Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs zweier Leistungsträger untereinander - Zuständigkeit der Jugendhilfe bzw. der Arbeitsförderung
Orientierungssatz
1. Eine Erstattungspflicht des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers ist nach §§ 103 Abs. 1, 104 Abs. 1 S. 1 SGB 10 ausgeschlossen, wenn der leistende Träger der sachlich und örtlich allein zuständiger Leistungsträger ist.
2.Für die Abgrenzung der Leistungen von Eingliederungshilfe für junge Volljährige nach §§ 41, 35a SGB 8 und den Leistungen der Arbeitsförderung nach §§ 112, 127 SGB 3 i. V. m. § 49 Abs. 7 Nr. 1 SGB 9 ist auf den Schwerpunkt der Maßnahme abzustellen.
3. Die Zuständigkeit der Jugendhilfe ist dann gegeben, wenn als Leistungszweck die psychosoziale Betreuung dominiert. Der Träger der Arbeitsförderung ist für die berufliche Bildung, nicht aber auch für die soziale Betreuung und Persönlichkeitsentwicklung des jungen Menschen zuständig.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 21.10.2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 30.883,65 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte als vorrangig verpflichtete Leistungsträgerin zur Erstattung des vom klagenden Jugendhilfeträger geleisteten Betrages für die heilpädagogische Unterbringung des Hilfeempfängers M1 während der Reha-Ausbildung zum Fachlageristen in der Zeit vom 24.09.2018 bis 31.07.2019 in Höhe von 30.883,65 € verpflichtet ist.
Der am1999 geborene M1 (nachfolgend Hilfeempfänger) leidet unter einer autistischen Störung in Form des Asperger-Syndroms, einer kombinierten Störung des Sozial- und Emotionsverhaltens sowie einer einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung. Er ist seelisch behindert im Sinne des § 2 SGB IX und dadurch teilhabebeeinträchtigt.
Der klagende Jugendhilfeträger (nachfolgend Kläger) gewährte dem Hilfeempfänger bereits seit seinem 3. Lebensjahr aufgrund seiner Verhaltensbesonderheiten Jugendhilfeleistungen:
- vom 01.05.2003 bis zum 30.08.2006 Integrationshilfe nach § 35a SGB VIII im Kindergarten,
- vom 01.09.2004 bis zum 30.09.2005 ambulante heilpädagogische Behandlung nach § 35a SGB VIII,
- vom 19.09.2006 bis zum 29.07.2009 stationäre Unterbringung (Heimerziehung) Diakonie der Evangelischen Brüdergemeinde in K1 im H1 mit Besuch der einrichtungseigenen Schule für Erziehungshilfe (E-Schule), die J1,
- vom 19.09.2009 bis zum 15.05.2011 Tagesgruppe - Jugendhilfe K2 nach § 32 SGB VIII,
- vom 16.05.2011 bis zum 26.07.2012 Tagesgruppe - Diakonische Jugendhilfe Region H2 e.V. nach § 32 SGB VIII,
- vom 10.09.2012 bis zum 28.04.2015 heilpädagogisches Förderangebot S1 - Diakonische Jugendhilfe Region H2 e.V.,
- vom 29.04.2009 bis zum 29.07.2016 heilpädagogisches Förderangebot O1 - Diakonische Jugendhilfe H2 e.V.,
- vom 14.09.2009 bis zum 29.07.2016 Leistungen nach § 27 Abs. 2 SGB VIII - Schule für Erziehungshilfe.
Der Hilfeempfänger absolvierte den Hauptschulabschluss zu Hause wohnend. Ab dem 12.09.2016 besuchte er eine VAB-Maßnahme (Vorqualifizierung Arbeit/Beruf) an der S2-Schule der S3 Schulen GmbH in N1, eine Gesamtschule mit Berufsschulzweig, die vorwiegend körperbehinderte und auch autistische Kinder beschult und war dort stationär in einer Wohngruppe aufgenommen. Die Kostenübernahme inklusive stationärer Heimunterbringung bewilligte der Kläger gemäß §§ 34, 35a SGB VIII vom 12.09.2016 bis zum 10.12.2017 und ab Volljährigkeit vom 11.12.2017 bis zum 31.08.2018 nach §§ 34, 41, 35a SGB VIII. Eine Teamvorlage des Fachbereichs Jugendhilfe - Soziale Dienste des Klägers vom 28.11.2017 zur Bewilligung der Leistungen nach §§ 34, 41, 35a SGB VIII für junge Volljährige führte bezüglich der Entwicklung des Hilfeempfängers aus, dass er große Fortschritte gemacht habe, aber noch nicht ausreichend selbstständig und selbstbewusst sowie emotional stabil genug sei, um eine Ausbildung auf dem freien Arbeitsmarkt zu absolvieren. Es müsse daher mit der Arbeitsagentur die Kostenübernahme für die Ausbildung im Rahmen des Berufsbildungswerkes (BBW) in N1 geklärt werden. Trotz der erfreulichen Entwicklung benötige der Hilfeempfänger auch weiterhin engmaschige pädagogische Begleitung und Unterstützung. Jede neue Situation bedeute für ihn eine große Herausforderung. Er könne sich noch nicht altersentsprechend selbst organisieren und seinen Alltag strukturieren. Auch mit einer eigenständigen Finanzeinteilung oder gar Behördengängen sei er derzeit noch vollkommen überfordert. Vor diesem Hintergrund werde der weitere Verbleib in der bisherigen Wohngruppe zunächst bis Sommer 2018 befürwortet.
Der Hilfeempfänger wechselte ab dem 01.09.2018 innerhalb der Einrichtung der S3 Schule in das BBW und begann am 24.09.2018 eine Reha-Ausbildung zum Fachlageristen. Die Beklagte übernahm Kosten dieser Ausbildung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Zugleich gewährte die Beklagte dem Hilfebedürftigen ab dem 24.09.2018 Ausbildung...