Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenberechnung. Übersiedler aus der ehemaligen DDR. Anwendung des § 256a SGB 6 auch bei vor dem 9.11.1989 aus der ehemaligen DDR in das Bundesgebiet Übergesiedelten

 

Leitsatz (amtlich)

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 259a Abs 1 S 1 SGB VI gilt diese Regelung für alle Versicherten, die vor dem 1.1.1937 geboren sind und am 18.5.1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet hatten, ohne dass weiter danach differenziert wird, ob der Zuzug vor oder nach dem Mauerfall am 9.11.1989 erfolgte. Eine solche Differenzierung - wie hier von der 1987 in die damalige Bundesrepublik Deutschland übergesiedelten Klägerin begehrt - lässt sich den Materialien zum RÜG gerade nicht entnehmen.

 

Orientierungssatz

Zum Leitsatz vgl BVerfG vom 13.12.2016 - 1 BvR 713/13 und BSG vom 14.12.2011 - B 5 R 36/11 R = SozR 4-2600 § 248 Nr 1.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.11.2020; Aktenzeichen B 13 R 197/19 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt höhere Altersrente für langjährig Versicherte weiterhin unter Bewertung ihrer im Beitrittsgebiet zurückgelegten Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG).

Die am … 1954 in der ehemaligen DDR geborene Klägerin war dort vom 1.9.1971 bis 10.11.1987 rentenversicherungspflichtig beschäftigt. 1987 siedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland über und wurde Versicherte der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte geworden ist.

Die BfA hatte das Konto in der Vergangenheit geklärt und mit Bescheid vom 4.10.1988 die in der DDR zurückgelegten Beitragszeiten vom 1.1.1972 bis 10.11.1987 nach dem FRG bewertet. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung - Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S. 1606) bewertete die BfA die Zeiten der Klägerin neu. Mit Bescheid vom 15.8.2000 hob sie den Bescheid vom 4.10.1988 insoweit nach § 149 Abs. 5 S. 2 SGB VI auf, als die dort festgestellten Zeiten nicht mehr dem geltenden Recht entsprachen. Mit zwei weiteren Vormerkungsbescheiden vom 15.9.2009 und 21.11.2014 stellte die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der BfA Versicherungszeiten der Klägerin gemäß § 149 Abs. 5 SGB VI jeweils nur insoweit fest, als diese nicht bereits früher festgestellt worden waren.

Auf den Antrag der Klägerin vom 30.8.2017 gewährte die Beklagte der Klägerin mit Rentenbescheid vom 5.12.2017 Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 1.12.2017 (monatlicher Zahlbetrag 1.547,12 €; Bl. 31 VA). Die Zeiten in der ehemaligen DDR bewertete die Beklagte als beitragspflichtigen Verdienst zur Sozialversicherung im Beitrittsgebiet (SVA). Am 29.12.2017 legte die Klägerin dagegen Widerspruch ein und berief sich zur Begründung auf den Artikel von Prof. Dr. Dr. Detlef Merten über die Zulässigkeit der Änderung der gesetzlichen Bewertung von in der DDR zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten (NJ 4/2017; Bl. 60 VA). In der Anmerkung zum Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13.12.2016 im Verfahren 1 BvR 713/17 kritisierte der Autor, das Verfassungsgericht habe verkannt, dass die durch das FRG begründeten Rentenanwartschaften dem Schutzbereich des Eigentumsrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG unterfielen. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.4.2018 zurück. Die Klägerin könne die Bewertung ihrer im Beitrittsgebiet zurückgelegten Beitragszeiten vor dem 19.5.1990 nach dem FRG nicht verlangen, da dies gemäß § 259a Abs. 1 S. 1 SGB VI abhängig vom gewöhnlichen Aufenthalt am Stichtag 18.5.1990 sei und nur für Versicherte in Betracht komme, die vor dem 1.1.1937 geboren seien. Die Altersvoraussetzung erfülle die 1954 geborene Klägerin nicht (Bl. 69 VA).

Dagegen hat die Klägerin am 4.5.2018 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben und die Auffassung vertreten, dass § 259a SGB VI als Sonderregelung zu § 256a SGB VI nur für Personen gelte, die nach der Grenzöffnung einen Zweitwohnsitz im Westen genommen haben, im Osten aber noch ein gültiges Rentenkonto gehabt haben, um in den Genuss des FRG zu kommen. Die Regelung gelte jedoch nicht für alle Versicherten, die jemals in der DDR Beiträge gezahlt haben und vor 1937 geboren sind. Durch die Regelungen des § 259a SGB VI hätten nicht die Ansprüche der Altübersiedler und „Altflüchtlinge“ nach dem FRG beeinträchtigt werden sollen, die nicht unter die Regelungsabsicht des § 256a SGB VI fielen. Für diesen Personenkreis gelte nach wie vor das FRG. Bei dem RÜG sei es nicht um eine nachträgliche Regelung der Rentenansprüche der Flüchtlinge und Aussiedler gegangen, die vor der Wiedervereinigung in die Bundesrepublik gelangt seien. Ihr Rentenanspruch habe nicht mehr übergeleitet werden können, da er gar nicht mehr vorhanden gewe...

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