Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Schulbegleitung trotz Besuchs einer Sonderschule. individueller Hilfebedarf. kein Leistungsausschluss wegen Zuständigkeit der Schulverwaltung. kein Betroffensein des Kernbereichs pädagogischer Arbeit. unterstützende Maßnahme. Bereitstellung des Schulbegleiters durch die Schule. Verpflichtung zur Kostenübernahme trotz Fehlens einer Vereinbarung iS des § 75 Abs 3 SGB 12. Ermessensreduzierung auf Null
Leitsatz (amtlich)
1. Auch beim Besuch einer Sonderschule ist die Übernahme von Kosten für einen qualifizierten Schulbegleiter im Rahmen der Eingliederungshilfe möglich. Lediglich unterstützende (auch pädagogische) Maßnahmen sind nicht dem schulischen Kernbereich zuzurechnen, wenn die eigentliche Beschulung (Unterricht, Wissensvermittlung und -einübung) durch die schulischen Lehrkräfte erfolgt. Leistungen der Eingliederungshilfe sind in diesen Fällen nicht aufgrund der Spezialität des Schulrechts (vgl BSG vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R = BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8 und vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R = SozR 4-3500 § 54 Nr 10), sondern allenfalls durch den Nachrang der Sozialhilfe ausgeschlossen.
2. Wird die Schulbegleitung durch die Schule bereitgestellt, sind die Regelungen des sozialhilferechtlichen Leistungserbringerrechts der §§ 75ff SGB 12 zu beachten.
3. Bei Leistung durch einen nicht vereinbarungsgebundenen Leistungserbringer kann auch ohne konkretes Leistungsangebot iS des § 75 Abs 4 SGB 12 bei Ermessensreduktion auf Null ein Anspruch auf Kostenübernahme bestehen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 5. April 2013 aufgehoben und der Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller als Leistungen der Eingliederungshilfe vorläufig für März 2013 weitere € 1.391,25 und für April 2013 weitere € 1.295.- zu zahlen sowie für die Zeit ab dem 1. Mai 2013 bis zum Ende des Schuljahres 2012/2013 die Kosten für eine qualifizierte Autismusassistenz-Schulbegleitung im Umfange von bis zu nachweislich 12 Zeitstunden pro Woche zu einem Betrag i.H.v. € 35.- pro Stunde zu übernehmen.
Der Antragsgegner erstattet dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren ab dem 25. April 2013 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Lang, Stuttgart, gewährt.
Gründe
Die gemäß § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers, der Beschwerdeausschlussgründe im Sinne des § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht entgegenstehen, ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht Heilbronn (SG) hat im angefochtenen Beschluss vom 5. April 2013 zu Unrecht den Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Des Weiteren hat der Antragsteller seinen Antrag zulässig um die Zeit vom 1. Juni 2013 bis zum Ablauf des Schuljahres 2012/2013 erweitert, da der Antragsgegner sich hierzu rügelos eingelassen hat (§ 99 Abs. 1 und 2 SGG in entsprechender Anwendung).
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ≪ZPO≫). Beides sind gleichberechtigte Voraussetzungen, die ein bewegliches System darstellen: Je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein und umgekehrt. Völlig entfallen darf hingegen keine der beiden. Dementsprechend sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind dann in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebotes der Sicherstellung einer menschenwürd...