Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Beitragsnachforderung. Zurverfügungstellung von Wohnheimplätzen an Beschäftigte. Sachbezug. Beitragspflicht. Bewertung. Unbilligkeit. zu den Anforderungen an bedingt vorsätzliches Vorenthalten von Beiträgen
Leitsatz (amtlich)
Für die Feststellung, ob die Bewertung einer als Sachbezug zur Verfügung gestellten Unterkunft mit dem Sachbezugswert in § 2 Abs 3 S 1 SvEV gemäß § 2 Abs 3 S 3 SvEV unbillig ist, findet für die sozialversicherungsrechtliche Prüfung der Vergleich eines ortsüblichen Mietpreises der jeweiligen Unterkunft mit dem in § 2 Abs 3 S 1 SvEV festgelegten Sachbezugswert nicht statt; der ortsübliche Mietpreis ist nur als Rechtsfolge des § 2 Abs 3 S 3 SvEV, nicht jedoch bei der Prüfung der Rechtsvoraussetzungen dieser Vorschrift von Belang. Statthaft ist allein ein Vergleich der Eigenschaften der jeweiligen Unterkunft mit den Eigenschaften einer gewöhnlichen Unterkunft.
Orientierungssatz
Auf das Wissen des Beitragspflichtigen um die Beitragspflicht, namentlich von Bestandteilen des Arbeitsentgelts seiner Beschäftigten, wie von Sachbezügen, kann regelmäßig geschlossen werden, wenn in einem Lohnsteuerprüfbericht bzw. Lohnsteuerhaftungsbescheid der Finanzverwaltung die fehlende Versteuerung dieser Entgeltbestandteile festgestellt worden ist; das folgt aus der weitgehenden Übereinstimmung zwischen Steuer- und Beitragspflicht von Lohn iSd § 19 EStG bzw Arbeitsentgelt iSd §§ 14, 17 SGB 4. Nach der Rechtsprechung des BSG vom 30.03.2000 - B 12 KR 14/99 R = SozR 3-2400 § 25 Nr 7) ist aber auch in diesen Fällen eine schematische Betrachtung nicht statthaft.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18.06.2015 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 30.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2011 wird insoweit aufgehoben, als darin Sozialabgaben für die Zeit von 1997 bis 2006 i.H.v. 239.900,26 € nachgefordert werden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt drei Zehntel, die Beklagte trägt sieben Zehntel der Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 344.143,10 € endgültig festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von Sozialabgaben i.H.v. 344.143,10 € wegen der Zurverfügungstellung von Wohnheimplätzen an Beschäftigte in ihren Personalwohnheimen (Zeitraum vom 01.01.1997 bis 31.12.2010).
Die Klägerin ist Krankenhausträgerin. Während der streitigen Zeit (1997 bis 2010) unterhielt sie für ihre Beschäftigten 5 Personalwohnheime, die Personalwohnheime 1 und 2 der Klinik V. (PW1 und PW2), die Bauteile K und L der Klinik Sch. (BK und BL) und das Personalgebäude der Klinik St. G. (PG). Die Personalwohnheime waren baulich wie folgt beschaffen:
PW1: 15 Wohnräume mit 13,69 m² bis 15,29 m²;1 Küche mit 9,14 m²; 1 Dusche/1 Badewanne mit 2,09 m² bzw. 3,15 m²; 2 WC mit 1,22 m² bzw. 1,35 m²
PW2: 12 Wohnräume mit 16,32 m² bis 16,83 m²; 2 Aufenthaltsräume mit 17,16 m² bzw. 35,70 m²; 1 Küche mit 16,83 m²; 3 Duschen; 3 WC mit 1,04 m²
BK: 16 Wohnräume; 1 Küche; 2 Lagerräume/1 Abstellraum; 2 Duschen; 2 WC
BL: 11 Wohnräume mit 13,82 m² bis 14,31 m²; 1 Küche; 2 Duschen; 2 WC
PG: 14 Wohnräume; 1 Küche; 1 Aufenthaltsraum; 1 Dusche; 2 WC
Die Klägerin vermietete die Wohnheimplätze in den Personalwohnheimen an Auszubildende und andere Beschäftigte, zu einem geringen Teil auch an Dritte. Die von den Beschäftigten (einschließlich der Auszubildenden) zu zahlende Miete wurde nach § 3 des Tarifvertrages über die Bewertung der Personalunterkünfte für Angestellte vom 16.03.1974 in der Fassung der Änderungstarifverträge vom 07.11.1974 und vom 14.11.1977 (TV-Personalunterkünfte) festgelegt.
Das Finanzamt V.-Sch. (im Folgenden: Finanzamt) führte Lohnsteuer-Außenprüfungen bei der Klägerin durch und erließ Haftungs- bzw. Nachforderungsbescheide vom 08.10.1998, 25.03.2001, 03.12.2001, 21.11.2006, 16.12.2010, 30.12.2010 und 14.01.2011 für den Prüfzeitraum vom 01.01.1997 bis 31.12.2010. Außerdem wurden Berichte über die Lohnsteuer-Außenprüfungen vom 23.01.1998, 30.04.1999, 16.11.2001 und 10.11.2006 angefertigt.
Im Bericht des Finanzamts vom 16.11.2001 heißt es (u.a.), die Klägerin unterhalte zu den Kliniken auf der Gemarkung der Stadt V.-Sch. mehrere Personalwohnheime, die fast ausschließlich von Arbeitnehmern der Klägerin bewohnt würden. Ein geringer Teil werde mit 10% Aufschlag fremdvermietet. Die Mieten der Arbeitnehmer würden nach § 3 TV-Personalunterkünfte bewertet. Danach richte sich der Quadratmeterpreis der Unterkunft nach Ausstattungsmerkmalen (Einteilung in 5 Wertklassen). Nach den Feststellungen der Lohnsteuer-Außenprüfung habe der von den Arbeitnehmern nach Maßgabe des genannten Tarifvertrages gezahlte Mietpreis für Unterkünfte i.S.d. Sachbezugsverordnung (SachBezV) unter den festgelegten Sachbezugswerten (§ 3 SachBezV) gelegen. Der Differenzbetrag sei gemäß § 8 Abs. 2 Einkomme...