Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Beweisantrag nach § 109 SGG. einmaliges Antragsrecht. Vorliegen besonderer Umstände für wiederholten Antrag. Verwertbarkeit des Gutachtens. nicht approbierter Diplom-Psychologe. Beeinträchtigung des Beweiswerts. regelmäßige Behandlung des Versicherten durch den Gutachter. Beruhen der gutachterlichen Einschätzung auf therapeutischer Beziehung. Hinweis auf Voreingenommenheit. Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. rentenrechtliche Relevanz einer psychischen Erkrankung
Leitsatz (amtlich)
Das Antragsrecht nach § 109 SGG steht grundsätzlich nur einmal in den beiden Tatsacheninstanzen zur Verfügung (Anschluss an BSG vom 17.3.2010 - B 3 P 33/09 B). Einer wiederholten Antragstellung nach § 109 SGG ist nur bei Vorliegen besonderer Umstände stattzugeben. Solche sind nicht bereits darin zu erblicken, dass sich das erstinstanzlich befasste Sozialgericht der gutachterlichen Einschätzung nicht anzuschließen vermochte. Auch ein von einem nicht approbierten Diplom-Psychologen nach § 109 SGG erstattetes Gutachten ist verwertbar, wenn an dessen fachlicher Eignung keine Zweifel bestehen (Anschluss an LSG Berlin-Potsdam vom 11.6.2009 - L 11 VH 35/08). Der Beweiswert eines Gutachtens nach § 109 SGG wird dadurch beeinträchtigt, dass der Gutachter den Versicherten vor der Begutachtung regelmäßig behandelt hat und seine gutachterliche Einschätzung maßgeblich auf Erkenntnissen beruht, die aus der therapeutischen Beziehung zwischen ihm und dem Versicherten stammen. Dies gilt insb dann, wenn der Gutachter im Vorfeld der Begutachtung auf eine mögliche Problematik der Voreingenommenheit hingewiesen hat, der Versicherte jedoch auf eine Begutachtung beharrt.
Orientierungssatz
1. Psychische Erkrankungen sind behandelbar und zu behandeln, bevor Erwerbsminderung nach dem SGB 6 angenommen werden kann (vgl LSG Stuttgart vom 27.4.2016 - L 5 R 459/15 und LSG München vom 18.1.2017 - L 19 R 755/11). Selbst eine mittelgradige oder schwere depressive Episode bedingt in den meisten Fällen lediglich vorübergehende Arbeitsunfähigkeit und erfordert eine Krankenbehandlung, stellt jedoch in Anbetracht der üblicherweise vollständigen Remission keine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit dar.
2. Eine Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit kommt erst dann in Betracht, wenn mehrere der folgenden Faktoren zusammentreffen: eine mittelschwer bis schwer ausgeprägte depressive Symptomatik, ein qualifizierter Verlauf mit unvollständigen Remissionen, erfolglos ambulante und stationäre, leitliniengerecht durchgeführte Behandlungsversuche, einschließlich medikamentöser Phasenprophylaxe, eine ungünstige Krankheitsbewältigung, mangelnde soziale Unterstützung, psychische Komorbidität, lange Arbeitsunfähigkeitszeiten und erfolglose Rehabilitationsbehandlungen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29.03.2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die im Jahr 1976 geborene Klägerin, die keine Berufsausbildung durchlaufen hat und zuletzt bis März 2003 als Küchenhilfe erwerbstätig gewesen ist, ist verheiratet und hat zwei am 21.03.2004 und 08.10.2006 geborene Kinder. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt. Im Oktober 2008 wurde bei ihr ein hepatosplenisches Non-Hodgkin-Lymphom diagnostiziert. Die chemo- und stammzellentherapeutische Behandlung führte zu einer andauenden Remission der Erkrankung. Vom 01.08.2009 - 31.07.2011 bezog die Klägerin von der Beklagten eine Rente wegen voller Erwerbsminderung und vom 15.09.2011 bis 02.09.2012 sowie vom 07.09. bis 18.09.2012 Arbeitslosengeld.
Auf einen Weiterbewilligungsantrag der Klägerin vom 09.10.2012 zog die Beklagte Befundberichte der behandelnden Ärzte, u.a des Universitätsklinikums T., bei und veranlasste eine Begutachtung der Klägerin bei ihrer ärztlichen Untersuchungsstelle. Dr. H.-Z., Internistin und Sozialmedizinerin, führte in ihrem Gutachten vom 21.11.2012 aus, im Hinblick auf die Non-Hodgkin-Erkrankung lägen keine Hinweise auf eine Reaktivierung oder eine chronische Abstoßungsreaktion vor. Die Blutwerte seien normal, eine Medikation sei nicht mehr erforderlich. Die Klägerin klage lediglich über eine verstärkte Müdigkeit und eine Infektneigung. Auch die Ängstlichkeit der Klägerin in Bezug auf ein Tumorrezidiv habe nicht zu einer behandlungsbedürftigen Symptomatik geführt. Dr. H.-Z. gelangte hiernach zu der Einschätzung, dass der Klägerin leichte Tätigkeiten ohne besondere Infektionsgefahr und ohne besonderen Zeitdruck in mindestens 6-stündigem Umfang möglich seien.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 27.11.2012 ab. Den hiergegen am 03.12.2012 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2013 zurück.
Hiergegen erhob d...