Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung und Bewertung von Zeiten einer schulischen Ausbildung. Überschreitung der Höchstdauer. Gesamtleistungsbewertung. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Der Senat ist der Auffassung, dass die "Höchstdauerklausel" des § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 Halbs 2 SGB 6 Tatbestandsmerkmal und nicht lediglich eine Anrechnungsvoraussetzung ist, weshalb Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung insoweit nicht als nicht belegungsfähige Zeiten im Rahmen des Gesamtleistungsbewertung zu berücksichtigen sind, als die Höchstdauer überschritten ist (Entgegen BSG vom 18.10.2005 - B 4 RA 43/03 R = SozR 4-2600 § 71 Nr 1).
2. Der erkennende Senat hält eine verfassungswidrige Verletzung der Eigentumsgarantie (Art 14 Abs 1 GG), des Gleichheitsgrundsatzes (Art 3 Abs 1 GG) und des Sozialstaatsprinzips (Art 20 Abs 1 und Art 28 Abs 1 GG) durch die Nichtberücksichtigung und geringere Bewertung von Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung für nicht gegeben.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. November 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten noch, ob dem Kläger wegen Berücksichtigung weiterer Schul- und Ausbildungszeiten und deren höherer Bewertung eine höhere Altersrente zu gewähren ist.
Der ... 1943 geborene Kläger war als selbständiger Rechtsanwalt bei der Beklagten seit April 1980 freiwillig versichert. Er hatte nach Ablegung der Mittleren Reife im März 1960 von April 1960 bis Oktober 1963 (42 Monate) eine Mechanikerlehre absolviert und nach anschließender Berufstätigkeit als technischer Zeichner vom 1.10.1964 bis 1.8.1967 (35 Monate) die staatliche Ingenieurschule in K besucht, die er mit der Ingenieurprüfung im Fach Maschinenbau abschloss. Daran schloss sich eine Ingenieurstätigkeit in der Schweiz an. Vom 1.6.1968 bis September 1968 (4 Monate) bereitete sich der Kläger auf die Prüfung zum Erwerb der vollen Hochschulreife vor, die er am 20.9.1968 bestand. Vom 1.10.1968 bis zum 9.11.1974 (74 Monate) studierte der Kläger an der Universität T Jura.
Mit Bescheid vom 30.5.1989 teilte die Beklagte dem Kläger mit, welche Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) vorgemerkt seien. Darin enthalten waren 13 Monate Schulausbildung vom 13.3.1959 bis 25.3.1960 und 74 Monate Hochschulausbildung vom 1.10.1968 bis 9.11.1974. Gleichzeitig führte sie aus, diese Zeiten seien als Ausfallzeiten nur anrechenbar, wenn im Leistungsfall zusätzliche Voraussetzungen erfüllt seien (§ 36 Abs. 3 AVG, Art. 2 §§ 13 a i. V. m. 9 a Abs. 1 AnVNG). Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten werde erst bei Feststellung einer Leistung entschieden.
Mit Feststellungsbescheid gemäß § 104 Abs. 3 AVG vom 18.1.1990 übersandte die Beklagte dem Kläger einen Versicherungsverlauf, in dem wiederum die 13 Monate Schulausbildung ab Vollendung des 16. Lebensjahrs und die Hochschulausbildung aufgeführt werden. Letztere wurde für die Zeit vom 1.10.1968 bis 30.9.1973 mit 60 Monaten anerkannt, während die Folgezeit vom 1.10.1973 bis 9.11.1974 ohne Ausweisung der Monate als "begrenzte Hochschulausbildung" bezeichnet wurde. Weiter führte die Beklagte aus, die Halbbelegung sei nicht erfüllt. Damit könnten die im Versicherungsverlauf wiedergegebenen Ausfallzeiten nach § 36 Abs. 3 AVG nicht berücksichtigt werden.
Mit Bescheid vom 2.8.2006 gewährte die Beklagte dem Kläger auf Grund seines Antrages vom 21.6.2005 ab 1.4.2006 Altersrente für langjährig Versicherte in Höhe von 524,14 € (unter Einbeziehung eines Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag). Die Rente sei eine vorläufige Leistung im Sinne des Art. 45 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72. Ferner führte die Beklagte aus, für die Zeit vom 13.3.1959 bis 12.3.1960 könne wegen einer Rechtsänderung die bisher vorgemerkte Anrechnungszeit wegen schulischer Ausbildung nicht mehr berücksichtigt werden, weil sie vor Vollendung des 17. Lebensjahres zurückgelegt worden sei. Der Bescheid vom 30.5.1989 über die Feststellung dieser Zeit werde insoweit gem. § 149 Abs. 5 SGB VI ab Rentenbeginn aufgehoben. Die Zeit vom 1.10.1973 bis 9.11.1974 könne nicht als Anrechnungszeit wegen schulischer Ausbildung berücksichtigt werden, weil diese Zeit der Ausbildung die ab 1.1.2001 berücksichtigungsfähige Höchstdauer überschreite. Der bisherige Bescheid über die Feststellung dieser Zeit werde insoweit ab Rentenbeginn aufgehoben. Im Versicherungsverlauf wies die Beklagte einen Monat Schulausbildung (13.03. bis 25.3.1960), 35 Monate Fachschulausbildung (1.10.1964 bis 1.8.1967), 60 Monate Hochschulausbildung (1.10.1968 bis 30.9.1973) aus. Im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung stellte die Beklagte einen belegungsfähigen Gesamtzeitraum von 553 Monaten (vom 13.3.1960 - Vollendung des 17. Lebensjahres - bis 31.3.2006 - Kalendermonat vor Rentenbeginn -) ...