Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Anordnungsanspruch. Anordnungsgrund. Aufschiebende Wirkung. Widerspruch. Bewilligungsbescheid. Verpflichtung zur Leistungsgewährung. Grundsicherungsleistungen. Sicherung des Lebensunterhalts im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung. Gewöhnlicher Aufenthalt. Gewährung von Leistungen in das Ausland. Rückkehr ins Inland. Außergewöhnliche Notlage. Klimatherapie
Leitsatz (redaktionell)
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen einen die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen aufhebenden Bescheid hat zur Folge, dass Leistungen entsprechend des ursprünglichen Bewilligungsbescheids weiter zu erbringen sind. Verweigert eine Behörde in Verkennung dieser Rechtslage die Gewährung von Leistungen, kann das Gericht zur Klarstellung und Verdeutlichung der Rechtslage die Behörde zur Leistungsgewährung verpflichten.
Normenkette
SGG § 86b Abs. 2; SGB XII § 41 Abs. 1, § 24 Abs. 1, § 94 Abs. 1, § 132 Abs. 1; SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; BSGH § 147b
Verfahrensgang
SG Wiesbaden (Beschluss vom 07.02.2006; Aktenzeichen S 18 SO 7/06 ER) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII für die Zeit vom 1. September 2005 bis 31. Dezember 2005 zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Februar 2006 zurückgewiesen.
III. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Weitergewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII).
Der im Jahre 1937 geborene Antragsteller ist mit einem Grad der Behinderung von 100 schwerbehindert; außerdem hat das Hessische Amt für Versorgung und Soziales A-Stadt durch Bescheid vom 6. März 2002 die Merkzeichen „B” und „G” festgestellt. Dabei sind folgende Beeinträchtigungen des Antragstellers berücksichtigt worden:
- Obere Armplexuslähmung, Verschleißerscheinungen des rechten Schultergelenkes
- Operative Versteifung der linken Schulter nach Poliomyelitis und Oberarmbruch, Lähmung der Schultermuskulatur, Längenverkürzung des linken Armes, Bewegungsminderung des linken Ellenbogengelenkes bei Kapselschrumpfung
- Wirbelsäulenschaden
- Bewegungsminderung und Sekundärarthrose des linken Sprunggelenks nach operiertem Knöchelbruch
- Kniebeschwerden rechts, Blutumlaufstörungen beider Beine
- Leberschaden
- Diabetes mellitus.
Bis zum 31. Dezember 2002 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Sozialhilfeleistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), danach Grundsicherungsleistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) und ab dem 1. Januar 2005 Grundsicherungsleistungen nach den §§ 42 ff. SGB XII. Diese Leistungen bewilligte die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 4. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2005 in Höhe von monatlich 1008,39 EUR.
Mit Schreiben vom 6. Juli 2005 wies der Antragsteller die Antragsgegnerin darauf hin, dass ihm Ärzte für Orthopädie und Dermatologie attestiert hätten, dass mit einem Klimawechsel von ihm ständig einzunehmende Medikamente und Salben verringert werden könnten; die zuständige Krankenkasse habe ihr Einverständnis signalisiert. Bekannte und Freunde seien bei der Beschaffung eines geeigneten Zielortes im europäischen Ausland behilflich. Die Antragsgegnerin erklärte daraufhin durch Schreiben vom 9. Juni 2005, bei Urlaub, Krankenhausaufenthalten und ähnlichem bis zu vier Wochen würden die Leistungen nach dem SGB XII ungekürzt weiter gezahlt. Mit Schreiben vom 20. Juni 2005 teilte der Antragsteller daraufhin mit, er werde selbstverständlich mit Hauptwohnsitz weiterhin unter seiner in A-Stadt bestehenden Wohnung gemeldet bleiben. Auch seine Postanschrift bleibe erhalten, da er mit einem Wohnungsinhaber unter dieser Adresse eine Wohngemeinschaft gegründet habe. Wie lange er außerhalb Deutschlands sich aufhalten müsse, würden die Fachärzte vor Ort entscheiden, bei denen er weiterhin in Behandlung stehe. Mit anwaltlichem Schreiben vom 4. August 2005 ließ der Antragsteller sodann vortragen, dass er sich ab dem 1. August 2005 im Ausland befinde. Tatsächlich hält sich der Antragsteller seit dem 31. Juli 2005 auf Gran Canaria auf.
Durch Bescheid vom 12. Dezember 2005 verfügte die Antragsgegnerin die Einstellung der Grundsicherungsleistungen ab 1. September 2005. Der Antragsteller halte sich seit dem 1. August 2005 im Ausland auf. Die Leistungen seien zum 1. September 2005 eingestellt worden, weil gemäß § 41 Abs. 1 S. 1 SGB XII Leistungsberechtigte nur dann einen Anspruch auf Grundsicherung hätten, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründeten.
Auf den am 12. Januar 2006 beim Sozialgericht Wiesbaden (SG) eingegangenen Antrag, die Antragsge...