Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer dreijährigen Berufsausbildung aus der gesetzlichen Rentenversicherung. zweijährige Regelförderzeit. Abgrenzung zwischen Berufsausbildung und beruflicher Weiterbildung. Kostenerstattung nach rechtswidriger Leistungsablehnung. Ermessensreduzierung auf Null. Sozialgerichtsverfahren. Klagebefugnis im Rahmen einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage bei fehlender Verwaltungsentscheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Einem Kläger fehlt die Klagebefugnis, sofern er mit seiner kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage Sozialleistungen begehrt, über die der Sozialleistungsträger keine Verwaltungsentscheidung getroffen hat.
2. Einer Berufsausbildung als Teilhabeleistung steht die zweijährige Regelförderzeit des § 37 Abs 2 SGB IX aF (§ 53 Abs 2 SGB IX nF) nicht entgegen.
3. Die Abgrenzung zwischen Berufsausbildung und beruflicher Weiterbildung erfolgt auch im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung anhand der Kriterien, die für den Bereich des Arbeitsförderungsrechts entwickelt worden sind.
4. Das Ermessen des Versicherungsträgers bei der Auswahl von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben verengt sich auf die vom Rehabilitanden gewählte Maßnahme, wenn der Rehabilitand mit einer geeigneten Maßnahme begonnen hat, nachdem die Bewilligung dieser Maßnahme zu Unrecht abgelehnt worden ist.
Orientierungssatz
Zum Leitsatz 3 vgl LSG Darmstadt vom 2.10.2009 - L 5 R 315/08 und so auch LSG Chemnitz vom 19.4.2011 - L 5 R 6/10.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 15. Oktober 2019 aufgehoben, soweit sie damit auch zur Gewährung von ergänzenden Leistungen in gesetzlichem Umfang verurteilt worden ist.
Im Übrigen wird die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin für die im August 2018 begonnene Ausbildung zur staatlich geprüften Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin Kosten in Höhe von 8.074,78 € zu erstatten und sie von weiteren Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 7.414,22 € freizustellen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin 9/10 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten einer Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin.
Die 1971 geborene Klägerin ist gelernte Krankenschwester (April 1989 bis März 1992), die sich in den Jahren 2004 bis 2006 wegen reaktiver Depression auf Kosten der Beklagten als kaufmännische Assistentin im Fremdsprachensekretariat umschulen ließ. Zuletzt übte die Klägerin seit dem 1. Juni 2016 in der L. Klinik L-Stadt eine Beschäftigung als Krankenschwester aus, die mit Wirkung zum 16. August 2016 wegen Krankheit seitens des Arbeitgebers gekündigt wurde. Der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 zuerkannt worden.
In der Zeit vom 28. Dezember 2016 bis 8. Februar 2017 nahm die Klägerin auf Kosten der Beklagten eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in der Rklinik, B. K., in Anspruch. Ausweislich des Entlassungsberichts vom 13. Februar 2017 gelangten die behandelnden Ärzte unter Berücksichtigung der Diagnosen
- Traumafolgestörung; unverändert
- Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige depressive Episode; gebessert
- Degeneratives HWS-Syndrom (MRT 2016)
- Chronisches LWS-Syndrom, BSV L3/4 (MRT 2014)
- S-förmige BWS-LWS-Skoliose
zu der Einschätzung, dass die Klägerin zwar auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mittelschwere Arbeiten mit Einschränkungen in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr verrichten könne, sie jedoch als Krankenschwester in einer Akutklinik nur noch unter drei Stunden erwerbsfähig sei, weshalb Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben empfohlen würden.
Aufgrund ihres Antrags vom 8. Februar 2017 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 29. März 2017 sodann Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach. Anlässlich des Beratungsgesprächs am 2. Mai 2017 äußerte die Klägerin den Wunsch, eine Ausbildung als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin absolvieren zu wollen.
Diesem Wunsch widersprach die Beratende Ärztin D. in ihrer Stellungnahme vom 19. Mai 2017. Die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung vom 24. März 2017 sei weiterhin gültig. Pädagogische und therapeutische sowie pflegerische Tätigkeiten seien nicht leidensgerecht und nicht geeignet, eine berufliche Wiedereingliederung der Klägerin auf Dauer zu erreichen.
Darauf gestützt lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 29. Mai 2017 ab.
Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs trug die Klägerin vor, es sei ihr nicht verständlich, weshalb sie keine Tätigkeiten mehr mit besonderen pädagogisch-therapeutischen Anforderungen, gehobener Verantwortung und Stressbelastung (über Zeitdruck hinaus) verrichten können sollte. Sie stehe inzwischen wieder emotional stabil im Leben, ihre Abgrenzungsfähigkeiten seien gegeben bzw. hätten sich deutlich gebessert, ihre Stresstole...