Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. chronisch Kranker. Zuzahlungspflicht bei lebensnotwendigen Arzneimitteln. Härtefallregelungen. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Das Fehlen von Ausnahmetatbeständen für lebensnotwendige Arzneimittel bei chronischen Erkrankungen verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG (vgl BSG vom 9.6.1998 - B 1 KR 17/96 R = SozR 3-2500 § 61 Nr 7).
2. Aus dem Diskriminierungsverbot des Art 3 Abs 3 S 2 GG können keine verfassungsunmittelbaren Leistungsansprüche abgeleitet werden. Dieses ist vielmehr ein grundrechtliches Abwehrrecht, dessen Aktualisierung dem Gesetzgeber obliegt.
Verfahrensgang
SG Darmstadt (Urteil vom 10.06.1999; Aktenzeichen S 10 KR 1859/96) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. Juni 1999 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über Zuzahlungen zu Arzneimitteln und anderen Leistungen sowie die Erstattung bereits erbrachter Zahlungen.
Der 1948 geborene Kläger ist als Rentner bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet seit 1984 an Morbus Parkinson und ist als Behinderter mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt. Infolge seiner Erkrankung benötigt er regelmäßig verschiedene Medikamente, Krankengymnastik und Massagen. Ferner sind stationäre Aufenthalte in Fachkliniken erforderlich.
Am 22. Juli 1996 wandte sich der Kläger an die Beklagte und beantragte die Erstattung von 1995 und 1996 bisher geleisteten Zuzahlungen für Medikamente und sonstige Leistungen sowie zukünftig eine Freistellung von Zuzahlungen. Die gesetzlichen Bestimmungen benachteiligten ihn als chronisch Kranken gegenüber den sonstigen Versicherten. Dies verstoße gegen Verfassungsrecht, da niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden dürfe.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14. August 1996 ab, da der Kläger nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht unzumutbar belastet sei. Unter Beifügung eines Antragsformulars wies sie ferner auf die Möglichkeit der teilweisen Befreiung von Zuzahlungen hin.
Hiergegen legte der Kläger am 26. August 1996 Widerspruch ein und vertrat die Auffassung, dass gesetzliche Bestimmungen, die zu vermeidbaren rechtlichen, hier finanziellen, Benachteiligungen von Behinderten führten, grundgesetzwidrig seien. Einen Antrag auf Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen eines Härtefalles stellte der Kläger nicht.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 1996 zurück. Durch die gesetzlichen Bestimmungen werde auf die finanziellen Belastungen chronisch Kranker und Behinderter in ausreichendem Maße Rücksicht genommen.
Am 4. November 1996 hat der Kläger beim Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben. Die gesetzlichen Bestimmungen des Krankenversicherungsrechts verstießen seit der Verfassungsänderung im Herbst 1994 gegen das grundgesetzliche Benachteiligungsverbot für Behinderte. Auch die von der Beklagten ständig geforderten Nachweise über Einkommensverhältnisse stellten eine verfassungswidrige Benachteiligung dar. Er wehre sich mit Entschiedenheit dagegen, als “Härtefall" behandelt zu werden. Es ginge ihm nicht um eine “mildtätige Behandlung", sondern um die Inanspruchnahme eines Grundrechts.
Durch Urteil vom 10. Juni 1999 hat das Sozialgericht Darmstadt die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass die angefochtenen Bescheide zu Recht ergangen seien. Die gesetzlichen Bestimmungen sähen für Arzneimittel, Heilmittel und stationäre Behandlungen eine Beteiligung der Versicherten an den Kosten durch Zuzahlungen vor. Eine vollständige oder teilweise Befreiung hiervon sei nur unter Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse des Versicherten und seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen nach Maßgabe der hierfür geltenden Voraussetzungen möglich. Dass der Kläger zu diesem Personenkreis gehöre, habe er mangels entsprechender Antragstellung nicht nachgewiesen. Die Bestimmungen über Zuzahlungen seien im Anschluss an die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung, die zitiert wird, auch nicht verfassungswidrig.
Gegen dieses dem Prozeßbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 19. Juli 1999 zugestellte Urteil richtet sich die mit Schriftsatz vom 30. Juli 1999 - eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt am 5. August 1999 - eingelegte Berufung, mit der sich der Kläger unter Wiederholung seines Rechtsstandpunktes gegen die getroffene Entscheidung des Sozialgerichts wendet. Das Sozialgericht habe sich nicht in ausreichendem Maße mit der Situation eines chronisch Kranken auseinander gesetzt, ebenso wie das Bundessozialgericht, das die Bedeutung der neu eingefügten Grundrechtsnorm nicht erkannt bzw. ihr keinerlei Bedeutung zugemessen habe. Die Verpflichtung chronisch Kranker, sich an den Kosten der Behandlung durch Zuzahlungen zu beteiligen, sei eine “Benachteiligung we...