Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittel ≪hier Rollfiets mit Elektro-Hilfsantrieb≫. nicht erforderlich zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung. Zuordnung zur sozialen Rehabilitation
Orientierungssatz
1. Ein elektrisch betriebener Rollfiets ist nicht erforderlich, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, wenn eine regelmäßige Krankengymnastik nicht nur ausreicht, sondern sogar gezielter und vielseitiger die angestrebten Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung eines Behinderten erreichen kann, einschließlich der Stärkung der Muskulatur, Lungenfunktion. Körperkoordination und Balancegefühl (vgl BSG vom 21.11.2002 - B 3 KR 8/02 R).
2. Der Einsatz eines elektrisch betriebenen Rollfiets überschreitet die Grenzen der medizinischen Rehabilitation und ist dem Bereich der sozialen Rehabilitation zuzuordnen.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14.4.2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Umrüstung des vorhandenen Rollfiets von manuellem Antrieb auf Elektrobetrieb hat bzw. ob die Klägerin für den zwischenzeitlich auf eigene Kosten erfolgten Einbau Anspruch auf Erstattung von 3.857,- € hat.
Die ... 1990 geborene Klägerin wohnt in Neuweiler im Nordschwarzwald. Sie leidet an einer psychomotorischen Entwicklungsverzögerung bei infantiler Cerebralparese mit gemischt spastisch/athetotischer linksbetonter Tetraparese und Hüftluxation rechts bei Zustand nach Adduktorentenotomie und Obturatorius Neurotomie beiderseits. Sie kann weder laufen, stehen, sitzen oder sprechen, nicht einmal eine Fernbedienung bedienen und ist in Pflegestufe III eingestuft. Sie kann aktiv nur über Wimpernschläge ihrer Augen kommunizieren. Trotz dieser körperlich schweren Behinderungen hat die Klägerin keine geistigen Defizite.
Die Klägerin verfügt (vgl. Aufstellung Bl. 33 SG-Akte) über einen Rollstuhl für zu Hause und einen Rollstuhl für die Schule bzw. für Spaziergänge. Der letztgenannte Rollstuhl ist im Gegensatz zu dem Rollstuhl für zu Hause luftbereift. Über einen Elektroantrieb verfügen diese Rollstühle nicht. Die Beklagte hat darüber hinaus sich an den Kosten für eine Hebebühne für den Transport des Rollstuhls mit einem Pkw beteiligt. Gezahlt wurden von ihr weiterhin (für den Außenbereich) ein Reha-Buggy mit Winterschlupfsack und Fixationsweste mit für Waldwege geeigneten Lenkrollen sowie ein Rollfiets mit passendem Sitz; die Sitzschalen für Rollstühle wurden regelmäßig nach Maß angefertigt und mit fortschreitendem Wachstum der Klägerin erneuert.
Bei einem Rollfiets handelt es sich um eine Rollstuhl-Fahrrad-Kombination. Diese Kombination besteht aus einem Selbstfahrerrollstuhl mit Kunststoffsitzschale und verstellbaren Nacken- und Beinstützen sowie einem ankoppelbaren Fahrradhinterteil. Das Fahrradhinterteil ist mit dem Rollstuhl verbunden, der dann als lenkbarer Vorderteil fungiert. Das Kind sitzt im Rollstuhl, der Vater oder die Mutter auf dem Fahrradteil (vgl. auch Prospekte Bl. 24 SG-Akte bzw. 22 bis 25 LSG-Akte - L 5 KR 2013/07 -).
Die Klägerin beantragte am 25.11.2003 durch ihre Eltern die Elektrifizierung des vorhandenen Rollfiets und legte den Kostenvoranschlag der Firma Sch GmbH-R-T vom 6.11.2003 über 3.857,- € für die Umrüstung des Rollfiets auf E-Bike mit Bewegungssensor und Tempogriff, Heinzmannschiebeantrieb und Kreuzrahmen ohne Strebe. Nachdem Dr. K vom MDK in dem Sozialmedizinischen Gutachten vom 11.12.2003 die Auffassung vertreten hatte, das Rollfiets, ob mit oder ohne Elektroantrieb, diene nur dem passiven Transport des Kindes durch die Familie per Rad, was aber weder ein Grundbedürfnis sei noch der Integration in die Gruppe Altersgleicher diene, weswegen die Sicherstellung des Passivtransports zur längeren Wegstreckenbewältigung nicht mehr zu den Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung gehöre, lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 7.1.2004 ab. Hiergegen erhob der Vater der Klägerin unter Vorlage eines Attests des Orthopäden Dr. W vom 19.1.2004 (durch die Benutzung des Hilfsmittels werde ein größerer Aktionskreis erschlossen, die Sinne würden durch Wahrnehmen der Umgebung, Balancesicherheit und das Training der Stütz- und Gleichgewichtsreaktion stimuliert) Widerspruch und machte geltend, das Rollfiets werde im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt und trage entscheidend zu einer besseren Rumpf- und Kopfkontrolle der Klägerin bei. Wegen der schweren Behinderung der Klägerin seien ihre Freizeitmöglichkeiten und sozialen Kontakte sehr begrenzt. Es verblieben der Familie allein Ausflüge mit dem Auto, die oft am Ausflugsziel durch Treppen oder unebene Wege schnell beendet seien, Spaziergänge am Wohnort und die Ausflüge mit dem Rollfiets. Diese Ausflüge seien die einzige Möglichkeit, gemeinsam mit Freunden...