Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für einen Sozialhilfeberechtigten bei zuerkanntem Merkzeichen G im Schwerbehindertenrecht
Orientierungssatz
1. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB 12 wird für Sozialhilfeberechtigte, denen als Schwerbehinderten das Merkzeichen G zuerkannt ist, ein Mehrbedarf von 17 v. H. der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.
2. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des entsprechenden Feststellungsbescheides als Nachweis gegenüber dem Sozialhilfeträger für das Vorliegen des Nachteilsausgleichs (BSG Urteil vom 25. 4. 2018, B 8 SO 25/16 R).
3. Nach § 28 Abs. 1 S. 1 SGB 12 a. F. werden die Bedarfe abweichend festgelegt, wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.
4. Die Berücksichtigung eines unabweisbar höheren Bedarfs für Mobilität setzt den Nachweis konkreter Mehraufwendungen wegen der bestehenden Gehbehinderung voraus.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 30. April 2014 wird zurückgewiesen.
Die Klage wird abgewiesen
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Bewilligung eines Mehrbedarfs auch für die Zeit vor Ausstellung des entsprechenden Schwerbehindertenausweises.
Der 1959 geborene Kläger ist voll erwerbsgemindert und bezog seit 1. August 2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe von der Beklagten, in deren Zuständigkeitsbereich er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Mit Abhilfebescheid vom 25. Juni 2010 stellte das Versorgungsamt Wiesbaden für den Kläger fest, dass in seiner Person ab Dezember 2018 die Voraussetzungen für das Merkzeichen „G" vorlagen und der Grad seiner Behinderung 100 betrug. Das Versorgungsamt stellte ihm unter dem 2. Juli 2010 einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis aus.
Nach Vorlage dieses Schwerbehindertenausweises am 5. Juli 2010 bei der der Beklagten bewilligte diese mit Leistungsbescheid vom 6. Juli 2010 unter Änderung des Leistungsbescheids vom 23. April 2010 mit Wirkung ab 1. Juli 2010 bis zum 30. April 2011 einen Mehrbedarf aufgrund des Merkzeichens „G“ in Höhe von 61,03 Euro monatlich.
Mit Schreiben vom 19. Juli 2010 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch und machte einen Anspruch auf Berücksichtigung des Mehrbedarfs ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse geltend, die ausweislich des Bescheides des Versorgungsamtes im Dezember 2008 eingetreten sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2012 wies die Beklagte den hiergegen eingelegten Widerspruch als unbegründet zurück, weil die Anspruchsvoraussetzungen für den pauschalierten Mehrbedarf nicht vor Ausstellung des entsprechenden Schwerbehindertenausweises eintreten könnten. Weitergehende Leistungen für den Zeitraum Dezember 2008 bis Juni 2010 seien nicht geltend gemacht worden; auch sei ein über den Regelsatz hinausgehender Bedarf weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, der eine abweichende Festsetzung des Regelbedarfs nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe - begründen würde.
Am 23. Februar 2012 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden erhoben.
Der Kläger hat ausgeführt, dass die im Widerspruchsbescheid zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts von November 2011 noch auf der bis zum 6. Dezember 2006 geltenden Fassung des § 30 SGB XII beruhe, nach der in der Tat der Besitz eines Schwerbehindertenausweises als Anspruchsvoraussetzung normiert gewesen sei. Die ab dem 7. Dezember 2006 geltende neue Fassung des § 30 SGB XII stelle aber nicht mehr allein auf den Zeitpunkt der Vorlage des Schwerbehindertenausweises ab. Zudem sei die erhebliche Behinderung des Klägers bereits bei der Beklagten zuvor aktenkundig gewesen. Die in dem Bescheid des Versorgungsamtes enthaltene Festlegung des Eintritts der Behinderung finde auch bereits steuerrechtliche Berücksichtigung.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass es ihr vor dem 5. Juli 2010 nicht bekannt gewesen sei, dass der Kläger einen Antrag auf Zuerkennung einer Schwerbehinderung bzw. des Merkzeichens „G" gestellt habe bzw. insoweit ein Klageverfahren angestrengt gehabt habe. Einem Sozialhilfeträger sei nicht zuzumuten, dass er die Notwendigkeit einer Leistung erahne. So bestehe auch kein Anspruch auf eine nachträgliche Gewährung von höheren Leistungen der Hilfe zur Pflege, wenn einer Person von der Pflegekasse nachträglich eine höhere Pflegestufe zuerkannt werde, der Sozialhilfeträger hiervon aber nichts gewusst habe. Es sei Aufgabe des Leistungsbeziehers, mögliche Mehraufwendungen, die eine abweichende Festsetzung der Regelleistung rechtfertigen könnten, auch der Behörde gegenüber substantiiert vorzutragen und nachzuweisen. Erst dann könne der Leistungsträger überhaupt eine mögliche Übernahme der Kosten prüfen. Mi...