Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei konkreter Vergütungshöhe außerhalb § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG. Keine Neuordnung der Entgeltgruppen wegen Mindestlohn. Rechtliches Interesse an Feststellung des Bestehens betrieblicher Mitbestimmungsrechte
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zahlung des Mindestlohns nach dem MiLoG verpflichtet den Arbeitgeber nicht, die Vergütung der Entgeltgruppen zur Wahrung der prozentualen Abstände nach einer betrieblichen Entgeltordnung anzuheben.
2. Die Zahlung des Mindestlohns an Beschäftigte bestimmter Entgeltgruppen verletzt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht.
3. Eine Erhöhung der anderen Entgeltgruppen ist ausgeschlossen, da hierdurch der mitbestimmungsfreie Dotierungsrahmen erhöht würde.
4. Eine Anpassung der vereinbarten Entlohnungsgrundsätze kann der Betriebsrat nur durch eine Kündigung der Entgeltordnung und Ausübung seines Initiativrechts bewirken.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10; MiLoG §§ 1, 3; ZPO § 256
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.09.2019; Aktenzeichen 18 BV 2727/19) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verletzt werden, wenn die Arbeitgeberin gesetzliche Ansprüche auf Mindestlohn erfüllt und dadurch Gehaltsabstände in einer mitbestimmten betrieblichen Entgeltordnung faktisch verändert werden.
Der Beteiligte zu 1) (Betriebsrat) war der im Betrieb der Beteiligten zu 2) (Arbeitgeberin) gebildete 9-köpfige Betriebsrat. Die Arbeitgeberin betrieb dezentral über das Stadtgebiet Berlin verteilt Einrichtungen für psychisch erkrankte Menschen. Die überwiegende Zahl der Mitarbeiter waren als Sozialarbeiter im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) zur Betreuung der Klienten tätig.
Die Betriebsparteien schlossen am 22. Februar 2018 eine Vereinbarung zur Entgeltordnung ab. Da über die erzwingbare Mitbestimmung hinaus zahlreiche andere Regelungsgegenstände mitvereinbart wurden, wurde die Vereinbarung als Regelungsabrede/Betriebsvereinbarung, betriebsintern als sogenannte "ReBe 2018" bezeichnet. Zu dieser gehörten unter anderem die Anlage 2b "Vergütungstabelle 2018", die die Monats- und Stundenvergütungen der jeweiligen Entgeltgruppe und -stufe enthielt, sowie die Anlage 2a) "Referenztabelle 2018", in der die Tabellenentgelte in Prozentzahlen abgebildet waren. Die Entgeltgruppe 9 - dort waren die Sozialarbeiter eingruppiert - war die sogenannte Ecklohngruppe mit 100 Prozent in der ersten Stufe. Nach der Vergütungstabelle betrugen die Stundenentgelte in der Entgeltgruppe 1 sowie der Entgeltgruppe 2 Stufen 1 und 2 jeweils 8,90 Euro. In der Entgeltgruppe 2 Stufe 3 betrug das Stundenentgelt 9,04 Euro. Wegen des weiteren Inhalts der "ReBe 2018" nebst Anlagen wird auf Blatt 11 bis 24 der Akte Bezug genommen.
Seit Januar 2019 zahlte die Arbeitgeberin den in die Entgeltgruppe 1 und in die Entgeltgruppe 2, Stufen 1 bis 3 eingruppierten Beschäftigten nicht die in der Tabelle festgelegten Vergütungen, sondern den zum 1. Januar 2019 auf 9,19 Euro pro Stunde erhöhten Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz. Durch diese Zahlungen veränderten sich faktisch die Abstände zu den anderen Entgeltgruppen.
In dem vorliegenden Verfahren begehrt der Betriebsrat die Einhaltung der in der "ReBe 2018" vereinbarten Vergütungsgrundsätze und rügt eine Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte nach § 87 Absatz 1 Nummer 10 BetrVG. Die Arbeitgeberin ist dem entgegengetreten. Hinsichtlich der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags der Beteiligten und ihrer Anträge wird auf den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. September 2019 - 18 BV 2727/19 - (Blatt 57 - 63) Bezug genommen.
In diesem Beschluss hat das Arbeitsgericht die Anträge des Betriebsrats zurückgewiesen. Die zulässigen Anträge seien unbegründet. Die Arbeitgeberin habe die vereinbarte Referenztabelle nicht abgeändert und somit nicht die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verletzt. Mit der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns habe die Beklagte nicht in die geltende Vereinbarung eingegriffen, sondern nur eine hiervon unabhängige gesetzliche Verpflichtung erfüllt. Der Mindestlohn aus § 1 MiLoG sei ein gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch trete. Er lasse die Vergütungsvereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien unberührt. Aus der Erfüllung der Verpflichtung der Arbeitgeberin, ihren Arbeitnehmer den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen, erwachse kein Anspruch auf die Erhöhung der übrigen Vergütungen. Eine Anhebung aller Vergütungsgruppen würde zu einer Erhöhung des Gesamtvolumens führen, dass nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterfalle, sondern der freien Entscheidung der Arbeitgeberin unterliege. Auch die Hilfsanträge seien unbegründet. Eine Verletzung der Mitbestimmungsre...