Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Befreiung von der Versicherungspflicht. approbierte Tierärztin. Tätigkeit als Teamleiterin für die Qualitätssicherung und Sicherheit bei der Herstellung von Blutgerinnungsmitteln in Form so genannter rekombinanter Blutgerinnungsfaktoren. Biotech Quality Team Lead/Gruppenleiterin Biotech Quality. Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung. Approbationspflichtige Tätigkeit
Orientierungssatz
Der Begriff der tierärztlichen Tätigkeit ist nicht mit einer approbationspflichtigen Tätigkeit gleichzusetzen. Sofern - wie hier - ein und dieselbe Erwerbstätigkeit zur Versicherungspflicht in beiden Sicherungssystemen führt, ist bereits damit der Anwendungsbereich von § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6 eröffnet (vgl BSG vom 3.4.2014 - B 5 RE 3/14 R = juris RdNr 25).
Normenkette
SGB VI § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 5 S. 1
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 19. Januar 2017 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht.
Die 1968 geborene Klägerin ist approbierte Tierärztin und seit dem 1. Mai 2013 Pflichtmitglied der Landestierärztekammer Hessen (Beigeladene zu 3.) und des Versorgungswerkes der Landestierärztekammer Hessen (Beigeladene zu 1.).
Die Beigeladene zu 2.) ist ein pharmazeutisches Unternehmen, produziert und vertreibt weltweit eine breite Palette von plasmabasierten und rekombinanten Therapeutika und hat sich auf die Herstellung und Entwicklung von Plasmaprotein-Biotherapeutika spezialisiert, die u.a. in den Indikationsgebieten Gerinnungsstörungen, Immundefekte, Wundheilung und Intensivmedizin eingesetzt werden.
Am 15. Januar 2013 schlossen die Klägerin und die Beigeladene zu 2.) einen Arbeitsvertrag. Danach war die Klägerin ab 1. Mai 2013 bei der Beigeladenen zu 2.) als Teamleiterin für die Qualitätssicherung und Sicherheit bei der Herstellung von Blutgerinnungsmitteln in Form so genannter rekombinanter Blutgerinnungsfaktoren beschäftigt ("Senior Manager, Biotech Quality Team Lead (Leitende Position im Qualitätsmanagement für Biotech Produkte", nachfolgende Funktionsbezeichnung: "Biotech Quality Team Lead/Gruppenleiterin Biotech Quality").
Der Klägerin obliegt es, die nationalen und europäischen Sicherheits- und Qualitätsstandards bei der Herstellung rekombinanter Blutgerinnungsfaktoren zu überwachen. Rekombinante Blutgerinnungsfaktoren sind gentechnologisch hergestellte Analoga von im menschlichen Blut vorkommenden Gerinnungsfaktoren. Die Herstellung rekombinanter Gerinnungsfaktoren erfolgt mit Zellen, denen das menschliche Gen für die Expression des entsprechenden Gerinnungsfaktors eingesetzt wurde. Besonders geeignet sind etwa Nierenzellen des Babyhamsters (BHK-21-Zellen) oder Ovarialzellen des chinesischen Hamsters (CHO-Zellen) (wikipedia).
Die Klägerin hat dabei im Einzelnen folgende Aufgaben:
- Sicherstellung von Qualität und Sicherheit der biotechnologischen Produkte zum Wohle der Patienten durch die Sicherstellung der "current Good Manufacturing Practices (cGMP)" und weiteren regulatorischen Anforderungen,
- Verbesserung und Nachverfolgung der "Corrective And Preventive Actions (CAPA)" im Rahmen des Qualitätsmanagementsystems für die biotechnologischen Produkte,
- Einführung und Überwachung qualitätsverbessernder Maßnahmen für die biotechnologischen Produkte innerhalb des Unternehmens und gemeinsam mit dritten Parteien,
- Unterstützung hinsichtlich Qualitäts- und Compliance-Aspekten für Projekte und Standorte, die biotechnologische Herstellungsverfahren zum Gegenstand haben,
- Überprüfung und Freigabe der chargenbezogenen Dokumentation im Einklang mit den nationalen und internationalen Anforderungen,
- Sicherstellung der Umsetzung von behördlichen Anforderungen und Industriestandards und konzerneigener Vorgaben im GMP-Bereich,
- Unterstützung von beauftragten Lohnherstellern (Contract Manufacturing Organisations, CMO) bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von behördlichen Inspektionen, ggf. auch direkte Interaktion mit den Inspektoren,
- Prüfung und Unterstützung von Anträgen auf Erteilung der arzneimittelrechtlichen Zulassung.
Die Tätigkeit der Klägerin umfasst neben der Gruppenleitung für die biotechnologischen Produkte insbesondere auch die Verantwortlichkeit für die generelle Sicherung der GMP (Good Manufacturing Practice)-Compliance, die qualitätssichernde Betreuung der zuständigen Bereiche durch adäquate und zeitgerechte Bearbeitung von Abweichungen und die Prüfung, Bewertung und Genehmigung von Änderungskontroll-, Qualifizierungs- und Validierungsdokumenten sowie die Leitung und Koordinierung von internen und standortübergreifenden Projekten. Im Rahmen der Qualitätssicherung der Klägerin steht der Schutz des Menschen vor Krankheitserregern, die ggf. von den eingesetzten tieri...