Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterzahlung einer Regelaltersrente bei ungeklärtem Weiterleben des Versicherten
Orientierungssatz
1. Nach § 102 Abs. 5 SGB 6 wird eine Rente bis zum Ende des Kalendermonats geleistet, in dem der Berechtigte gestorben ist. Die Rente endet kraft Gesetzes; eines Entziehungsbescheides bedarf es nicht.
2. Nur bei verschollenen Ehegatten, geschiedenen Ehegatten oder Elternteilen kann der Rentenversicherungsträger nach § 49 S. 3 SGB 6 den für die Rentenleistung nach den Umständen maßgeblichen Todestag feststellen. Dies gilt nicht für die Altersrente als eigene Rente des Versicherten.
3. Für diesen ist auch eine analoge Anwendung des § 49 SGB 6 ausgeschlossen. Der Regelungsgehalt des § 49 SGB 6 erstreckt sich nicht auf die Altersrente. Bei Zahlung der Versichertenrente ist der Rentenversicherungsträger nicht berechtigt, den Todestag des Versicherten eigenständig festzustellen.
4. Eine Analogie ist insbesondere deshalb ausgeschlossen, weil § 49 SGB 6 eine anspruchsbegründende Norm und damit eine begünstigende Regelung darstellt, die nicht analog auf die Entziehung der Leistung i. S. einer belastenden Regelung umgedeutet werden kann.
5. In einem solchen Fall hat der Rentenversicherungsträger die Frist des § 3 VerschG abzuwarten, um im Aufgebotsverfahren den Tod feststellen zu lassen und damit die Voraussetzungen für eine Zahlungseinstellung nach § 102 Abs. 5 SGB 6 zu schaffen.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 3. Mai 2005 sowie der Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2004 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen des Klägers zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Einstellung der gezahlten Regelaltersrente mit Ablauf des 30. November 2003.
Der Kläger, geboren 1927, ist seit dem 11. Juli 2001 als vermisst gemeldet. Er verließ unbemerkt die Psychiatrische Klinik E-Stadt, wo er sich seit dem 18. Juni 2001 wegen einer fortgeschrittenen Alzheimer-Erkrankung mit Verdacht auf Demenz bei zeitlicher und örtlicher Desorientierung aufhielt. Darüber hinaus wurde er wegen einer labilen Hypertonie medikamentös behandelt. Trotz intensiver Fahndung konnte der Kläger nicht aufgefunden werden. Die polizeilichen Ermittlungen wurden daraufhin eingestellt.
Der Kläger wird aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Fürth/Odenwald vom 25. Oktober 2002 durch den Abwesenheitspfleger C., den Ehemann seiner Stieftochter, vertreten. Der ursprünglich auf die Verwaltung des dem Kläger gehörenden Grundbesitzes in F-Stadt beschränkte Wirkungskreis des Pflegers wurde durch weitere Beschlüsse des Amtsgerichts Fürth/Odenwald vom 27. November 2002 und 16. März 2003 um die Veräußerung und Behördenangelegenheiten erweitert.
Im Dezember 2002 verstarb die Ehefrau des Klägers. Daraufhin meldete der Abwesenheitspfleger den Kläger im März 2003 von seinem ursprünglichen Wohnort in F-Stadt auf seinen eigenen Wohnsitz um. Darüber hinaus beantragte er für den Kläger bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen (vormals Landesversicherungsanstalt Hessen) die Gewährung einer Witwerrente. Durch den Hinterbliebenenrentenantrag auf den Sachverhalt aufmerksam geworden, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Oktober 2003 die Zahlung der Regelaltersrente zum Ablauf des Monats November 2003 ein. Die Deutsche Rentenversicherung Hessen lehnte mit Bescheid vom 17. November 2003 die Gewährung von Witwerrente ab mit der Begründung, es sei nicht erwiesen, dass der Verschollene zum Zeitpunkt des Todes der Versicherten noch gelebt habe.
Dem Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2003 widersprach der Abwesenheitspfleger mit der Begründung, der Kläger werde statistisch gesehen noch als lebend angesehen und müsse für all seine Verpflichtungen aufkommen. Es gehe noch öfter amtliche Post für ihn ein. Darüber hinaus fielen Kosten für seine Immobilie in F-Stadt an.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Gesamtumstände den Tod des Versicherten wahrscheinlich machten. Es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, wenn sich ein Rentenbezieher in diesem Alter ohne jegliche soziale Absicherung aus seinem bisherigen Lebensbereich entferne, um sich anderswo niederzulassen, und dabei auf die ihm zustehende Rentenzahlung verzichte. In entsprechender Anwendung von § 49 SGB VI werde daher der Todestag auf den 11. Juli 2001 festgestellt. Der Anspruch auf Versichertenrente entfalle daher mit Ablauf des Monats Juli 2001. Die Rentenzahlung werde zum 30. November 2003 vorläufig eingestellt.
Hiergegen richtete sich die bei dem Sozialgericht Köln am 26. April 2004 eingegangene Klage, die durch Beschluss vom 13. Mai 2004 zuständigkeitshalber an das Sozialgericht Darmstadt verwiesen worden ist. Klägerseits wurde die Auffassung vertreten, dass die Regelung des § 49 SGB VI keine Rechtsgrundlage biete, um d...