Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmereigenschaft eines behinderten Beschäftigten einer Werkstatt für behinderte Menschen
Leitsatz (amtlich)
1. Aus § 138 Abs. 1 SGB IX ergibt sich, dass der Gesetzgeber für den Regelfall davon ausgeht, dass behinderte Menschen im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis tätig werden.
Dass der Mitarbeiter wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringt, ist kein Kennzeichen für ein Arbeitsverhältnis, sondern Aufnahmevoraussetzung nach § 136 Abs. 2 S. 1 SGB IX für eine Werkstatt für behinderte Menschen. Ein Arbeitsverhältnis liegt erst dann vor, wenn der Hauptzweck der Beschäftigung das Erbringen wirtschaftlich verwertbarer Leistungen ist und nicht der Zweck des § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX, nämlich die Ermöglichung einer angemessenen Beschäftigung Vordergrund des Aufenthalts in der WfbM ist.
2. Die Einstellung der Förderungsleistungen durch den Kostenträger stellt einen außerordentlichen Kündigungsgrund des Werkstattverhältnisses auf den Tag des Wegfall der Leistungen nach § 626 BGB dar, da es dem Träger der Werkstatt nicht zuzumuten ist, seine Dienstleistungen im Sinne des § 136 Abs. 1 SGB IX zu erbringen, wenn er hierfür keine adäquate Gegenleistung, die hier aufgrund der Besonderheiten durch den Sozialleistungsträger erfolgen, erhölt.
Normenkette
SGB IX § 138 Abs. 1, § 136 Abs. 2; BGB § 626; AGG § 15 Abs. 2, § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Freiburg i. Br. (Urteil vom 18.09.2008; Aktenzeichen 15 Ca 99/08) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg, Kammern Offenburg vom 18.09.2008, 15 Ca 99/08 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berechtigung einer fristlosen Kündigung des Werkstattverhältnisses zwischen dem schwerbehinderten Kläger und der Beklagten sowie über die Verpflichtung der Beklagten, an den Kläger eine Entschädigung wegen Benachteiligung wegen seiner Behinderung zu zahlen.
Der am 00.00.1963 geborene Kläger ist seit dem 01.09.1981 bei der Beklagten in deren Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt. Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Sein Bruder ist sein bestellter Betreuer.
Im Rahmen seiner Beschäftigung in der WfbM der Beklagten führt der Kläger einfachste Montagetätigkeiten aus. Er erhält dafür das vorgeschriebene monatliche Mindestentgelt von 67,00 EUR.
Mit Bescheid vom 25.02.2008 stellte das Landratsamt O. – Amt für Soziales und Versorgung – die bisher gewährten Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gemäß § 53 ff. SGB XII zum 29.02.2008 ein. Zur Begründung führte das Landratsamt aus, dass aufgrund des Verhaltens des Klägers derzeit die für eine Förderung nötige Werkstattfähigkeit nicht vorhanden sei. In seiner Sitzung vom 16.01.2008 sei der Fachausschuss zu diesem Ergebnis gekommen. Der Kläger müsse sich medizinischen und therapeutischen Maßnahmen unterziehen, um seine Werkstatt- und Gemeinschaftsfähigkeit wieder herzustellen. Gemeinschaftsfähigkeit sei im Übrigen Voraussetzung für alle Angebote der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Da dies fehle würden die Eingliederungshilfeleistungen für die Betreuung des Klägers im Arbeitsbereich der H. Werkstätten zum 29.02.2008 eingestellt.
Gegen diesen Aufhebungsbescheid hat der Kläger selbst Widerspruch eingelegt und Klage zum zuständigen Sozialgericht angekündigt. Hierüber ist noch nicht entschieden.
Mit Schreiben vom 28.02.2008, dem Klägervertreter am 29.02.2008 zugegangen, kündigte daraufhin die Beklagte aufgrund der Einstellung der Eingliederungshilfeleistungen den bestehenden Werkstattvertrag zum 29.02.2008.
Gegen diese Kündigung wehrt sich der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage, die am 17.03.2008 beim Arbeitsgericht Freiburg, Kammern Offenburg eingegangen ist. Zugleich verlangt er die Zahlung eines Schmerzensgeldes von 10.000,00 EUR, da er durch die Kündigung wegen seiner Behinderung diskriminiert worden sei.
Vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger vorgetragen, er genieße Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Zudem bestünde die Werkstattfähigkeit weiter fort. Das Verhalten, das die Kündigung ausgelöst habe, sei Teil der Behinderung des Klägers. Daher habe die Beklagte mit der Kündigung den Kläger gerade wegen seiner Behinderung benachteiligt. Zudem sei er Arbeitnehmer und die Kündigung sei bereits deswegen unwirksam, weil sie ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen worden sei.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht zuletzt beantragt:
- Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 28.02.2008, zugegangen am 29.02.2008, zum Ablauf des 29.02.2008 endet.
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 29.02.2008 hinaus fortbesteht.
- Die Beklagte wird verurteilt, a...