0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
§ 29 trat mit der Einführung des SGB I am 1.1.1976 in Kraft (Gesetz v. 11.12.1975, BGBl. I S. 3015).
Die Vorschrift wurde in der Vergangenheit mehrmals den geänderten Rahmenbedingungen angepasst, zuletzt durch Art. 3 Nr. 4 und Art. 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) – und zwar mit Wirkung zum 1.1.2018.
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 29 gibt einen Überblick, welche Leistungen das SGB IX als eigenständiges Sozialgesetzbuch für Menschen mit Behinderung oder drohender Behinderung vorsieht. Rechtsansprüche können aus der Vorschrift nicht abgeleitet werden; diese ergeben sich erst aus den rehabilitationsträgerspezifischen Regelungen.
Die Vorschrift des § 29 hat Einweisungscharakter und ist im Zusammenhang mit § 10 zu sehen: Während § 10 die Ziele von Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderung bzw. drohender Behinderung beschreibt, zählt § 29 die jeweiligen Leistungsarten auf, die das SGB einschließlich seiner Sondergesetze (z. B. BVG) zur Erreichung der Teilhabeziele (§ 4 SGB IX) einsetzt. Dabei handelt es sich meist um Leistungsarten, die bereits Gegenstand anderer Einweisungsvorschriften (§§ 19 bis 28) sind, aber speziell für den Personenkreis der Menschen mit Behinderung bzw. drohender Behinderung gedacht sind.
Zum Personenkreis der Menschen mit Behinderung zählen Menschen, die aufgrund langfristiger körperlicher, seelischer, geistiger oder Sinnesbeeinträchtigungen in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft gehindert sind. Der Begriff der Gesellschaft ist dabei sehr weit auszulegen. Er kann sich auch auf die eigene Selbstversorgung, auf Schule oder Beruf erstrecken. Einzelheiten vgl. Komm. zu § 2 SGB IX.
Die Leistungen des § 29 haben die Zielrichtung, die
- uneingeschränkte Partizipation (= aktives Teilnehmen an allen gewünschten Lebenssituationen wie nicht behinderte Menschen) bzw.
- vollständige Inklusion (= optimiertes und erweitertes Verständnis von Integration; vgl. Komm. zu § 2 SGB IX)
des betroffenen Menschen zu erreichen.
Dabei versuchen die Hilfen, die negativen Folgen von Funktionsstörungen und Beeinträchtigungen in Bezug auf das "aktive Teilhaben" zu minimieren bzw. zu beseitigen (Näheres zu den Zielen vgl. Komm. zu § 4 SGB IX).
§ 29 unterscheidet bei seiner Übersicht der Teilhabeleistungen zwischen
Rz. 3
Als Leistungsspektrum führt § 29 neben den gerade erwähnten Hauptleistungen noch sog. Nebenleistungen auf – und zwar in § 29 Abs. 1 Nr. 4; hierbei handelt es sich um unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, die dem Rehabilitanden im unmittelbaren Zusammenhang mit den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt werden. Einzelheiten vgl. Rz. 18 ff.
Rz. 4
Der Vollständigkeit halber verweist § 29 Abs. 1 Nr. 5 losgelöst von den anderen Teilhabeleistungen der Rehabilitationsträger (§ 6 SGB IX) auf die besonderen Ansprüche und Rechte von schwerbehinderten Menschen, die seit dem 1.1.2018 in Teil 3 des SGB IX (ab § 151) geregelt werden. Nach § 2 Abs. 2 SGB IX sind dies Menschen, bei denen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 % vorliegt. Im Zusammenhang mit der Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes werden Menschen mit einem Grad der Behinderung von unter 50 %, wenigstens aber von 30 %, diesen behinderten Menschen gleichgestellt (§ 2 Abs. 3 SGB IX).
Die Unterstützungsleistungen bzw. Nachteilsausgleiche ergeben sich aus der Komm. zu Rz. 21 und 22, wobei festzustellen ist, dass dort auch Nachteilsausgleiche aufgeführt sind, die nicht zu den Sozialleistungen gehören.
2 Rechtspraxis
2.1 Aufzählung der Leistungen, die das SGB IX zur Verfügung stellt
Rz. 5
Das bisher zerklüftete und unübersichtliche Rehabilitations- und Behindertenrecht ist seit dem 1.7.2001 gebündelt in den Vorschriften des SGB IX geregelt. § 29 zählt global als Einweisungsvorschrift katalogmäßig die zur Verfügung zu stellenden Hilfen dieses Teilhabe- bzw. Behindertenrechts auf. Durch die Worte "Nach dem Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen können in Anspruch genommen werden …" wird deutlich, dass § 29 Abs. 1 lediglich einen Überblick über die Teilhabe geben möchte und allein aus § 29 Abs. 1 kein Anspruch hergeleitet werden kann; die Ansprüche im jeweiligen Einzelfall richten sich ausschließlich nach dem rehabilitationsträgerspezifischen materiellen Recht (SGB III, SGB V bis VIII, SGB XII).
Nach § 1 SGB IX erhalten Menschen mit Behinderung oder drohender Behinderung Leistungen, um
- ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern sowie
- Benachteiligungen (auch im Beruf und Schu...