Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Anspruchs des Vertragsarztes auf Verlegung seines Vertragsarztsitzes
Orientierungssatz
1. Nach § 24 Abs. 7 S. 1 Ärzte-ZV darf der Zulassungsausschuss den Antrag eines Vertragsarztes auf Verlegung seines Vertragsarztsitzes nur genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen. Die Vorschrift stellt ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt dar. Bei der Verlegung eines Vertragsarztsitzes handelt es sich um ein generell zulässiges, dem Schutz der Berufsfreiheit durch Art. 12 Abs. 1 GG unterfallendes Verhalten.
2. Gründe der vertragsärztlichen Versorgung i. S. von § 27 Abs. 4 S. 1 Ärzte-ZV sind allein planerische, die Sicherstellung der Patientenversorgung betreffende Umstände.
3. Die gerichtliche Kontrolle des den Zulassungsgremien eingeräumten Beurteilungsspielraums beschränkt sich darauf, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Grenzen der Auslegung eingehalten und die zu treffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (BSG Urteil vom 3. 8. 2016, B 6 KA 31/15 R).
4. Ist der Zulassungsausschuss bei seiner Entscheidung von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen oder hat er diesen nur unzureichend ermittelt, so ist die ergangene Entscheidung des Zulassungsausschusses aufzuheben.
5. Gesichtspunkte der vertragsärztlichen Versorgung sind grundsätzlich vorrangig. Soweit Versorgungsgesichtspunkte gegen eine Verlegung sprechen, haben im Regelfall die individuellen Gründe für die Verlegung zurückzutreten.
6. Das legitime Interesse, in größtmöglicher Nähe zum Wohnort die vertragsärztliche Tätigkeit auszuüben, hat gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer regional gleichmäßigen Versorgung nur eine untergeordnete Bedeutung.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 11. Januar 2017 und der Beschluss des Beklagten vom 23. März 2016 aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) bis 7) sind nicht erstattungsfähig.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Verlegung des Vertragsarztsitzes der Klägerin von C-Stadt nach A-Stadt.
Die Klägerin ist Kinder- und Jugendlichen- und Psychologische Psychotherapeutin. Sie wurde zunächst als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin mit Praxissitz in D-Stadt, D-Straße, im Wege der Sonderbedarfszulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen (Beschluss des Beklagten vom 22. Oktober 2008 aufgrund des Widerspruchs der Klägerin gegen den ablehnenden Beschluss des Zulassungsausschusses/Psychotherapie bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen vom 13. September 2007). Sie besitzt die Anerkennung für das Richtlinienverfahren Verhaltenstherapie. Den Sitz verlegte sie nach A-Stadt, E-Straße (Beschluss des Zulassungsausschusses vom 14. Juni 2012). In der Antragsbegründung zur Praxisverlegung hatte sie darauf hingewiesen, sie habe nunmehr Räumlichkeiten auf dem eigenen Grundstück zur Verfügung. Der Zulassungsausschuss Psychotherapie ließ sie mit Beschluss vom 18. Juni 2015 im Wege der Nachfolgezulassung als Psychologische Psychotherapeutin für den Praxissitz C-Stadt, F-Straße mit hälftigem Versorgungsauftrag zu, worauf die Klägerin auf einen hälftigen Versorgungsauftrag als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin mit Praxissitz in A-Stadt verzichtete.
Die Klägerin beantragte am 9. Januar 2015 die Verlegung des Vertragspsychotherapeutensitzes mit hälftigem Versorgungsauftrag als Psychologische Psychotherapeutin von C-Stadt, F-Straße nach A-Stadt, E-Straße.
Die Beigeladene zu 1) empfahl unter Datum vom 11. Juni 2015, den Antrag abzulehnen. Beide Standorte seien ca. 19 km entfernt. Der Planungsbereich Hochtaunuskreis sei mit 323,78 % überversorgt. Im Planungsbereich Hochtaunuskreis mit 229.167 Einwohnern seien 127 Psychotherapeuten mit 97,3 Versorgungsaufträgen zugelassen. Es handele sich um 18 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, 87 Psychologische Psychotherapeuten, fünf Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, zehn psychotherapeutisch tätige Ärzte und sieben Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin. Die psychotherapeutischen Praxen konzentrierten sich überwiegend auf den Vordertaunus mit den Städten A-Stadt, D-Stadt, Oberursel, Kronberg und Königstein. In C-Stadt selbst seien derzeit - einschl. der Klägerin - zwei Psychologische Psychotherapeuten und ein Facharzt für Psychosomatische Medizin mit insgesamt 2,5 Versorgungsaufträgen niedergelassen. Eine Patientenanalyse der Praxis der Klägerin im Quartal III/14 habe ergeben, dass der Hauptteil der Patienten - ca. 63 % - aus C-Stadt und weiteren Orten aus dem Hintertaunus (Grävenwiesbach, Neu-Anspach, Schmitten und Usingen) stammten, ca. 11 % stammten aus d...