Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. Richtungswechsel. privater Grund. Nachweis. unfallbedingte Erinnerungslücke. Beweisnotstand
Leitsatz (amtlich)
1. Kann der Verunfallte wegen seiner Erkrankung (hier: apallisches Syndrom) nicht mehr zu seiner subjektiven Handlungstendenz befragt werden, kann eine Beweiserleichterung der Gestalt gewährt werden, dass an die Bildung der richterlichen Überzeugung weniger hohe Anforderungen gestellt werden. Daraus folgt, dass das Tatsachengericht schon aufgrund weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein kann.
2. Ein Richtungswechsel mit dem PKW führt nicht automatisch zum Verlust des Versicherungsschutzes in der Wegeunfallversicherung. Eine deutliche Zäsur liegt regelmäßig nur dann vor, wenn der Richtungswechsel aus eigenmotivierten, dh aus privaten Gründen vollzogen worden ist, sodass ein sachlicher Zusammenhang mit der an sich versicherten Tätigkeit nicht mehr besteht.
Normenkette
SGB VII § 8 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 54 Abs. 1 S. 1, § 95
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 30.04.2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Arbeitsunfalls vom 22.01.2013 in der Wegeunfallversicherung streitig.
Der 1990 geborene Kläger, der im Haus seiner Eltern in der K. Str. ... in M. wohnt, war am 22.01.2013, dem Tag des Verkehrsunfalls, als Produktionsarbeiter bei der Firma C. l Zeitarbeit GmbH, H., beschäftigt. Am Unfalltag war er für seine Arbeitgeberin bei deren Kundin, der (Entleiher-)Firma M. in Mannheim, F.-J.-S.-Str., tätig. Um 14.00 Uhr stempelte er an diesem Tag dort aus und verließ das Betriebsgelände zwischen 14.30 und 14.45 Uhr. Gegen 15.20 Uhr verunfallte er mit seinem PKW BMW ..., Kennzeichen ...-..., auf der Landstraße L 7. zwischen W. und der D.-H.-Allee in Richtung W., als er ins Schleudern kam und auf der Gegenfahrbahn mit einem entgegenkommenden LKW frontal mit seiner Beifahrerseite zusammenstieß. Der Kläger wurde durch den Aufprall in seinem Fahrzeug eingeklemmt und musste von der Feuerwehr geborgen werden. Er erlitt ein Polytrauma mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma Grad III mit ausgeprägtem Kalottenhämatom und Hirnödem beidseits, eine Lazeration des Nierenparenchyms links, eine Milzkontusion links, Kontusionen des Lungenparenchyms beidseits, eine Fraktur der 11. und 12. Rippe rechts sowie eine Fraktur BWK 6. Seither leidet er an einem apallischen Syndrom, d.h. bis auf minimale Reaktionen auf akustische oder Schmerzreize durch Blinzeln mit geschlossenen Augen bzw. Abwehrreaktionen der rechten Hand bei Manipulation besteht keine weitere erkennbare Reaktionsfähigkeit. Die Eltern des Klägers, B. und K. B., wurden für den Kläger als gesetzliche Betreuer bestellt (Beschluss des Amtsgerichts H. vom 29.01.2013, Az.: B 40 XVII 152/13; Beschluss vom 02.07.2013, Az.: XVII 112/13).
In der Verkehrsunfallanzeige vom 22.01.2013 nahm Polizeikommissar (PK) Bürgermeister auf, der Kläger sei zur Unfallzeit mit seinem PKW auf der L 7. in westlicher Richtung, 50 m östlich der Einmündung D.-H.-Allee infolge nicht angepasster Geschwindigkeit ins Schleudern geraten und habe die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren. Dies habe dazu geführt, dass sich sein PKW ca. 100 Grad nach links um seine Hochachse gedreht habe und auf die Gegenfahrbahn gerutscht sei. Hier sei er nach etwa 65 m nach Verlassen seiner Fahrbahn mit dem auf dem rechten der beiden Geradeausfahrstreifen entgegenkommenden LKW (7,49-Tonner) frontal mit seiner Beifahrerseite zusammengeprallt. Der geschädigte Fahrer des LKW, R., gab bei seiner Vernehmung an, er sei von der A5 kommend in Richtung H. AG unterwegs gewesen und habe plötzlich kurz vor der Abfahrt D.-H.-Allee von links ein Auto quer auf ihn zufliegen gesehen. Aufgrund der Schnelligkeit habe er den Zusammenstoß nicht mehr vermeiden können (Bl. 55 ff. der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft H., Az.: 510 Js 5572/13). Der Zeuge Dr. V. gab an, der Kläger habe mit seinem PKW ebenfalls an einer roten Ampel gehalten. Sie seien beide jeweils das erste Fahrzeug an der Ampel gewesen. Es sei auffällig gewesen, dass der Kläger, als es grün geworden sei, mit quietschenden Reifen Vollgas gegeben habe (Bl. 47 der Ermittlungsakte) .Eine unmittelbar nach dem Unfall erfolgte Alkoholbestimmung beim Kläger ergab 0,00 Promille. Die Staatsanwaltschaft H. holte sodann das Verkehrsgutachten des Dipl.-Ing. H. vom 08.12.2013 ein, wonach Hinweise auf unfallursächliche technische Mängel an dem PKW nicht vorlägen. Unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen sei Ursache für den instabilen Fahrzustand die zu intensive durchgeführte Beschleunigung des PKW___AMPX_’_SEMIKOLONX___Xs gewesen. Eine negative Beeinflussung des Fahrverhaltens des PKW durch ...