer Rückfrage bei der Beklagten bewegen müssen.

Hinzu kommt, daß der Inhalt dieser Belehrungen nicht so eindeutig ist, daß der Leser sich über seinen Sinn - unter Berücksichtigung des für den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit erforderlichen Maßstabes - schlechthin nicht im unklaren sein konnte. Die Belehrungen nennen zwar im Klammerzusatz als Beispielsfall für eine Anzeigepflicht u. a. den Wechsel der Ausbildungsstätte. Dieser Hinweis ist jedoch nicht isoliert zu sehen. Vor der Klammer und als Grundsatz (Obersatz) für die Anzeigepflicht führt die Beklagte an, daß "Änderungen", die für den Anspruch auf die Berufsausbildungsbeihilfe und für deren Höhe von Bedeutung sind" ... anzuzeigen sind. Diese Formulierung erweckt zumindest den Eindruck, daß dem Verpflichteten hier eine eigene Wertung eingeräumt wird in der Weise, daß er nur diejenigen Änderungen (einschließlich eines Wechsels der Ausbildungsstätte) anzuzeigen hätte, die für den Anspruch auf BAB und für deren Höhe von Bedeutung sind. Es kann dahinstehen, ob der Vorwurf grober Fahrlässigkeit immer schon dann entfällt, wenn der Verpflichtete bei denkbar mehrdeutigen Auslegungsmöglichkeiten einer ihm erteilten Belehrung nur eine Möglichkeit berücksichtigt, sofern diese nicht ganz abwegig ist (in diesem Sinn vgl. Urteil des BSG vom 19. Juni 1975 - 8/7 RKg 11/73 -). Jedenfalls kann eine von dem gemeinten Sinne abweichende, aber nicht abwegige Wertung einer solchen Belehrung den Vorwurf grober Fahrlässigkeit dann nicht begründen, wenn ein entsprechendes Verhalten des Belehrten auch nach den übrigen Umständen diesen Vorwurf nicht rechtfertigt, wie im Falle der Mutter der Klägerin.

Aus den gleichen Erwägungen ist dem LSG darin beizupflichten, daß die Mutter der Klägerin den Fortfall von Anspruchsvoraussetzungen nicht infolge grober Fahrlässigkeit im Sinne von § 152 Abs. 1 Nr. 2 AFG verkannt hat. Wenn die Mutter der Klägerin schon nicht grob fahrlässig handelte, als sie die Anzeige nach § 148 AFG unterließ, kann ihr erst recht nicht entgegengehalten werden, daß sie infolge grober Fahrlässigkeit nicht wußte, daß die Leistungsvoraussetzungen nicht (mehr) vorlagen. Hierfür kommt es nämlich nicht allein darauf an, ob der Irrtum des Leistungsempfängers vermeidbar war. Vielmehr ist ausschlaggebend, ob der Irrtum durch Vorkehrungen vermieden werden konnte, die sich nach den Umständen des Einzelfalles jedenfalls unabweisbar aufdrängen mußten. Die Mutter der Klägerin mußte sich - wie dargelegt - wegen des Lehrstellenwechsels ihrer Tochter jedoch nicht unter allen Umständen zu einer Anzeige nach § 148 AFG und damit auch nicht zu einer informellen Anfrage bei der Beklagten gedrängt fühlen; denn wer wegen eines Irrtums die Vorschrift des § 148 Abs. 1 AFG außer Acht läßt, handelt nur dann schuldhaft im Sinne grober Fahrlässigkeit, wenn das Absehen von einer Rückfrage bei der Beklagten unter keinem Gesichtspunkt verständlich erscheint. Das ist hier jedoch nicht der Fall, weil einmal die Beklagte ihre Belehrung so abgefaßt hat, daß sie Raum für den Irrtum bot, der Lehrstellenwechsel der Klägerin sei für den Leistungsanspruch unbeachtlich, zum anderen, weil die Mutter der Klägerin sich durch die Auskunft der Handwerkskammer als der für den Lehrstellenwechsel sachlich zuständigen Stelle in ihrer Meinung bestärkt fühlen durfte.

Die Beklagte kann ihr Rückforderungsbegehren auch nicht darauf stützen, daß sie die BAB unter dem Vorbehalt gleichbleibender persönlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse der Klägerin bewilligt hat. Dabei kann es dahinstehen, ob der in dem Bewilligungsbescheid enthaltene Vorbehalt sich überhaupt auf das Rückforderungsbegehren der Beklagten bezieht. Die Beklagte hat zwischen Bewilligung und Auszahlung der BAB in Satz 1 und Satz 2 ihrer Bewilligungsbescheide unterschieden und den Vorbehalt lediglich in die erstgenannte Regelung aufgenommen, der damit zumindest sowohl im Sinne eines Aufhebungs- als auch eines Rückforderungsvorbehalts ausgelegt werden kann. Das BSG hat bereits entschieden, daß Leistungen aufgrund eines bescheidmäßigen Vorbehalts nur dann zurückgefordert werden können, wenn die Verwaltung darin ihr Rückforderungsbegehren eindeutig zum Ausdruck gebracht hat (so für die Pflegezulage nach dem Bundesversorgungsgesetz, vgl. Urteil des BSG vom 21. Januar 1965 - 8 RV 181/63 -, BVBl 1965, 122). Läßt ein Vorbehalt wie im vorliegenden Fall mehrere Auslegungen zu, so muß sich die Verwaltung diejenige Auslegung entgegenhalten lassen, die der Leistungsempfänger vernünftigerweise zugrundelegen darf, ohne die Unbestimmtheit oder Unvollständigkeit des Bescheides willkürlich zu seinen Gunsten auszunutzen (BSG aaO). Hiernach könnte sich die Klägerin bereits mit Erfolg darauf berufen, daß sich die Beklagte für den Fall einer Änderung der maßgebenden Verhältnisse nur die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung vorbehalten hat, eine Regelung, die wegen § 151 Abs. 1 AFG im übrigen überflüssig gewesen wäre (vgl. BSGE 37, 155, 158).

Letztlich kommt es aber auf die inhaltliche Qualifizierung des Vorbehalts nicht an; denn auch ein ausdrücklicher Vorbehalt der Rückforderung von Leistungen wäre hier rechtsunwirksam. Daß Bescheide über einen Leistungsanspruch weder allgemein mit einem Vorbehalt versehen werden dürfen noch unterstellt werden kann, daß sie stets unter Vorbehalt erteilt werden, hat das BSG für den Bereich der Kriegsopferversorgung bereits hervorgehoben (vgl. SozR Nr. 6 zu § 65 BVG). Entsprechendes gilt für die Ausbildungsförderung der Beklagten. Zwar hat der erkennende Senat durch Urteil vom 19. März 1974, auf das die Beklagte verwiesen hat, ausgeführt, daß die Erstattung von verauslagten Schlechtwettergeldbeträgen von dem Vorbehalt der Rückforderung für den Fall abhängig gemacht werden kann, daß die nachträgliche Überprüfung das Fehlen von Anspruchsvoraussetzungen ergeben sollte (vgl. BSGE 37, 155 = SozR 4600 § 143 f Nr. 1). Die Beklagte übersieht jedoch, daß sich diese Rechtsprechung des Senats nur auf solche Fälle bezieht, in denen das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen bei der Entscheidung über den Antrag noch nicht abschließend beurteilt werden kann, ein Interesse des Berechtigten an alsbaldiger Entscheidung besteht und infolgedessen nur auf diese Weise künftig ungewissen Umständen Rechnung getragen werden kann (vgl. BSG aaO mit weiteren Nachweisen). Die Beklagte hat die Rechtsprechung des Senats mißverstanden, wenn sie meint, bereits die bloße Möglichkeit einer denkbaren späteren Änderung der bei Bewilligung einer Leistung bereits vollständig vorliegenden Anspruchsvoraussetzungen berechtige sie zum Vorbehalt einer Rückforderung. Dies würde dazu führen, daß sich die Beklagte praktisch die Rückforderung jeder Leistung vorbehalten dürfte; denn jeder Sachverhalt, der zu einem Leistungsanspruch gegen die Beklagte führt, kann sich in einer den Anspruch berührenden Weise verändern. Für die Regelung des § 152 AFG bliebe danach kein Raum mehr, sie wäre überflüssig. Würde nicht schon die vom Senat bereits bestätigte Auffassung von der grundsätzlichen Bedingungsfeindlichkeit begünstigender Verwaltungsakte, die als Ausfluß einer generellen Pflicht der Verwaltung zum rechtsstaatlichen Handeln ergehen, der Rechtsansicht der Beklagten entgegenstehen (vgl. BSGE 37, 155, 159) wäre sie allein durch die in § 152 AFG getroffene Regelung widerlegt. § 152 AFG ist das Korrektiv zu § 151 Abs. 1 AFG, der der Beklagten ein praktisch unbegrenztes Recht zum Eingriff in die Bestandskraft begünstigender Verwaltungsakte gibt. Die Vorschrift des § 152 AFG dient demgegenüber zur Sicherung des Vertrauensschutzes des Betroffenen in das Wirksambleiben von Regelungen der Verwaltung und grenzt abschließend den Bereich ein, in dem dieses Vertrauen nicht mehr geschützt ist. Diese Regelung ist deshalb eng auszulegen. Ein darüber hinausgehendes Rückforderungsrecht der Beklagten mit Hilfe eines entsprechenden Vorbehalts kann infolgedessen nur ausnahmsweise und nur dort anerkannt werden, wo die Anspruchsvoraussetzungen bei der Entscheidung über den Anspruch eben noch nicht in der für eine abschließende Beurteilung ausreichenden Weise vorliegen, die dafür erforderlichen Tatsachen noch unvollkommen oder ungeprüft sind, die Verwaltung aber im wohlverstandenen Interesse des Begünstigten Leistungen bereits erbringen will und darf. Gerade einen solchen Sachverhalt hat der Senat für den Fall angenommen, daß die Beklagte dem Arbeitgeber von ihm verauslagte Schlechtwettergeldleistungen erstattet, bevor sie die Berechtigung des Anspruchs durch Überprüfung der betrieblichen Unterlagen feststellen konnte. Ein ähnlicher Fall mag - wie bei allen übrigen Leistungen der Beklagten - auch im Bereich der BAB denkbar sein. Er ist aber dann nicht gegeben, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über einen Antrag alle für die gegenwärtige Leistung erforderlichen Sachumstände festgestellt sind, die den Anspruch begründen. Ob sich die Beklagte dann die Rückforderung vorbehalten darf, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung konkrete Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, daß sich an den Anspruchsvoraussetzungen später etwas ändern könnte, bleibt offen. Das LSG hat nichts dazu festgestellt, und die Beklagte hat dies nicht einmal behauptet, daß der von der Klägerin vorgenommene Lehrstellenwechsel bei Bewilligung oder Weiterbewilligung der BAB auch nur andeutungsweise bereits beabsichtigt war. Die bloße Möglichkeit einer Änderung der Verhältnisse, für die im Zeitpunkt der Entscheidung noch keine Anhaltspunkte erkennbar sind, läßt einen Vorbehalt der Rückforderung jedenfalls nicht zu.

Wenn die Beklagte demgegenüber einwendet, sie müßte ohne das Recht zum Vorbehalt der Rückforderung vom Leistungsempfänger monatlich den Nachweis des Fortbestehens der Anspruchsvoraussetzung verlangen, so ist das eine Entscheidung, die sie im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens bei der Ausgestaltung ihres Verwaltungsverfahrens unter Berücksichtigung der geltenden gesetzlichen Bestimmungen zu treffen hat. Für die Frage der Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsvorbehalts ist diese Erwägung jedenfalls nicht erheblich.

Die Revision der Beklagten ist nach allem als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 184

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