Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindererziehungszeit. Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung. Bereitschaftspflege. Dauerpflege
Leitsatz (amtlich)
Wird ein Kind zur Bereitschaftspflege in eine Pflegefamilie gegeben, handelt es sich - unabhängig der sich rückschauend ergebenden Dauer - niemals um ein Pflegeverhältnis iS des § 56 Abs 2 Nr 2 SGB 1. Die Anerkennung einer Kindererziehungszeit und Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung scheidet daher aus. Etwas anderes kann sich nur dann ergeben, wenn die Bereitschaftspflege in eine Dauerpflege umgewandelt wird. Denn dann findet formal wie auch vom zeitlichen Ansatz her eine Zäsur insoweit statt, als für alle Beteiligten klar eine längere und nicht mehr ad hoc beendbare Betreuung des Kindes stattfinden soll. Ab dem Zeitpunkt der Änderung (und nicht rückwirkend ab Beginn der familiären Bereitschaftspflege) kann in einem solchen Fall bei Vorliegen aller sonstigen Voraussetzungen vom Bestehen eines Pflegekindschaftsverhältnisses iS der Rentenversicherung ausgegangen werden.
Orientierungssatz
1. Für die Annahme einer längeren Dauer des Pflegeverhältnisses iS des § 56 Abs 2 Nr 2 SGB 1 ist es nicht erforderlich, dass es auf unabsehbare Zeit oder gar bis zur Volljährigkeit begründet sein muss. Ausreichend ist es insoweit, wenn es für einen Zeitraum begründet wird, der einen für die körperliche und geistige Entwicklung des Pflegekindes erheblichen Zeitraum umfasst.
2. Bei der Begründung eines Pflegeverhältnisses im Säuglingsalter ist dafür ein Zeitraum von etwa drei Jahren ausreichend. Denn innerhalb der ersten drei Lebensjahre entwickelt sich ein Kind typischerweise so weit, dass es aus der ständigen häuslichen Betreuung entlassen werden und zB in den Kindergarten gehen kann (vgl BSG vom 23.4.1992 - 5 RJ 70/90 = SozR 3-1200 § 56 Nr 5).
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 3. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Vormerkung weiterer Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.
Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens beantragte die 1968 geborene Klägerin im November 2010 die Feststellung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für
C. (geb. xx. November 2008)
für die Zeit vom 14. Januar 2009 bis 10. Juli 2010
und
D. (geb. xx. April 2008)
vom 19. Juni 2009 bis 30. Dezember 2009
sowie für
E. (geb. xx. April 2007)
für die Zeit ab dem 26. März 2010 bis auf Weiteres.
Ergänzend führte sie unter Beifügung einer Bescheinigung des Kreises Offenbach, Fachdienst Jugend und Soziales, Adoptions- und Pflegekinderdienst vom 19. November 2010 aus, dass sie die Kinder C. und D. in den geltend gemachten Zeiten jeweils nach Inobhutnahme durch das Jugendamt in Bereitschaftspflege betreut habe.
Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Februar 2011 ab. In ihrem Widerspruch hiergegen versicherte die Klägerin, dass sie die Kinder in der Zeit, in der sie bei ihr gelebt hätten, sehr wohl erzogen habe. Es hätten Pflegekindschaftsverhältnisse bestanden. Sie sei seitens des Kreisjugendamtes Offenbach mit der Pflege von in Obhut genommener Kinder offiziell beauftragt worden. Eine Erziehung von über einem Jahr bzw. anderthalb Jahren sei keine “Kurzzeitpflege„. Zur Stützung ihres Vorbringens fügte sie eine weitere Bescheinigung des Kreises Offenbach vom 7. Februar 2011 bei, in der ihr und auch ihrem Ehemann die Bereitschaftspflege zweier weiterer Kinder (E. und F.) bescheinigt worden war.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2011 unter zunächst ausführlicher Darstellung der rechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der geltend gemachten Zeiten zurück. Dazu führte sie aus, dass die Betreuung von Kindern in einer Pflegefamilie im Rahmen einer kurzzeitigen Vollzeitpflege, einer Interims-Vollzeit-Pflege oder einer familiären Übergangs-Bereitschaftspflege die Kriterien eines Pflegekindschaftsverhältnisses im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich nicht erfülle. Es handele sich um eine von vornherein zeitlich begrenzte und damit nur vorübergehende Unterbringung von Kindern in Pflegefamilien, bis die Rückführung in die eigene Familie erfolge oder über Folgehilfe entschieden werden könne. Auch wenn die Dauer der Unterbringung nicht in allen Fällen absehbar und damit auch ein dauerhafter Verbleib des Kindes bei den Pflegeeltern nicht ausgeschlossen sei, bleibe die Unterbringung jedoch zumindest zu Beginn von vorübergehender Natur. Werde das Pflegeverhältnis später in eine auf Dauer angelegte Vollzeitpflege erweitert, so könne ab dem Zeitpunkt der Änderung (und nicht rückwirkend z. B. ab Beginn der familiären Bereitschaftspflege) bei Vorliegen aller sonstigen Voraussetzungen vom Bestehen eines Pflegekindschaftsverhältnisses im Sinne der Rentenversicherung ausgegangen werden. Die Kinder C. und D. seien ...