Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Aufhebung der Bewilligung eines Beitragszuschusses zu den Aufwendungen für die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung wegen des Eintritts von Versicherungspflicht
Orientierungssatz
1. Nach § 48 Abs. 1 SGB 10 ist ein anfänglich rechtmäßiger Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, nachträglich eine wesentliche Änderung eintritt.
2. Unterfällt der bisher freiwillig Versicherte der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung, so endet damit dessen Anspruch auf einen Beitragszuschuss zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung. Dem ursprünglichen Bescheid über die Bewilligung des Beitragszuschusses ist damit nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen.
3. Die Rechtswidrigkeit der Gewährung des Beitragszuschusses hat der Versicherte zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt; sofern er Beiträge zur freiwilligen Versicherung nicht mehr zu leisten hat, hätte er unschwer erkennen können, dass ihm kein Beitragszuschuss zu einer freiwilligen Krankenversicherung zustehen kann.
4. Der Versicherungsträger hat bei seiner Aufhebungsentscheidung nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB 10 Ermessen auszuüben. Lässt dessen Entscheidung das Ausmaß des gegenüber dem Versicherten zu erhebenden Verschuldensvorwurfs ebenso erkennen wie die Frage eines etwaigen Mitverschuldens des Versicherungsträgers, so ist der Aufhebungsbescheid rechtmäßig ergangen.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 2. April 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander für beide Instanzen keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten (noch) um die rückwirkende Aufhebung der Entscheidung über die Bewilligung eines Beitragszuschusses zu den Aufwendungen für die (freiwillige) Kranken- und Pflegeversicherung sowie um die Rückforderung der insoweit für die Zeit vom 1. April 2002 bis zum 31. Oktober 2008 erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt 7.607,56 €.
Der 1937 geborene Kläger war bei der C.bank beschäftigt und bezieht seit dem 1. Januar 2001 eine Altersrente für langjährig Versicherte. Zu dieser Rente bewilligte die Beklagte ihm auf entsprechenden Antrag durch in der Sache bindend gewordenen Neuberechnungsbescheid vom 26. Februar 2001 für die Zeit ab 1. Januar 2001 einen Beitragszuschuss zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung in gesetzlicher Höhe.
Im Bescheid vom 26. Februar 2001 (Bl. 35 Rentenakten) heißt es unter der Überschrift "Mitteilungspflichten" unter anderem:
"Der Anspruch auf Beitragszuschuss für die freiwillige oder private Krankenversicherung entfällt mit der Aufgabe oder dem Ruhen dieser Krankenversicherung und bei Eintritt von Krankenversicherungspflicht. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns jede Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses unverzüglich mitzuteilen…
Der Anspruch auf Beitragszuschuss für die Pflegeversicherung entfällt bei Eintritt von Versicherungspflicht in der Krankenversicherung sowie bei Eintritt von Beitragsfreiheit in der Pflegeversicherung. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns jede Änderung des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses unverzüglich mitzuteilen.
Soweit Änderungen Einfluss auf den Rentenanspruch oder die Rentenhöhe haben, werden wir den Bescheid - auch rückwirkend - ganz oder teilweise aufheben und zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückfordern.
Größere Überzahlungen können vermieden werden, wenn Sie uns entsprechend den Mitteilungspflichten umgehend benachrichtigen."
In der Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. März 2000 (1 BvL 16/96 = SozR 3-2500 § 5 Nr. 42 = BVerfGE 102, 68) gelangte der Kläger zum 1. April 2002 als Pflichtversicherter in die gesetzliche Krankenversicherung der Rentner. Ob der Kläger hierüber seinerzeit durch ein Schreiben der Barmer Ersatzkasse (jetzt Barmer GEK) unterrichtet wurde, ist streitig.
Die Beklagte erlangte von der seit dem 1. April 2002 bestehenden Pflichtversicherung des Klägers erstmals Kenntnis aufgrund einer entsprechenden Mitteilung der Barmer Ersatzkasse vom 25. August 2008.
Durch Bescheid vom 5. September 2008 (Bl. 14 Rentenakten) hob die Beklagte daraufhin zunächst unter Berufung auf § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) den "Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses zur Krankenversicherung … mit Wirkung für die Zukunft ab 1. November 2008" auf und teilte dem Kläger zugleich mit, dass im Hinblick auf die ab 1. April 2002 bestehende Pflichtversicherung bei der Zahlung der Rente der gesetzliche Eigenanteil zur Kranken- und Pflegeversicherung einzubehalten sei. Bei der rückwirkenden Einbehaltung der Beiträge wurde von Amts wegen die hinsichtlich der Ansprüche für die Zeit bis zum 31. Dezember 2003 eingetretene Verjährung berücksichtigt. Bezüglich der Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Oktober 2008 ermittelte die...