Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme einer Abmahnung. Verbrauch des Kündigungsgrundes. Konkludenter Kündigungsverzicht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine einseitige „Rücknahme” einer dem Arbeitnehmer gegenüber erteilten Abmahnung ist nicht möglich, § 130 BGB analog.

2. Mit dem Ausspruch einer Abmahnung verzichtet der Arbeitgeber konkludent auf ein Kündigungsrecht wegen der Gründe, die Gegenstand der Abmahnung waren (BAG vom 10.11.1988 – 2 AZR 215/99 –).

3. Der Ausspruch einer auf gleichgelagerte Pflichtwidrigkeiten gestützten Kündigung setzt dann voraus, dass der Arbeitnehmer nach Erhalt der Abmahnung solche Pflichtwidrigkeiten erneut begeht oder dass weitere kündigungsrechtlich erhebliche Umstände eingetreten oder nachträglich bekannt geworden sind (im Anschluss an BAG vom 10.12.1992 – 2 ABR 32/92 –).

4. Dies ist dann nicht der Fall, wenn sich nach Ausspruch der Abmahnung lediglich herausstellt, dass dem Arbeitnehmer nur zahlenmäßig umfangreichere, der Sache nach aber identische Fehlleistungen vorzuhalten sind und sich dadurch nicht eine neue Qualität der Kündigungsgründe ergibt.

 

Normenkette

BGB § 130

 

Verfahrensgang

AG Berlin (Urteil vom 21.06.2005; Aktenzeichen 93 Ca 19994/04)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21.6.2005 – 93 Ca 19994/04 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise geändert:

  1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung vom 16.6.2004 nicht aufgelöst worden ist.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien je zur Hälfte.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen.

Der 1952 geborene Kläger, der mit einem Grad von 30 % behindert und einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist, ist seit mehr als 20 Jahren bei dem beklagten Land bzw. dessen Rechtsvorgänger als Verwaltungsangestellter unter Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT-O beschäftigt; seine Aufgabe besteht in der Kosteneinziehung in abgeschlossenen Hilfefällen nach dem BSHG, KJHG und ähnliche Vorschriften. Seit dem 21. Mai 2001 ist er als Sachbearbeiter damit befasst, die Kosteneinziehung in abgeschlossenen Hilfefällen vorzunehmen und die Titel zu verwalten.

Nachdem es zu Auseinandersetzungen über die Arbeitsleistung des Klägers gekommen war, sprach das beklagte Land mit Schreiben vom 12. Dezember 2002 eine Abmahnung mit dem Vorwurf aus, der Kläger habe sich ohne Absprache mit Vorgesetzten zu einer bestimmten Fortbildung angemeldet; mit Schreiben vom gleichen Tage wurde eine Abmahnung mit dem Vorwurf von diversen Leistungsmängeln bei der Aktenbearbeitung ausgesprochen. Am 24. Juni 2003 erteilte das beklagte Land dem Kläger eine weitere Abmahnung mit dem Vorwurf, er habe Anweisungen ignoriert und sich Anordnungen der Vorgesetzten widersetzt.

Am 25. Mai 2004 erteilte das beklagte Land dem Kläger eine weitere, als „letzte” bezeichnete Abmahnung mit dem Vorwurf zahlreicher Leistungsmängel, die im Einzelnen aufgeführt sind. Mit einem Schreiben vom 3. Juni 2004 (Bl. 232 d.A.) wandte sich das beklagte Land an den Kläger mit der Bitte, die Abmahnung vom 24. Mai 2004 (gemeint war wohl der 25.05.2004) zurückzusenden, da diese Abmahnung „gegenstandslos” sei. Der Kläger hat das Abmahnungsschreiben zurückgegeben.

Das beklagte Land hörte sodann am 17. Juni 2004 den Personalrat zu einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung an, die auf Vorwürfe bezüglich der Bearbeitung anderer Akten als der in der Abmahnung bezeichneten gestützt wurde. Der Personalrat stimmte am 23. Juni 2004 dem Kündigungsbegehren des beklagten Landes zu. Am 19. Juli 2004 erteilte das Integrationsamt die Zustimmung nur zu einer ordentlichen Kündigung.

Am 26. Juli 2004 erhielt der Kläger ein Schreiben des Bezirksamts M.-H. des beklagten Landes (Bl. 135 ff. d.A.), welches das Datum des 23. Juli 2004 trug und von der – nicht kündigungsberechtigten – Mitarbeiterin Frau W. unterschrieben war. Dem Schreiben war die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 16. Juni 2004, die von dem kündigungsberechtigten Personalleiter unterschrieben war, beigefügt. In dem Schreiben teilte die Mitarbeiterin Frau W. mit, dass das Integrationsamt der hilfsweise ordentlichen Kündigung zugestimmt habe und dass das Arbeitsverhältnis des Klägers „somit” hilfsweise fristgemäß nach § 53 BAT-O zum 31. März 2005 ende.

Mit der vorliegenden, am 16. August 2004 bei Gericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Abmahnungen und die Kündigung. Er vertritt die Auffassung, er habe Leistungspflichten nicht verletzt.

Von einer näheren Darstellung des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird unter Bezugnahme auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung abgesehen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 21. Juni 2005 den Kläger mit seiner Klage abgewiesen. Die Kündigung erweise sich als ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. ...

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