Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Antragsablehnung durch örtlich unzuständiges Sozialgericht. Verweisung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Sozialgericht hat vor der Entscheidung über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe von Amts wegen seine Zuständigkeit zu prüfen. Wird die örtliche Unzuständigkeit des Sozialgerichts erst bekannt, nachdem eine Ablehnung der Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten in der Sache stattgefunden hat, so ist der Beschluss auf zulässige Beschwerde des Antragstellers aufzuheben.
2. Die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag bleibt in diesen Fällen dem örtlich zuständigen Sozialgericht vorbehalten.
Orientierungssatz
Eine unmittelbare Verweisung des Prozesskostenhilfeverfahrens nach § 98 S 1 SGG iVm § 17a Abs 2 S 1 GVG ist nicht möglich, da die Vorschriften der §§ 17ff GVG auf ein isoliertes Verfahren der Prozesskostenhilfe nicht anwendbar sind (vgl OLG Karlsruhe vom 14.8.2007 - 19 W 16/07 = MDR 2007, 1390 und VGH Stuttgart vom 4.4.1995 - 9 S 701/95 = NJW 1995, 1915).
Normenkette
GVG § 17a Abs. 2 S. 1; SGG § 57 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, § 98 S. 1, § 73a Abs. 1 S. 1; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 3. April 2013 aufgehoben.
Eine Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe vom 12. November 2012 bleibt dem örtlich zuständigen Sozialgericht vorbehalten.
Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht.
Am 12. November 2012 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben, mit der sie einen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Weiterbildung zur Lehrerin für Pflegeberufe, zur Berufspädagogin bzw. Heilpädagogin gegenüber der Beklagten weiter verfolgt. In der Klageschrift, die zugleich einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe enthielt, gab der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ihre Adresse mit “Gambacher Weg 4, 35510 Butzbach„ an. Diese Adresse wurde von der Klägerin ebenfalls im Vordruck zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, datiert auf den 12. November 2012, genannt.
Mit Beschluss vom 3. April 2013 lehnte das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage ab. Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 8. April 2013 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 2. Mai 2013 Beschwerde vor dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Im Rahmen der Sachverhaltsermittlung forderte das Gericht die Klägerin auf, weitere Angaben zu ihren finanziellen Verhältnissen zu machen, insbesondere zu Konten und den Wohnkosten. Die Klägerin legte daraufhin einen Bescheid über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch (SGB II) des Landratsamtes Würzburg, Jobcenter des Landkreises Würzburg, vom 25. April 2013 für den Bewilligungszeitraum ab dem 1. Mai 2013 vor. Der Bescheid ist an die Klägerin unter der Adresse “Adenauerstr. 3, A-Stadt„ adressiert. Auf Nachfrage des Gerichts teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 11. Juli 2013 mit, die Klägerin habe sich von ihrem Ehemann getrennt und wohne nicht mehr unter der Adresse “Gambacher Weg 4, 35510 Butzbach„ sondern unter der Adresse “Adenauerstr. 3, A-Stadt„. Auf weitere Nachfrage des Gerichts teilte der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 17. September 2013 mit, die Klägerin wohne seit dem 1. November 2012 in A-Stadt.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 3. April 2013 aufzuheben und der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte S 19 R 460/12 und der Beschwerdeakte Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und teilweise begründet.
Nach § 114 Zivilprozessordnung (ZPO), der im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß § 73a SGG entsprechend gilt, erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Der unbestimmte Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht ist dabei verfassungskonform auszulegen, um eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes zu ermöglichen (st. Rspr. Des BVerfG: BVerfG vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 - BVerfGE 81, 347; BVerfG vom 2. Juli 2012 - 2 BvR 2377/10 m. w. N....