Rz. 5
Zulässige Untersuchungen nach § 62 setzen deren Erforderlichkeit für die Entscheidung über die Leistung und ein entsprechendes Verlangen des Leistungsträgers voraus. Das bezieht sich auf die Anordnung der Untersuchung sowie auch auf die Untersuchungsmaßnahme selbst. Daraus wird deutlich, dass es sich bei § 62 nicht allein um die Regelung der Duldung von Untersuchungen selbst handelt, sondern der gesamte Prozess von den Untersuchungsvoraussetzungen und Mitwirkungspflichten umfasst wird. Das gilt auch für den speziellen Fall, in dem nicht der potenziell anspruchsberechtigte Bürger, sondern das Jobcenter beim Träger der Rentenversicherung einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente stellt (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 14.3.2012, L 12 AS 2223/11 B ER und 443/12 B).
Rz. 6
§ 62 setzt voraus, dass der die Untersuchung begehrende Leistungsträger auch zuständiger Leistungsträger ist. Das ist der Fall, wenn er aufgrund gesetzlicher Vorschriften befugt ist, über die Bewilligung, Ablehnung, Versagung oder Entziehung der beantragten oder laufend gewährten Leistung zu entscheiden. Dieser Leistungsträger hat festzustellen, dass es einer ärztlichen oder psychologischen Untersuchung bedarf, um über die begehrte Leistung entscheiden zu können. Diese Feststellung und die dafür maßgebenden Gründe sollten aktenkundig sein, sie müssen dem Antragsteller bzw. Leistungsbezieher gegenüber ggf. dargelegt werden. Prophylaktische Untersuchungen sind unzulässig, ebenso Untersuchungen trotz Vorliegens verwertbarer Untersuchungsergebnisse. Die Feststellung betrifft insbesondere zwei Aspekte, nämlich zum einen den konkret notwendigen Feststellungsbedarf, der in kausaler Beziehung zu einer Untersuchung stehen muss, und die Auswertung vorhandener Unterlagen, aus der die Erforderlichkeit einer Untersuchung hervorgeht. Die Untersuchung eines Leistungsberechtigten der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf eine Suchtmittelabhängigkeit ist für die Entscheidung über die Leistung nur dann erforderlich, wenn es aus dem Verhalten des Antragstellers oder sonst zugänglichen Informationen Hinweise hierauf gibt (LG Heidelberg, Urteil v. 22.8.2013, 3 O 403/11). Ansonsten stellt sie für das Gericht einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG dar.
Die Frage, ob der zuständige Leistungsträger auch eine Untersuchung bei einer anderen Behörde verlangen darf, ist noch nicht höchstrichterlich geklärt. Das ist zu bejahen, soweit die gesetzliche Konstruktion dies zulässt, etwa bei gesetzlichem oder rechtsgeschäftlichem Auftrag (vgl. z. B. die gemeinsamen Einrichtungen nach § 44b SGB II mit einem Untersuchungsverlangen beim Gesundheitsamt oder dem Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit). Von der Zulässigkeit wird aber auch stets auszugehen sein, wenn sich dies aus der Rechtsgrundlage ergibt, wie z. B. aus Zweifeln der Grundsicherungsstelle nach § 56 Abs. 1 Satz 5 SGB II. Hier führt der Medizinische Dienst der Krankenkassen die Überprüfungsuntersuchung durch, zuständiger Leistungsträger bleibt die Agentur für Arbeit bzw. der zugelassene kommunale Träger (§ 6a SGB II), in Fällen des § 44b SGB II das Jobcenter der gemeinsamen Einrichtung.
Rz. 7
Erforderlichkeit ist ein Anforderungsmerkmal aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des behördlichen Handelns. Bei der Verhältnismäßigkeit wird der verfolgte, erlaubte Zweck mit dem grundsätzlich erlaubten Mittel abgeglichen. Das Mittel zur Verfolgung des Zwecks ist nicht schon dann erforderlich, wenn es zur Verfolgung des Zwecks geeignet ist. Wäre das der Fall, unterlägen die Sozialleistungsträger bei den Untersuchungen kaum noch Beschränkungen, weil eine Untersuchung regelmäßig dazu geeignet ist, den Gesundheitszustand des Betroffenen, typischerweise funktionale Störungen, festzustellen. Erforderlichkeit kann nur dann bejaht werden, wenn dem Leistungsträger kein milderes Mittel zur Verfügung steht, um zu den gewünschten Erkenntnissen zu gelangen. Er muss also bereits alle geeigneten, aber weniger einschneidenden Maßnahmen zur Feststellung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen für die Leistung in Betracht gezogen haben. In diesem Zusammenhang ist z. B. abzuwägen, ob es überhaupt ärztlicher Erkenntnisse bedarf, um darüber entscheiden zu können, ob ein Antragsteller erwerbsfähig ist oder ist. Das ist z. B. nicht der Fall, wenn eine Erwerbstätigkeit aus konjunkturellen Gründen aufgegeben werden musste und der Betroffene keine gesundheitlichen Beschwerden äußert. Vorrangig sind auch aktenkundige Unterlagen bei anderen Behörden, auf die im Wege der Amtshilfe zugegriffen werden kann und darf. Unerheblich ist diesem Zusammenhang aber die Frage, ob die mangelhafte Erfüllung einer aktiven Mitwirkung bei einer Untersuchung, die zweifellos nach § 62 verlangt werden kann, einen feststellbaren Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten darstellt. Dies wird im Regelfall zu verneinen sein. Insoweit handelt es sich bei der Mitwirkungspflicht in der Praxis um eine passi...