Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Diabetes mellitus. Einzel-GdB von 50. gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung durch zusätzliche erhebliche Einschnitte. krankheitsbedingte Entziehung der Fahrerlaubnis. Möglichkeit einer Wiedererlangung aufgrund stabiler diabetischer Stoffwechseleinstellung. nicht rechtzeitig beigebrachtes Gutachten. Beurteilung des GdB grundsätzlich unabhängig vom ausgeübten und angestrebten Beruf

 

Orientierungssatz

1. Um bei Diabetes mellitus einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 festzustellen, muss der behinderte Mensch durch die Auswirkungen der Erkrankung auch insgesamt gesehen erheblich in seiner Lebensführung beeinträchtigt sein. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich hierbei um eine zusätzlich zu erfüllende Anforderung (vgl BSG vom 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R = SozR 4-3250 § 69 Nr 18).

2. Beruhen die fortbestehenden Einschränkungen durch den Entzug der Fahrerlaubnis - bei stabiler diabetischer Stoffwechseleinstellung des behinderten Menschen zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Feststellung eines GdB - nicht mehr auf der Diabetes mellitus-Erkrankung, sondern auf der nicht rechtzeitigen Beibringung eines neuen Gutachtens zwecks Wiedererlangung der Fahrerlaubnis, so liegt keine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung durch anderweitige erhebliche Einschnitte iS von Teil B Nr 15.1 Abs 4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) vor.

3. Der GdB ist grundsätzlich unabhängig vom ausgeübten und angestrebten Beruf zu beurteilen (vgl BSG vom 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R = SozR 4-3250 § 69 Nr 18).

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. Mai 2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte zu Recht verurteilt wurde, bei dem Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen.

Der 1975 geborene Kläger stellte erstmals am 20. April 2016 einen Antrag auf Feststellung der Behinderung und des Grades der Behinderung, mit dem er als Gesundheitsstörungen einen Diabetes mellitus Typ 1 und Bluthochdruck geltend machte. Er fügte einen Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. C. vom 11. August 2014 bei. Des Weiteren reichte er ein Attest des Dr. D., Facharzt für Allgemeinmedizin-Diabetologie sowie einen Befundbericht vom 4. Februar 2016 ein, wonach ein insulinbedürftiger Diabetes mellitus Typ 1 vorliege und die letzten 12 Monaten keine fremdhilfebedürftigen Unterzuckerungen bekannt geworden seien. Anderweitige Kollapszustände seien im letzten Jahr, soweit bekannt, nicht aufgetreten. Der Arzt E. bestätigte dem Arbeitgeber im Attest vom 4. März 2016 einen Diabetes mellitus Typ 1 und führte ergänzend aus, dass der Kläger seit mehreren Monaten gut eingestellt sei, und es seit längerer Zeit zu keiner Hypoglykämie gekommen sei. Auch die HbA1c-Werte lägen in einem sehr guten Bereich zwischen 7.0 und 7,5%. Dr. D. bestätigte unter dem 19. April 2016 einen HbA1c-Wert von 7,8%.

Der Beklagte stellte bei dem Kläger mit Bescheid vom 13. Mai 2016 einen GdB von 20 fest und berücksichtigte die Auswirkungen folgender Funktionsbeeinträchtigungen:

1. Diabetes mellitus (Einzel-GdB 20)

2. Sehbehinderung links (Einzel-GdB 10).

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 1. Juni 2016 Widerspruch ein und führte zur Begründung u. a. aus, er spritze jeden Tag bis zu 6mal Novorapid, das ca. 3 Stunden wirke. Um 21 Uhr spritze er jeden Tag Basis Insulin Toujeo 30 Einheiten, die 24 Stunden wirkten. Seinen Blutzucker messe er mehrere Male am Tag. Er reichte ein Blutzucker-Tagebuch über den Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis 30. Mai 2016 ein.

Der Beklagte half dem Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2016 teilweise dahingehend ab, dass er bei dem Kläger einen GdB von 40 feststellte. Er berücksichtigte dabei die Auswirkungen folgender Funktionsbeeinträchtigungen:

1. Diabetes mellitus (Einzel-GdB 40)

2. Sehbehinderung links (Einzel-GdB 10).

Im Übrigen wies er den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 29. August 2016 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (Sozialgericht) mit dem Ziel der Feststellung eines GdB von mindestens 50 erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, seine Erkrankung habe in der Vergangenheit zu Ohnmachtsanfällen geführt, die zur Folge gehabt hätten, dass er seinen Führerschein verloren habe. Von einer „normalen“ Diabeteserkrankung mit gutem Behandlungsverlauf sei nicht auszugehen.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Dr. D. vom 28. Oktober 2016 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, in den letzten 24 Monaten seien keine fremdhilfebedürftigen Unterzuckerungen bekannt geworden. Der Kläger sei in der Lage, Unterzuckerungen rechtzeitig zu erkennen und adäquat zu reagieren. Hierzu trügen die regelmäßigen Blutzuckerkontro...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office enthalten. Sie wollen mehr?