Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. haftungsbegründende Kausalität. Wahrscheinlichkeit. Bizepssehnenruptur. Anheben eines schweren Gegenstandes
Leitsatz (amtlich)
Das überraschende Nachfassen an einem wegen glatter Oberfläche schwer zu fassenden 50 kg schweren Findling und die dadurch entstehende Krafteinwirkung können geeignet sein, einen Riss der körperfernen Bizepssehne herbeizuführen.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 30. Juli 2018 sowie der Bescheid der Beklagten vom 7. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2016 aufgehoben und festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 22. Juli 2016 um einen Arbeitsunfall handelt sowie bei der Bizepssehnenruptur rechts um einen Gesundheitserstschaden dieses Unfalls.
II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung des Ereignisses vom 22. Juli 2016 als Arbeitsunfall sowie der Bizepssehnenruptur rechts als Gesundheitserstschaden dieses Unfalls.
Im Durchgangsarztbericht vom 23. Juli 2016 wurde mitgeteilt, dass der 1957 geborene und bei der Beklagten als selbständiger Steinmetzmeister versicherte Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit am 22. Juli 2016 um 16.45 Uhr mit einem Kunden zusammen einen Stein aufgehoben habe, als es plötzlich in seinem rechten Oberarm geknackt habe. Der Durchgangsarzt Dr. D., Kreiskrankenhaus Rotenburg a. d. Fulda, stellte bei der Untersuchung um 17.14 Uhr am selben Tag eine distale Bizepssehnenruptur rechts fest, die nach dem OP-Bericht des Dr. E. vom 27. Juli 2016 operativ behandelt wurde (Re-Insertion der distalen Bizepssehne mittels Mitek-Ankern). Das Kreiskrankenhaus Rotenburg teilte der Beklagten telefonisch mit, dass weder eine histologische Untersuchung durchgeführt noch Bildmaterial der Verletzung angefertigt worden sei. In dem vom Kläger am 1. August 2016 unterschriebenen Fragebogen der Beklagten wurde ausgeführt, dass er einen ca. 80 kg schweren Stein gehoben habe. Der Stein habe etwas verrückt werden sollen. Es wurde die Antwortalternative angekreuzt, dass der tatsächliche Bewegungsablauf nicht vom geplanten Bewegungsablauf abgewichen sei.
Mit Bescheid vom 7. September 2016 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil zwischen dem Riss der körperfernen Bizepssehne rechts und dem Ereignis vom 22. Juli 2016 kein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Der Hergang vom 22. Juli 2016 sei nicht geeignet gewesen, die Bizepssehnenverletzung zu verursachen. Es habe sich um eine willentliche Kraftanstrengung ohne zusätzliche äußere Einwirkung gehandelt, so dass es zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls an dem Merkmal der äußeren Gewalteinwirkung fehle. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 22. September 2016 Widerspruch ein und stützte sich auf das sog. „Grabsteinurteil“ des Bundesozialgerichts (BSG) vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 30. Dezember 2016 Klage bei dem Sozialgericht Fulda (Sozialgericht) erhoben und zur Begründung ausgeführt, das Ereignis vom 22. Juli 2016 stelle einen Arbeitsunfall dar. Er habe im Rahmen seiner Tätigkeit einen Stein für den Garten eines Kunden (geschätztes Gewicht ca. 80 kg) ausgeliefert. Nachdem der Stein abgeladen worden sei, hätten der Herr F. und er ihn noch etwas verrücken wollen, da er nicht richtig gelegen habe. Beim Anheben des Steines habe er plötzlich ein Reißen und Schmerzen im rechten Arm verspürt. Der Kläger hat als Zeugen Herrn F. F. und Herrn G. G. benannt.
Das Sozialgericht hat diverse Röntgen und CT-Aufnahmen sowie Befundberichte und Karteikartenauszüge bei der Praxis für Neurochirurgie Dr. H., der Praxis für Allgemeinmedizin/Innere Medin Dr. J. sowie bei dem Kreiskrankenhaus Rotenburg/Fulda beigezogen bzw. eingeholt. Ferner hat es Kopien aus der Schwerbehindertenakte beigezogen.
Sodann hat das Sozialgericht von Amts wegen ein Gutachten bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. K. vom 4. Mai 2017 eingeholt. Dr. K. hat ausgeführt, zum Unfallhergang habe der Kläger den aktkundigen Sachverhalt bestätigt und angegeben, dass er mit einem Kunden zusammen einen Stein habe hochheben wollen, dessen Gewicht er mit ca. 50 kg einschätze. Beim Anheben des Steines habe er ein Reißen am rechten Arm verspürt, den Stein losgelassen und die Arbeit abgebrochen. Als Gesundheitsbeeinträchtigungen bei dem Kläger hat der Sachverständige eine distale Bizepssehnenruptur rechts mit Reinsertion der Sehne am 27. Juli 2016 und verbliebender geringer Funktionseinschränkung, eine deutliche Funktionseinschränkung des rechten Schultergelenks nach Schulterblattmehrfragmentfraktur und Nervus-axillaris Schädigung rechts im Rahmen einer Polytraumatisierung 1999 ...