Entscheidungsstichwort (Thema)
RF nicht bei Fortbewegung mit Rollstuhl und Begleitperson
Leitsatz (amtlich)
Wer aufgrund einer Halbseitenlähmung zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl und eine Begleitperson angewiesen ist, erfüllt noch nicht die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (Merkzeichen RF).
Leitsatz (redaktionell)
Zu den öffentlichen Veranstaltungen, an denen ein Behinderter mit einem GdB von 80 nicht mehr teilnehmen können muss, um von der Rundfunkgebührenpflicht befreit zu werden (Nachteilsausgleich RF) gehören alle Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art.
Einer Halbseitengelähmten, die mit Rollstuhl und Begleitperson öffentliche Veranstaltungen noch besuchen kann, steht der Nachteilsausgleich RF nicht zu.
Harninkontinenz, die mit Windeln zwei Stunden ausgeglichen werden kann, rechtfertigt nicht die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht.
Eingeschränktes Konzentrationsvermögen genügt nicht für den Nachteilsausgleich RF.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 5. Mai 2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt den Nachteilsausgleich RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).
Bei der am geborenen Klägerin ist wegen zahlreicher Funktionsbeeinträchtigungen (degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Kalksalzminderung des Knochens, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke - Teil-GdB 30 -, rezidivierende Unterleibsbeschwerden bei Unterleibssenkung- Teil-GdB 10 -, funktionelle Kreislaufstörung - Teil-GdB 10 - , Halbseitenlähmung links, Hemianopsie ≪halbseitiger Ausfall des Gesichtsfeldes eines oder beider Augen≫ - Teil-GdB 90 -) ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 anerkannt. Zur Inanspruchnahme entsprechender Nachteilsausgleiche wurden außerdem die Merkzeichen G, B und aG festgestellt (Bescheid des Beklagten vom 18.07.2002).
Am 01.08.2002 beantragte die Klägerin auch die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs RF. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16.09.2002 ab. Auf den am 07.10.2002 eingelegten Widerspruch der Klägerin zog der Beklagte das Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI vom 27.05.2002 bei, in dem die Zuerkennung der Pflegestufe II empfohlen wird. Nach Auswertung dieses Gutachtens durch den ärztlichen Dienst wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.2003 als unbegründet zurück und führte aus, der zumindest gelegentliche Besuch ausgewählter öffentlicher Veranstaltungen erscheine unter Zuhilfenahme von Begleitpersonen und technischen Hilfsmitteln (z.B. eines Rollstuhls) möglich und zumutbar.
Am 23.01.2003 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, sie sei an den Rollstuhl gebunden und seit einem Schlaganfall am 28.01.2002 linksseitig gelähmt. Sie sei Tag und Nacht auf Hilfe angewiesen und könne aufgrund ihrer Behinderung nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, weil sie sehr schnell müde werde und nicht in der Lage sei, zwei Stunden zum Beispiel in einem Konzert oder in einem Kino zu verweilen. Darüber hinaus sei sie nicht mehr in der Lage, sich so lange zu konzentrieren. Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts eine schriftliche sachverständige Zeugenaussage der behandelnden Ärztin eingeholt. Dr. M.-H. hat in ihrem Schreiben vom 14.03.2003 die Auffassung vertreten, die Klägerin könne trotz Beistands einer Hilfsperson beim Bedienen des Rollstuhls oder ähnlicher technischer Einrichtungen an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen. Mit Urteil vom 05.05.2003 hat das SG der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin im Rahmen der Durchführung des Nachteilsausgleichs das Merkzeichen RF zuzuerkennen. Das Urteil ist dem Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 21.05.2003 zugestellt worden.
Am 17.06.2003 hat der Beklagte Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, der vom SG vertretenen Auffassung könne nicht beigetreten werden. Der bloße Verweis auf den Gebrauch von Einmalwindeln hinsichtlich der Harnentleerungsstörungen reiche nicht aus, um die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs RF begründen zu können. Auch eine reduzierte psychische Aufmerksamkeit sei kein Hinderungsgrund für die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen. Die Klägerin sei trotz ihrer herabgesetzten psychophysischen Belastbarkeit bei Benutzung technischer Hilfsmittel und mit einer Begleitperson noch in der Lage, bestimmte öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise zu besuchen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 05. Mai 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend. Es sei im Hinblick auf ihre gesundheitliche Situation und den da...