Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Entziehung einer Verletztenrente/Stützrente. behaupteter Wegfall des Stützrententatbestands. Rechtsgrundlage: § 62 SGB 7 oder des § 48 SGB 10

 

Leitsatz (amtlich)

1. Entzieht der Unfallversicherungsträger eine gestützte Rente (Versicherungsfall 1: MdE 10 v.H.) mit der Begründung, der Stützrententatbestand (Versicherungsfall 2: ursprünglich angenommene MdE 10 v.H.) sei entfallen (jetzt MdE ≪ 10 v.H.), kommt als Rechtsgrundlage hierfür nur § 48 SGB X in Betracht, der für eine solche Fallkonstellation nicht von § 62 SGV II verdrängt wird.

2. Wird später rückwirkend für den Versicherungsfall 2 eine Rente nach einer MdE um 20 v.H. bewilligt, steht zugleich fest, dass die Voraussetzungen für einen Rentenentzug nach § 48 SGB X wegen Wegfalls des Stützrententatbestandes nicht vorliegen.

3. Beruft sich der Unfallversicherungsträger dann im Widerspruchsbescheid zur Rentenentziehung (Versicherungsfall 1) erstmals darauf, die MdE für diesen Versicherungsfall betrage nicht mehr 10 v.H., handelt es sich um einen zulässigen Austausch der Begründung für die Rentenentziehung. § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist auf einen solchen Fall (Rentenentziehung) nicht anwendbar, sondern nur § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII. Allerdings muss der Widerspruchsbescheid innerhalb von drei Jahren nach dem Versicherungsfall ergehen. Ergeht der Widerspruchsbescheid nach Ablauf dieser Frist, beurteilt sich die Rechtmäßigkeit der Rentenentziehung nach § 48 SGB X und erfordert den Nachweis einer wesentlichen Änderung.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.10.2009 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger über den 30.06.2006 hinaus eine (gestützte) Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 v.H. zu gewähren ist.

Der im Jahr 1957 geborene Kläger erlitt am 17.06.2003 ein Knalltrauma als Arbeitsunfall. Auf Grund dieses Arbeitsunfalls bestehen beim Kläger persistierende, fixierte Ohrgeräusche beidseits, die zunächst zu einer MdE um 10 v.H., auf Grund einer Verschlechterung ab dem 25.10.2004 um 20 v.H. führten.

Am 14.11.2003 zog sich der Kläger bei einem weiteren Arbeitsunfall eine Achillessehnenruptur rechts zu. Wegen der Folgen dieser Gesundheitsstörung wurde im Rahmen verschiedener Begutachtungen u.a. die Beweglichkeit der oberen Sprunggelenke gemessen. Dabei ergaben sich folgende Werte (jeweils in Grad - Heben/Senken, rechts/links - Normalwerte: 20/30-0-40/50):

17.11.2003

Dr. M.

20-0-35

30-0-60

(Bl. 92 SG-Akte)

03.08.2005

Prof. Dr. P.

15-0-50

15-0-60

(Bl. 110 VA)

04.09.2006

Dr. M.

20-0-30

30-0-55

(Bl. 45 SG-Akte)

19.09.2006

Prof. Dr. M.

  5-0-40

  5-0-40

(Bl. 208 VA)

Die Begutachtungen durch Dr. M. erfolgten im Auftrag der P. R. AG, Prof. Dr. P. und Prof. Dr. M. wurden für die Beklagte tätig.

Mit Bescheiden vom 27.01.2006 (Bl. 19 SG-Akte, Bl. 138 VA) bewilligte die Beklagte, die eine Entschädigung aus Anlass der Achillessehnenruptur im Jahr 2004 noch abgelehnt hatte, dem Kläger wegen beider Arbeitsunfälle wechselseitig gestützte Renten als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um jeweils 10 v.H. Die Bescheide enthielten jeweils den Hinweis, dass der Anspruch nur bestehe, solange die MdE wegen des anderen Versicherungsfalls mindestens 10 v.H. betrage. Die Verletztenrente wegen der Folgen des erlittenen Knalltraumas setzte ab dem 14.11.2003 (Hinzutritt der Achillessehnenruptur), die Verletztenrente wegen der Achillessehnenruptur mit dem Auslaufen der darauf beruhenden Arbeitsunfähigkeit ab dem 27.04.2004 ein. Der Rentengewährung für die Folgen der Achillessehnenruptur lag das auf Grund einer Untersuchung des Klägers am 03.08.2005 vom Direktor der Unfallchirurgischen Abteilung im Städtischen Klinikum K. Prof. Dr. P. erstellte unfallchirurgische Fachgutachten zu Grunde, der als Folgen der Achillessehnenruptur ein leichtes Rechtshinken, eine leichte Unsicherheit beim Zehenspitzengang rechts, eine Unmöglichkeit voll in die Hocke zu gehen und eine minimale Einschränkung der Plantarflexion des rechten oberen Sprunggelenks beschrieb.

Mit Bescheiden vom 01.06.2006 lehnte die Beklagte zunächst wegen der Folgen des erlittenen Knalltraumas die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit ab und entzog die vorläufig gewährte Entschädigung zum 01.07.2006 (Blatt 27 SG-Akte). Die Beklagte ging damals noch davon aus, dass die MdE in Folge des Knalltraumas (endgültig) auf unter 10 v.H. festzusetzen sei. Mit dem weiteren Bescheid vom 01.06.2006 (Blatt 169 VA) entzog die Beklagte zum 01.07.2006 dem Kläger die wegen der Folgen der Achillessehnenruptur als vorläufige Entschädigung gewährte Rente. Zur Begründung dieser Entscheidung verwies sie auf den Wegfall der in Folge des Knalltraumas gewährten Rente. Gegen beide Entscheidungen erhob der Kläger Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte das auf Grund einer U...

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