Entscheidungsstichwort (Thema)
Heranziehung zur Lotteriesteuer für die öffentliche Veranstaltung eines rouletteartigen Kugelspiels
Leitsatz (amtlich)
a) An dem Verfahren vor dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes ist, wenn der anrufende Senat in einer Rechtsfrage von Entscheidungen mehrerer oberster Gerichtshöfe des Bundes abweichen will, außer dem anrufenden Senat nur der Senat beteiligt, der von allen divergierenden Senaten die Rechtsfrage als letzter entschieden hat.
b) Auch wenn eine Rechtsfrage in verschiedenen Gesetzen geregelt ist, kann es sich um dieselbe Rechtsfrage im Sinne des § 2 Abs. 1 RsprEinhG handeln.
c) Ein oberster Gerichtshof des Bundes ist, wenn er seine der Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung inzwischen geändert hat und erneut mit derselben Sache befaßt wird, an seine zunächst vertretene Rechtsauffassung nicht gebunden.
Normenkette
RsprEinhG v. 19. Juni 1968, BGBl I 661, § 2; RsprEinhG v. 19. Juni 1968, BGBl I 661, § 4 Abs. 1 S. 3; ZPO § 565 Abs. 2; ArbGG § 72 Abs. 3; FGO § 126 Abs. 5; SGG § 170 Abs. 4; VwGO § 144 Abs. 6
Tenor
Ein Oberster Gerichtshof des Bundes ist, wenn er seine der Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung inzwischen geändert hat und erneut mit derselben Sache befaßt wird, an seine zunächst vertretene Rechtsauffassung nicht gebunden.
Gründe
1. Der Kläger hat öffentlich ein rouletteartiges Kugelspiel veranstaltet. Er wurde vom Finanzamt (FA) zur Lotteriesteuer herangezogen. Sein Einspruch blieb erfolglos. Die Berufung des Klägers führte zu einer Steuerherabsetzung durch das Finanzgericht (FG). Auf die Rechtsbeschwerde beider Parteien hob der 2. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) durch Urteil vom 8. Juni 1961 dieses Urteil auf und verwies die Sache an das FG mit der Begründung zurück, das vom Kläger veranstaltete rouletteartige Kugelspiel unterliege der Lotteriesteuer. Der 2. Senat des BFH hat nachträglich in dem eine andere Sache betreffenden Urteil vom 10. Juli 1968 – abweichend von dem Urteil vom 8. Juni 1961 – entschieden, daß Spiele, deren Charakter sich als Glücksspiel nur aus einer Ähnlichkeit mit dem Roulettespiel ergibt, nicht der Lotteriesteuer unterliegen. An dieser Auffassung möchte der 2. Senat des BFH an sich auch in der ersten Sache, nachdem er mit dieser erneut befaßt ist, festhalten, sieht sich jedoch daran gehindert, weil er nach seiner Ansicht an die der Zurückverweisung zugrunde liegende entgegengesetzte Rechtsauffassung in der Entscheidung vom 8. Juni 1961 gebunden ist. Allerdings würde er, wenn er sich trotz seiner inzwischen geänderten Rechtsprechung an die alte Rechtsauffassung halten würde, von den Urteilen des 1. Senats des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 27. März 1958, des 7. Senats des BVerwG vom 11. Juli 1958 und dem Urteil des 5. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14. März 1968 ebenso abweichen wie von dem Urteil des 3. Senats des BFH vom 23. August 1963. Er hat wegen der Abweichung von der letzteren Entscheidung dem Großen Senat des BFH die Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt, ob er im zweiten Rechtsgang das Urteil eines FG aufheben darf, wenn und soweit dieses an die der Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung gebunden war und diese Bindung auch beachtet hat.
Der Große Senat des BFH beabsichtigt, die vorgelegte Rechtsfrage zu verneinen, sieht sich aber durch die Entscheidungen des BVerwG und des BSG hieran gehindert, nachdem diese Senate erklärt haben, daß sie an ihrer Rechtsauffassung festhalten. Er hat daher folgende Rechtsfrage dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GemS) durch Beschluß vom 17. Januar 1972 nach §§ 2, 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 – RSprEinhG – (BGBl I 661) zur Entscheidung vorgelegt:
„Darf ein oberster Gerichtshof des Bundes, wenn er seine Rechtsauffassung geändert hat, im zweiten Rechtsgang das Urteil der Vorinstanz aus Gründen aufheben, die der rechtlichen Beurteilung widersprechen, welche er im ersten Rechtsgang der Aufhebung und Zurückverweisung zugrunde gelegt hatte?”
2. Die Voraussetzungen des § 2 RSprEinhG für die Vorlage an den GemS sind gegeben.
Die Rechtsfrage, in der der vorlegende Große Senat des BFH von den Entscheidungen des 1. und 7. Senats des BVerwG und des 5. Senats des BSG abweichen will, ist für die Entscheidung des bei dem BFH anhängigen Rechtsstreits erheblich.
Auch handelt es sich bei der von dem 1. und 7. Senat des BVerwG und dem 5. Senat des BSG entschiedenen und bei der von dem Großen Senat des BFH zu entscheidenden Rechtsfrage, ob ein oberster Gerichtshof des Bundes, der seine der Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung inzwischen geändert hat und erneut mit derselben Sache befaßt wird, an die zunächst vertretene Rechtsauffassung gebunden ist, um dieselbe Rechtsfrage im Sinne des § 2 RSprEinhG. Hierfür spricht nicht nur der im wesentlichen übereinstimmende Wortlaut der entsprechenden Verfahrensvorschr...